Jeff Wall

Deutsche Guggenheim

2008:Feb // Knut Ebeling

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02-2008
















Eigentlich kann man Jeff Wall ja kaum noch sehen, gehört er doch zweifellos zu den überexponierten, übergehypten und übertheoretisierten Fotokünstlern der neunziger Jahre – so verläuft Walls Weg von der „Exposure“ im Ausstellungswesen zur Überexposure. Zu Walls Überpräsenz in den Kunstmuseen dieser Welt passt es, dass sich der kanadische Fotokünstler durch seine geschickten historischen Verweise noch zu Lebzeiten seinen Platz in der Kunstgeschichte gesichert hat: Wall zu lesen, so wurde man unterrichtet, sei wie eine Sozialgeschichte der Bildenden Kunst zu sehen. So wurde Wall zu so etwas wie dem sozialhistorischen Gewissen der zeitgenössischen Fotokunst.

Was die Ausstellung bei der Deutschen Guggenheim durch­aus brisant machte, waren ihre ambivalenten Rahmenbedingungen: Denn einerseits betrat Wall mit seiner Guggenheim-Show deutlicher als je zuvor das Terrain der sozialdokumentarischen Fotografie. Andererseits wurde die Ausstellung jedoch von einer Institution der Deutschen Bank ausgerichtet, der man damit durchaus soziale Koketterie vorhalten konnte. Für Stimmung war also durchaus gesorgt – und entsprechend ambivalent fiel auch das Echo der Feuilletons aus, die soweit gingen, Wall das Aufziehen einer mediokren Serie auf übergroßen Formaten vorzuwerfen. 

Erhöht wurde der Einsatz noch durch die Tatsache, dass der global agierende Wall selbst auch in seiner Ausstellung vorbeischaute und in Berlin einige flankierende Lectures hielt. So hatte man also das Vergnügen, Wall auch bei einer Guggenheim-Lunch-Lecture zu lauschen oder sein Werk von Kunsthistorikern geadelt zu sehen. Die Besuchermassen, die zu jedem Wall-Termin anrückten, ließen darauf schließen, dass an Walls eigener Deutung seiner Arbeit mehr Interesse bestand als an den Arbeiten selbst, die bis heute unheimlich unprätenziös wirken. 

Die interessantesten Fotoarbeiten von „Exposure“ waren für mich denn auch nicht die für die Ausstellung angefertigen „sozialdokumentarischen“ Arbeiten, in denen sich Wall klar in die Tradition der us-amerikanischen Soziofotografie nach Walker-Evans einreiht. Eine weitaus größere Spannung – auch zum Titel der Ausstellung „Belichtung“ – bot ein Foto, das den Auftragsarbeiten voranging; eine auf den ersten Blick völlig unterbelichtete Aufnahme mit dem Titel „Night“. Sie passte noch am ehesten in das sozialdokumentarische Schema und zeigte eine Nachtaufnahme, die Obdachlose unter einer Autobahnbrücke zeigt – eine Szene, die sich illusionistisch in einem See unter der Brücke spiegelt. Für eine Unterlaufung des dokumentarischen Anspruchs sorgte hier nicht nur das Wissen, dass alle Arbeiten Walls inszeniert sind; die funkelnde und gleißende Nachtstimmung des Bildes tat ein übriges indem sie die Pennertristesse in ein gleißend-glamouröses Panorama der Nacht mit all ihren Schattierungen verwandelte.

Ein weiteres schwarz-weißes Panorama zeigt Wall in „Cold storage, Vancouver“ (Kühlraum, 2007): Der menschenleere Großkühlschrank besteht aus einem kahlen Betonraum, der in etwa so anheimelnd wirkt wie ein Bunkerinterieur. Während in „Night“ der Außenraum in einen surrealen Innenraum verwandelt wurde, dreht Wall das Spiel zwischen Innen und Außen in „cold storage“ um: Das Bild zeigt einen Innenraum, dessen Unwirtlichkeit ihn jäh zu einem Außenraum werden lässt. Gewiss kann man dieses Foto als Kommentar zu den inhumanen Arbeitsbedingungen in der entsprechenden Branche lesen, wie es Jean-François Chévrier in seinem begleitenden Essay tut. Doch zeigt die Arbeit weniger das Inhumane als das Posthumane: Ganz gegen den Vorsatz des Sozialdokumentarischen stößt Wall hier zu einer posthumanen Fotografie vor, in der die Elemente gewissermaßen unter sich sind. Der kahle Beton und das gefrorene Eis an der Decke; die kurze Eis-Zeit des Frierens und die gefrorene Zeit des geschichtslosen Betons. Wall inszeniert in dem abweisenden Gewölbe eine Höhle der Zeit, in der die Zeit materialisiert erscheint.

In „logs“ (Baumstämme) aus dem Jahr 2002 sind die Materialien und ihre Materialitäten dann vollständig unter sich. Während Wall sich komplett von der verfänglichen Dokumentation des Sozialen verabschiedet, dokumentiert er stattdessen in geologischer Manier das Aufeinandertreffen zweier Materialitäten: Walls Baumstämme, die im Schnitt zu sehen sind, lagern neben Betonquadern. Die unterschiedlichen Maserungen, Porositäten und Konsistenzen von Beton und Holz werden zu Protagonisten des Bildes. Hier erreicht Wall schließlich eine posthumane Geologie des Bildes, die seinen Auftraggebern schließlich auch keine koketten Spreizungen mehr abverlangt.

 Jeff Wall
„Belichtung“ Deutsche Guggenheim
Unter den Linden 13/15
03.11.2007–20.01.2008
Jeff Wall „Night“ (Ausschnitt), 2001 (© Courtesy Olbricht Collection)
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