Tun was getan werden muss!

 Eine Tragödie in drei Strophen

2012:Aug // Barbara Buchmaier und Christine Woditschka

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08-2012


















ERSTE STROPHE:
Unschuldig in Platons Höhle – noch immer.

Nehmen wir Global Player, die machen einfach Geld. Louis Vuitton, Mercedes, Apple. Kunst ist da schon eher ein Nischenprodukt. Nur ein kleines Vergleichsspektakel für (Schein-)
Idealisten, schlechter Organisierte, weniger Wagemutige mit weniger Startkapital. Das Kunstfeld ist nichts anderes als eine Imitation der Wirtschaftskreisläufe. Hits werden in einem kleinen Zirkel aus dem Nichts generiert und dann wieder abgezogen, abbestellt, neu aufgelegt.

Wir sehen individuell-fragmentarische Genealogiekonstrukte überall, auf Basis der puren Subjektivität, aufgestellt und ab gesichert über Referenzen: sich selbst in Kontakt zur Geschichte setzen, sich eine eigene Geschichte basteln, spezifische Ideosynkrasien zelebrieren und fortschreiben. Den Mythos erschaffen. Marke werden. Dabei zählt im Endeffekt nicht unbedingt, ob überhaupt Geld fließt.

Die 00er-, 10er-Jahre: „Gut“ sein bedeutet:
Eigene Fehler, Unfähigkeiten, Gespaltenheiten teilen, das Ich dezentrieren, Brüche, Ambivalenzen, Dissonanzen, Diskontinuitäten usw. zulassen und ausbauen.

Wir plappern nach, verklären und verkaufen das Image.
We Are: Generation Fascination!
CHOR:
(zum Mitsingen im Kanon, Text frei nach Jeff Koons, Jutta Koether oder Patti Smith)

Der Kunstmarkt war mir nie wichtig.
Wichtig war mir die Teilhabe.
Ich ersehnte die Bruderschaft der Künstler: den Hunger,
ihren Kleidungsstil, ihre Arbeitsweisen und Gebete.

Ich liebe zu tun, was getan werden muss.
Ich liebe den Thrill an der Kunst.
Ich liebe das Adrenalin.

Wir diagnostizieren: heiße Luft im Getriebe. Und immer wieder dieses Darumherumreden, dass man als Künstler Karriere nicht einfach so planen kann. Die meisten würden das ja von sich weisen, das passt nicht zum Street-Cred-Habitus. Aber es ist doch nichts weiter als Business für Kleine, der Kampf um Leadership, um das purpurne Gewand der Könige, das Goldene Vlies.

Kunst ist heute einzig Pop. Pop für NOCH Speziellere, für Verwöhnte, für verunsicherte Alpha-Nerds. Ein Schachspiel mit und gegen die Vergangenheit. P-Kunst ist Pop-Kunst, P steht für Pop, nicht für Politik. Auch Occupy ist Pop, Poccupy, Popopy – Popanz geht immer, eine bunte Komödie, die das Rad am Laufen hält. Aber wo ist denn nun die E-Kunst, die ernste?
Hm, Anselm Kiefer ist mit Courtney Love im Hotelzimmer. Aber Tom Ford als „A Single Man“ flirtet schon mit dem E. Die vergängliche Mode reicht ihm nicht.

E-Schokolade ist edelbitter, nicht zu süß. U-Schokolade: vollfett, weiße Crisp. Egal welcher Geschmack: Es ist alles Satire. Jeder weiß es. Wo man hinschaut: Kleine Idee ganz groß – und alle machen mit. Schizophren-scheinheilig und immer auf der Lauer. Jeder köchelt an seinem Süppchen in der Hoffnung, im Idealfall die richtige Rezeptur aus Diskurs-Brocken und Werk-Einlage zu finden. Was dabei herauskommen kann, ist im besten Falle ein fetter Auftritt, der dann aber wieder alle hundertprozentig überzeugt.

Geil ist auf jeden Fall, wenn Brad Pitt in Kassel Pommes isst. So pfeifen’s die Spatzen vom Dach.


ZWEITE STROPHE:
In the City, tonight. Behind the wall.

CHOR:
Brav sein, dabei sein!
Schön sein, dabei sein!
„Schlau sein, dabei sein!“ (Martin Kippenberger)

Erfolg ist Anpassungsleistung.

Aber Anpassung woran? Die Vätermütter wissen es und geben vor:
„…wir hinterfragen die Künstlerfigur. Welche ‚Performance‘ wird erwartet? Was ist Autorität? Wie kann man imperialen Gestus auseinandernehmen? Wie sich selbst?“
(Jutta Koether: www.spex.de/2009/01/29/entspannt-in-den-konjunkturen-der-sympathie-jutta-koether, Stand: 24.06.2012)

Es ist doch so: Keiner spricht von Erfolg, alle sagen: It’s all about failure.

Du sagst es. Haha, Auflösung predigen und genau damit, genau auf Linie, Weltherrschaft innehaben.

So machen wir’s.

Wir sind Hohlformen ohne tragendes Gerüst.
Wir sind die dritte Generation Hohlform.
Wir sind Raster, Klischee, Maskenzauber.
Wir sind Währung unserer Zeit. Geschmacklich abgestimmt.
Wir sind in der Mitte der Mitte, im Spielsalon.


DRITTE STROPHE:
Hypnose. Tun, was getan werden muss. Tear down this wall.

CHOR:
Ich gebe alles.
Ich suche den Kontakt zu Geistern.
Ich beschwöre die Geister.

Dringlichkeit verspüren.

Etwas tun, das alle interessiert!
Etwas tun, was einfach geil ist!
Etwas tun, was keiner vergisst!
Etwas tun, worauf alle gewartet haben!
Etwas tun, was keiner erwartet hat!
Etwas tun, was einen umhaut!

Creating Milieus, kooperieren, gemeinsam hochfliegen. Den goldenen Moment erschaffen. Vorhersehen, prognostizieren, propagieren. Den Geist treffen, ja: Spirit of the Time, we call you …
CHOR:
Ich will alles geben.
Ich suche den Kontakt zu Geistern.
Ich beschwöre die Geister.

Hören, was das Orakel spricht. Die Zeichen verstehen. Das Omen. Kult, Trance. Halluzinieren. Delirium. Katharsis. Übergang. Kontrollverlust. Sich ausschalten. Unbewusst sein. Ani miert sein. Ich-vergessen in einer geheimen Loge.

Begehren, Leidenschaft versprühen.
Wir nehmen all unsere Kraft zusammen.
Wir gehen das Risiko ein.

Wir überqueren den Hades.


EPILOG:
J. meinte immer zu mir, als wir uns kennenlernten, dass es wichtig wäre, alles anders zu machen, als man es gelernt hat. Wenn du immer eine blaue Hose hattest, nimm nur noch rote. Eingeübte Rituale und Geschmäcker konsequent kontern. Anerzogenes umdrehen und das sozusagen als Methode für das ganze Leben.

Jeden Tag etwas machen, womit man sich selbst überrascht.

„WANN HAST DU DAS LETZTE MAL ETWAS ZUM ERSTEN MAL GETAN?“ (Eastpak)

„DON’T BE A MAYBE“ (Marlboro)

„ONLY THE BRAVE“ (Diesel)


„It’s silly, no?
When a rocket blows
And everybody still wants to fly
Some say a man ain’t happy, truly
Until a man truly dies
Oh why, oh why, sign o the times

Time, time“

(Prince: „Sign ‘O’ the Times“, 1987)


26_CIMG0032.JPG (© Foto: André Marose)
26_CIMG0048.JPG (© Foto: André Marose)
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