Christian Boltanski

Pfefferberg

2007:Nov // Melanie Franke

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11-2007












Begegnete man der Installation von Christian Boltanski im Pfefferberg ohne jedes Vorwissen über den Künstler, ohne den Titel der Arbeit zu erfahren und ohne die Geschichte des unterirdischen Pfefferbergs zu kennen. Begegnete man der Installation auf rein phänomenologischer Ebene, dann, ja dann könnte man sie etwa so erleben – trial: Tief hinab führt der Weg über eine steile Stiege, führt hinunter in die unterirdischen Gänge eines Gewölbekellers. Dort unten angekommen ist es stockfinster, man hört nur einen leisen, eindringlichen Sound, ein Pochen von weit her. Dem Ton näher zu kommen, erscheint einem sofort sinnvoll, was sonst. Angelockt vom akustischen Ariadnefaden erschließt sich im Dunkeln ein Weg durch labyrinthische Gänge, die zwar nicht klaustrophisch eng, aber weitläufig und sehr feucht sind; außerdem ist es hier unten, trotz sommerlicher Hitze draußen, kühl, fast frostig.  Nach einigem Umherirren gelangt man schließlich ans Ziel: unter dem hohen Gewölbe baumelt eine Glühbirne, sie leuchtet auf und erlischt im Rhythmus, synchronisiert mit einer Tonspur, einem durchdringenden Pochen. 

Gegen die Arbeit an sich spricht nichts. Im Gegenteil, aus dem Zusammenspiel von labyrinthischem Gewölbekeller und akustischem Pochen gewinnen beide: Das Labyrinth erhält ein Zentrum, einen Minotaurus, den zu suchen, den Betrachter erst in die Undurchdringlichkeit und Verworrenheit des Ortes involviert, desorientiert. Gilt doch das Labyrinth von jeher als Ort des Schreckens, das zu durchdringen lust- wie angstvoll gleichermaßen erlebt werden kann und in dessen Zentrum die Erkenntnis in gespenstischer Gestalt hockt. So die Legende vom griechischen Mythos, nicht selten mit tödlichem Ausgang. Die mäandrierenden Gänge unter dem Pfefferberg allerdings führen zwar zum Licht, doch zunächst zu keiner Erkenntnis sondern nur zu einer spröden Glühbirne, deren Wirkung, synchronisiert mit dem pochenden Rhythmus, gesteigert wird, rein formal gesehen. Und man muss die Arbeit an sich mit dem Weg dorthin als Gesamterlebnis sehen, als Geisterbahn oder Spielplatz, dem man sich mit Spaß am Suchen, am sich verlaufen, widmet. Es ist dieser kleine Kitzel des Risikos, den man gewinnt beim Umherirren im Ruinösen an diesem als sicher geltenden Ort. Gerade in der Befreiung vom Zwang zur Erkenntnis liegt das Vergnügen der Arbeit begründet, in der Interaktion mit dem Betrachter, der sich ein Möglichkeitsfeld erschließt, dessen einziges Ziel in der Potentialität selbst begründet liegt, ohne Spielregeln. 

Doch die Arbeit will so gar nicht verstanden werden, denn das Wissen über den Künstler, sein Oeuvre, das Wissen über die Geschichte des Ortes, all das repräsentiert etwas anderes, was zwar so nicht sichtbar ist, was aber ein für allemal das unschuldige Auge trübt und den Weg zurück zur phänomenologischen Betrachtungsweise versperrt. Und genau an diesem Wissen scheitert das Experiment – error: Schon der pathetische Titel „Le Coeur“ führt ins System der Repräsentation, denn die Glühbirne flackert im Rhythmus des klopfenden Künstlerherzens, sie repräsentiert Boltanski akustisch, wozu er sich voller Pathos äußert: „Das ist mein Herz, es schlägt zu schnell, es ist krank, aber es wird mich überleben, wenn ich einmal tot bin: Es wird irgendwo weiter schlagen.“ Per Verstärker kann man in den Künstler regelrecht hineinhorchen oder den Ton als Selbstporträt begreifen. Doch die Arbeit repräsentiert noch mehr, denn Erinnerung, Körper, Tod und die Abgründe deutscher Geschichte, all das sind Themen denen sich Boltanski in seinen auf Spurensuche ausgerichteten Archiven und anderen Erinnerungsorten immer wieder zuwendet, so auch hier. Die Geschichte des Ortes, des Pfefferbergs drängt in die Installation hinein, so jedenfalls wünscht es sich der Kurator Xavier Laloulbenne, der nicht müde wird zu betonen, das die Gewölbekeller der ehemaligen Bierbrauerei während der ns-Zeit als Bunker-Anlage genutzt wurde. So gesehen ertönt das Pochen als Ausdruck einer Generation von Verfolgten, ob Opfer oder Täter. Doch die Arbeit ist weder vor Ort, noch für den Ort entstanden, war sie doch bis Anfang des Jahres noch im Institut Mathildenhöhe (Darmstadt) zu hören, wo der Künstler seine monographische Ausstellung „Zeit“ feierte. Dort war sie gleich am Anfang der Ausstellung, am Ende eines langen Ganges zu hören und wurde im Zusammenhang mit dem Thema „Zeit“ mehr als Motiv für das unabänderliche Pulsieren ablaufender Zeit, Lebenszeit, gedeutet. Weniger die Zeit, vielmehr der Rhythmus in dem das Licht flackert, dominiert in Berlin und mir gefällt die ebenfalls vom Kurator ins Feld geführte Anspielung auf die unterirdische Club-Culture im Bunker besser; denn die zu Bässen vibrierende Architektur, der Rhythmus aus Ton und Licht, all das visualisiert und vertont die Arbeit, einfach so, ohne viel Pathos.

 Christian Boltanski „Herzschlag“,
Pfefferberg,
Schönhauser  Allee 179,
www.herzschlag-berlin.de,
Mai–Juni 2007
Montage vonhundert (© )
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