Ina Weber / Haus am Waldsee

2013:May // Elke Stefanie Inders

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05-2013
















Utopische Un-Orte
/ Ina Weber im Haus am Waldsee

Das Haus am Waldsee zählt bereits seit mehr als 60 Jahren zu den führenden Ausstellungsorten für internationale Kunst in Deutschland. Und doch ist die ehemalige Fabrikantenvilla in Berlin-Zehlendorf nach wie vor ein Geheimtipp und gleichzeitig ein wohltuender Ruhepol, fernab vom Berlin-Mitte Galerien Getöse.
Die einstige Kippenberger-Schülerin Ina Weber sammelt Architekturen, oder besser gesagt, Architekturvisionen und -utopien, die sie auf Körper- und zuweilen auch auf Lilliputgröße zusammenschrumpft. Entstanden sind dabei detailgenaue Plastiken, die oftmals verwirrend genau dem Original ähneln – eine begehbare Modellbauarchitektur in verschiedenen Maßstäblichkeiten. Die Künstlerin durchforstete hierfür nicht Repräsentationsarchitektur, sondern Industriearchitektur nach 1890, Bauhausarchitektur der 20er Jahre, die 60er-Jahre-Moderne in Ost und West, Plattenbauten, Schwimmbäder, Fußgängerzonen, Tankstellen und Haltestellen der Siebziger.
Die proportionale „Verwirrungsarchitektur“ von Weber schafft mitunter eine ironische Distanz zu fortschrittsgläubigen Bausünden und gescheiterten Architekturutopien vergangener Jahrzehnte.

Gleich zu Beginn der Ausstellung wird der Besucher in eine 70er-Jahre-Fußgängerzone hineinkatapultiert. Wer kennt sie nicht, die architektonischen Scheußlichkeiten unserer Siebziger? Allerorten Waschbeton, die „Rauhfasertapete“ der Außenarchitektur, farblich aufgepeppt mit Orange, wahlweise Braun, Olivgrün oder Senfgelb. Hier wird einem lediglich ein nackter Sichtbetonblumenkübel nebst allerliebster Primelbepflanzung zugemutet, daneben eine feuerwehrrot lackierte Sitzbank, sowie der obligatorische orangene Abfallbehälter. Man möchte sich glatt hinsetzen und ein Dolomiti-Eis schlecken. Doch spätestens, wenn man versuchen würde, den Eisstil in den Schlund des Abfallbehälters zu werfen, wäre der Exkurs in eine 70er-Jahre-Kindheit beendet; der schwarze Balken ist nur aufgemalt! Also verlassen wir diese Retroscheußlichkeit und begeben uns zu den ästhetisch weitaus überlegeneren Pfennigfliesen und formschönen Rundungen eines Wartehäuschen aus Brighton. Etwas klein geraten, aber trotzdem täuschend echt wirkt auch dieses, denn Weber verwendet für ihre Nachbildungen oftmals Originalmaterialien. Direkt daneben sind zahlreiche in Beton gegossene oder aus Ton gearbeitete Gebäude postiert, die wiederum so klein sind, dass man sie in den Händen halten kann. Selbst die blau-braun glasierte Dixiklo-Plastik möchte man inspizieren, so niedlich wirkt das mitunter!

Weniger niedlich, sondern als mokant-ironische Replik auf ein menschenfeindliches Stadtmobiliar wirkt die wabenförmige Trinkerecke in mausgrauem Sichtbeton, diesmal in Originalgröße. Eigentlich handelt es sich hier wieder einmal um besonders utopisch formschöne Pflanzenbehältnisse mit integrierter Sitzgelegenheit für Fußgängerzonen. Doch die fehlende Bepflanzung samt Titel verweist unmittelbar auf den real existierenden Nutzen.
Die kubische Skulptur „Mix Café“, deren Wände, Fenster und Stockwerke keinen sinnvollen architektonischen Zusammenhang herstellen, weisen unweigerlich und weitaus direkter auf das Scheitern architektonischer Utopien der Moderne. Und trotzdem glaubt man zunächst einem funktionalen Modell gegenüber zu stehen.
Täuschung und Illusion sind bei Weber Strategien, ähnlich wie bei ihrem Lehrer Kippenberger, um einerseits den Betrachter zu verwirren und andererseits auf die Halbwertszeit von städtebaulichen Utopien zu verweisen. Die klare, prägnante und freundliche Formensprache ihrer Arbeiten schafft zwar zunächst unbedingtes Vertrauen, das aber unmittelbar in die Irre führt. Dennoch muss man sich fragen, ob dies noch eine zeitgemäße Antwort auf vergangene städtebauliche Visionen ist oder nicht eher eine retro-nostalgische Verklärung. Der Titel der Ausstellung, „HIER, Architekturen, Erinnerungen, Utopien“, verweist unmittelbar auf solche Fragestellungen. Aktuellere Ansätze aus der Urbanismusdebatte würden eine weitaus kritischere Lesart vergangener Architekturutopien ermöglichen.     
    

Ina Weber „HIER, Architekturen, Erinnerungen, Utopien“ Haus am Waldsee, Argentinische Allee 30, 14163 Berlin,
18.1.–7.4.2013
Ausstellungsansicht Ina Weber (© Courtesy Haus am Waldsee)
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