Ex Oriente Modernita?

Yashiro Ishimoto im Bauhaus-Archiv

2012:Apr // Volkmar Hilbig

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04-2012
















Ausstellungen wie diese sind Ereignisse, bei denen man über Epochen, Kunstrichtungen, Lebensentwürfe, Legendenbildung und konstruierte Vorbildinanspruchnahme hinweg reflektieren kann. Eine kaiserliche Villa, eigentlich ein in eine Gartenlandschaft integriertes und in mehreren, durchaus disparaten Etappen erbautes Landhaus aus dem Japan des 17. Jahrhunderts – von Bruno Taut für die westliche Moderne 1934 entdeckt und von einem japanisch-amerikanischen, am „New Bauhaus“ in Chicago ausgebildeten Fotografen 1954 in Szene gesetzt – wird durch, auch nach heutigen Maßstäben perfekt organisierte PR-Manpower, ab 1960 zu einer Ikone der japanischen Architektur stilisiert. Und die Fotografien davon wurden zum Maßstab für neuzeitliche, unorthodoxe Architekturfotografie. Obendrein trugen diese Fotos in ihren frühen Ausstellungen sowie das 1960 erschienene Buch „Katsura“ maßgeblich zum – entgegen der Tatsachen entstandenen beziehungsweise herbei gewünschten – Mythos von den Wurzeln der modernen europäischen Baukunst in der frühen japanischen Architektur bei.

Doch der Reihe nach und zuallererst wollen wir die wunderbaren Fotografien der Ausstellung würdigen. Yasuhiro Ishimotos Aufnahmen zeigen in zum Teil radikalen Ausschnitten, und nahe an der Abstraktion perfekt durchkomponierte Bilder der ab 1620 erbauten Villa Katsura bei Kyoto. In makelloser Schwarz-Weiß-Technik lässt er durch den völligen Verzicht auf Totalansichten den Eindruck einer ausgewogenen Komposition voller Rhythmus und Eleganz entstehen. In Wahrheit jedoch sind die, im Gegensatz zu dem auf einen Teich bezogenen ältesten Teil, später entstandenen Erweiterungen der Anlage voller zufällig und willkürlich entstandener Proportionen, Höhen und Binnenmaße. Später veröffentlichte Bilder der Villa von konventionellen Architekturfotografen lassen die Bauten mit ihren, von Ishimoto nie gezeigten Spitzdächern, wie Schweizer Alpenhütten aussehen. Schon eine Auswahl der Bildtitel lässt erahnen, wie es Ishimoto dagegen schafft, hier eine Legende voller Japanklischees auf den Weg zu bringen: „Teeraum mit Alkoven / Schlafraum mit Ablage für das Schwert / Trittsteine vor Veranda des Musikraums / mit Bambusstäben vergittertes Fenster / kaiserlicher Weg / Moosgarten / Stein zum Ablegen der Schuhe / Bildernische im Hauptraum / Blick auf Rasen für Ballspiele“ usw. Alle Aufnahmen sind von zeitloser Schönheit. In einer subtilen Abstufung von Grautönen organisieren Linien und Raster die Bildfläche, die Details innerhalb dieser Texturen wirken nicht willkürlich platziert, sondern einem Gesamtkonzept folgend und verstärken rückspiegelnd die Wahrnehmung der Strukturen. Selbst Serien sich ähnelnder Motive langweilen nie, sie schärfen eher die Konzentration. Überhaupt ist alles von einer bestechenden Klarheit und da der sichtbare Content der Fotos trotz des hohen Abstraktionsgrades nicht zu enträtseln werden braucht, gewinnen die metaphysischen Aspekte der Gestaltung der Gesamtanlage an Bedeutung. Yasuhiro Ishimotos Fotografien zeigen in vollendetem Bauhaus-Blick Aufnahmen einer japanischen Villa, die auf diesen Bildern so aussieht, wie sich der gestresste Wohlstandsbürger den mit fernöstlicher Spiritualität aufgeladenen, schlichten meditativen Rückzugsraum vorstellt. Klare Linienführung, übersichtliche Strukturen, leere Räume: das scheinbar Einfache. Fast wie eine Schwarz-Weiß-Version von Piet Mondrians Entwürfen für Ida Bienert, eben Bauhaus, Konstruktivismus, Minimalismus. Inhaltlich aber ist die Villa eben voller Verweise auf die japanische Philosophie und allein die Tatsache, dass die Villa in einer Gegend gebaut wurde, wo man den Mond besonders gut beobachten kann, zeigt die Ambivalenz zwischen sachlicher Bauausführung oder auch Ishimotos Abbildungen dieser Bauten einerseits und der kontemplativ geprägten Ausgangsidee der Erbauer andererseits.

Die weitere Geschichte dieser Fotografien ist aber mindestens ebenso spannend. 1960 erschienen sie als opulente Bildstrecke in einem von Kenzo Tange konzipierten Buch über die Villa Katsura, zu dem Walter Gropius Texte lieferte, und schon der von dem bauhausgeprägten Herbert Bayer geschaffene Einband charakterisiert dieses Buch als etwas Besonderes. Ishimoto wird mit einem Schlag berühmt, das Bild der Villa für immer geprägt und der Mythos der von japanischen Vorbildern beeinflussten Moderne erhält ein pseudowissenschaftliches Fundament. Außerdem wollte Tange nachweisen, dass die Forderungen der modernen westlichen Architektur in Japan schon in uralten Bauten erfüllt sind, was wiederum das Selbstwertgefühl der Japaner in der Nachkriegszeit heben und auch eine vorsichtige Modernisierung Japans ohne „Verwestlichung“ vorantreiben sollte. Das alles waren mehr oder weniger löbliche Vorhaben, die auch recht gut funktioniert haben (Tange erhält als strukturalistischer Architekt 1993 den Praemium Imperiale), aber nicht so ganz mit der Wahrheit kompatibel waren: Die Villa Katsura ist als Landhaus durchaus nicht typisch für die japanische Architektur des 17. Jahrhunderts, wo auch in Fernost eher barocke Bauten dominieren. Und Fotos von derart schlichten japanischen Bauten waren zu Beginn der Moderne in den Zwanziger Jahren in Europa überhaupt nicht so bekannt, als dass sie als Vorbild für die architekturgeschichtliche Entwicklung im Umfeld des Bauhauses hätten dienen können.

Eher kann man wohl von einer (nicht kongruenten) Parallelentwicklung sprechen. Das „westliche“ Entdecken des Modernen in der traditionellen japanischen Wohnhausarchitektur mit ihrer funktionalistischen Einheit von Konstruktion und Gestaltung, ihrer Sachlichkeit und dem modularen Raster auf der Basis der Tatamimaße, erfolgte nachdem Walter Gropius am Bauhaus die Ideen des Fertigteilhausbaus bereits propagiert und vorangetrieben hatte. Auch entstanden schon in den Zwanzigerjahren Bauhaus-Siedlungen, in denen die Durchdringung von Wohn- und Gartenbereich ähnlich fernöstlicher Ideale angestrebt wurde. Als man all das in älterer japanischer Architektur vorgezeichnet entdeckte, bezog man sich gern darauf, ließ die eigenen Ideen sich von dem in Japan Vorgefundenen befruchten, sodass eigene Entwicklungen und das Studium des Vorhandenen ein dialektisches Traumpaar wurden. Erst als der Stern des Bauhauses zu sinken drohte, die Postmoderne am Horizont heraufdräute und die Massenware des funktionellen Bauens zu langweilen begann, beförderte man die traditionelle japanische Architektur in eine einseitige Vorbildfunktion, um damit die Bauhaus-Ideen nochmals irgendwie zu adeln. Auch sollte die unterschwellig hineinspielende Ebene der japanischen Philosophie und Lebensweise der in die Jahre gekommenen und etwas dröge wirkenden Moderne neues Leben einhauchen. Dass die Villa Katsura dafür bestens geeignet war, wusste vor 1960 schon eine gewisse Zahl an Experten, aber erst die absolut perfekten, zugleich das Erscheinungsbild des Häuserkomplexes manipulierenden Aufnahmen von Ishimoto Yasuhiro machten sie zu der Ikone der zeitlosen, gern als „typisch japanisch“ bezeichneten Minimalarchitektur.
Diese Ausstellung bot die Gelegenheit, in der Betrachtung großartiger Fotografien zu schwelgen, oder sich auch mit der und den Geschichten um sie herum zu beschäftigen. Bleibt anzumerken, dass Ishimoto Yasuhiro während der Laufzeit der Ausstellung 90-jährig am 6. Februar 2012 in Tokio verstarb.      

„Die kaiserliche Villa Katsura“
Fotografien von Ishimoto Yasuhiro,
Bauhaus-Archiv, Klingelhöfer Straße 14, 10785 Berlin, 18. 1.–12. 3. 2012

Ishimoto Yasuhiro „Katsura: Zentraler Raum des Hauptgebäudes“, 1981/82 (© © Ishimoto Yasuhiro, Courtesy Bauhaus-Archiv)
Ishimoto Yasuhiro „Katsura: Gartentür hinter dem Eingang“, 1953/54 (© © Ishimoto Yasuhiro, Courtesy Bauhaus-Archiv)
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