High Fidelity

Kunstbibliothek

2009:Feb // Magnus Schäfer

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02-2009
















Den äußeren Anlass für die Ausstellung „High Fidelity“ in der Berliner Kunstbibliothek bildet das 60. Jubiläum der Vinylschallplatte, die 1948 auf dem Markt eingeführt wurde. Parallel dazu beginnen bildende Künstler/innen im Zuge der um 1950 einsetzenden Entwicklung von genre- und medienübergreifenden Praxisformen, in einen Dialog mit den Praktiken von Experimental- und Popmusik zu treten, so dass sich die Schallplatte auch im Kunstkontext etabliert. Anhand solcher Künstlerschallplatten und -tonbänder sowie ergänzender Plakate, Partituren und Editionen aus dem Bestand der Sammlung Marzona wirft „High Fidelity“ einen historisch orientierten Blick auf die Wechselbeziehungen zwischen Musik und Bildender Kunst seit der Zeit der Neo-Avantgarden. Fluxus und Aktionskunst agieren nicht nur im Kontext von Neuer Musik (etwa mit „Internationale Festspielen Neuester Musik“, 1963 in Wiesbaden) sondern integrieren Sound als Bestandteil ihrer performativen, oft ausdrücklich interdisziplinär angelegten Verfahren. Die musikalische Praxis von bildenden Künstler/innen ist häufig durch einen Ausschluss spieltechnischer Virtuosität gekennzeichnet, wie dies Dieter Roths Aktivitäten mit dem losen Kollektiv „Selten gehörte Musik“ oder seine im Zustand zunehmender Trunkenheit eingespielte „Radiosonate“ (1976/78) vorführen. Einige Jahre zuvor spielt Jean Dubuffet mit einer Vielzahl von Instrumenten, unter einfachsten technischen Bedingungen, eine Reihe von Stücken ein. Mit ihrer „Lo-Fi-Ästhetik“ und ihren kruden Melodien und Tonbandmanipulationen begründen seine 1961 veröffentlichten „Expériences musicales“ einen Ansatz der musikalischen Selbstermächtigung, der nicht nur bei Roth, sondern auch bei „Die Tödliche Doris“ oder in jüngerer Zeit bei dem pubertär-bunten Eklektizismus des Duos Jonathan Meese/Tim Berresheim zum tragen kommt. Die zahlreichen Veröffentlichungen mit Mitschnitten von Künstlerinterviews und -vorträgen verweisen auf das dokumentarische Potential der Schallplatte, auf das – aus ihrer jeweils eigenen Perspektive – auch Arbeiten wie Jan Dibbets „Audio-Visuelle Dokumentationen“ (1969) oder Christian Boltanskis „Reconstitution de Chansons qui ont été chantées à Christian Boltanski entre 1944 et 1946“ (1971/72) rekurrieren.

Für den akustischen Teil der Ausstellung ist man allerdings auf die Auswahl von Aufnahmen, die im Foyer zu hören sind, angewiesen. Die Ausstellung macht immerhin vierzig Beispiele zugänglich, es ist allerdings auch nicht immer ohne weiteres ermöglicht, zuzuordnen, was man gerade hört. Tatsächlich geht es „High Fidelity“ weniger um die Schallplatte als Tonträger, sondern vielmehr um Objekte – um Cover, Plakate, Partituren oder die (inzwischen) auch ästhetisch besetzten, aber eben letztlich stummen Vinylplatten, die an den Wänden und in Vitrinen zu betrachten sind. Moritz Wullen spricht in seinem Vorwort zu dem Katalog von der Künstlerschallplatte „als Kult- und Kunstgegenstand mit geradezu reliquarischem Nimbus.“ Die Präsentation der Aufnahmen von Yves Kleins „Conférence à la Sorbonne“ (1959), illustriert mit zweien seiner tiefblau gefärbten Objekte, lassen offen, was damit gemeint sein könnte. Die übrigen Vitrinen sind sachlicher gehalten, was den trotz allem archivarischen Grundton der Ausstellung unterstreicht. Die zehn Nummern des „Aspen Magazine“ (1965–71), mit den variierenden Formaten und Layouts, den Inserts und beigefügten Flexi Discs und Filmrollen lassen dann auch hinter Glas die Bedeutung ahnen, die die Materialität solcher Artefakte selbst (oder gerade) in Zeiten leichter digitaler Verfügbarkeit hat. Letztlich ist die Fokussierung auf Objekte aber auch ein Anzeichen dafür, wie schwer sich die Kunstwissenschaft nach wie vor mit Sound als Bestandteil künstlerischer Praxis tut. Zudem dominieren, wie Wolfgang Brauneis in seinem Katalogbeitrag konstatiert, bei der Beschäftigung mit der Künstlerschallplatte „das Wissen und die Auswahlkriterien von 1988“, die in die Ausstellung und den zum Standardwerk avancierten Katalog „Broken Music“ (1989) eingegangen sind. Mit dem Schwerpunkt auf den 1960er und 1970er Jahren, der nur vereinzelt um jüngere Positionen – das genannte Duo Meese/Berresheim etwa, oder die Veröffentlichungen des Labels „Eventuell“ – ergänzt wird, macht „High Fidelity“ keine Ausnahme. Das Material, das die Ausstellung ausbreitet, ist als solches komplex und vielfältig genug, um die Auswahl zu tragen. Dennoch verweist es zugleich auf die Leerstelle, die, so Brauneis, die Aufarbeitung der Geschichte der Künstlertonträger der letzten zwei Jahrzehnte bildet. Da kann man nur dem Titel seines Katalogtexts zustimmen – to be continued.

„High Fidelity“
Kunstbibliothek, Berlin
Matthäikirchplatz 6, 10785 Berlin
22.10.2008–1.2.2009  
Jean Dubuffet „Expériences musicales“, Galleria del Cavallino, Venezia 1961, SMB, Kunstbibliothek (© VG Bild-Kunst, Bonn 2008, Foto: Dietmar Katz)
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