Tacita Dean

Oppenheim, Borch Jensen

2009:Feb // Julia Gwendolyn Schneider

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02-2009












Dass Tacita Dean eine Erinnerungs-Künstlerin von ganz eigener Art ist, machen derzeit ihre zwei Berliner Einzelausstellungen deutlich. Mag das Rattern der Filmprojektoren in ihren Ausstellungen tatsächlich nostalgische Konnotation hervorrufen, so ist sie doch keine wirkliche Nostalgikerin. Mit großer Sensibilität erzeugt Dean eine Ästhetik des Verfalls, die dem Verschwinden eine poetische Nuance gibt, ohne ihm nachzutrauern.

Deans weitläufige Verbindungen zur Vergangenheit schaffen mit Hilfe unterschiedlicher Medien Erinnerungsspeicher, die darauf aufmerksam machen, dass das Vergängliche eine gewisse Schönheit hat, die in unserer schnelllebigen Gegenwart oft untergeht. Ihr Blick richtet sich nicht auf eine verflossene heile Welt, vielmehr transportiert er das Vergangene in die Gegenwart hinein. Er macht Dinge auf eine Art zugänglich, die uns berührt, weil sie einen feinsinnigen Bezug zur Welt vermittelt, der in unserer schnelllebigen Zeit oft unbeachtet bleibt.

In der Villa Oppenheim zeigt ihr Film „Michael Hamburger“ (2007) solch ein feinfühliges Porträt des im vergangenen Jahr verstorbenen Lyrikers und Übersetzers. Bezeichnender Weise steht dazu seine Apfelzucht im Vordergrund. Hamburger präsentiert uns in seinem alten Haus in der englischen Grafschaft Suffolk und dem dazugehörigen Garten alte, nicht länger kommerziell angebaute Apfelsorten und erläutert ihre Aromen, Ursprünge und Werdegänge mit großer Zuneigung. Seine geradezu zärtliche Einweisung in eine fast verschwunden Apfelvielfalt, wirft einen nachdenklich Blick auf das Thema der Vergänglichkeit, während die Äpfel, die Hamburger vor Deans Kamera zeigt, zugleich dagegen zu strotzen scheinen.

 Deans Fokus auf das, was gerade dabei ist verloren zu gehen, tritt auch im „Darmstädter Werkblock“ (2007) eindrucksvoll zum Vorschein. Behutsam tastet ihr Kamerablick die Umgebung des „Block Beuys“ im Hessischen Landesmuseum Darmstadt ab. Mit Sorgfalt und Geduld filmt sie Standbildern ähnliche Abschnitte der sieben Räume. Dabei werden vor allem die Unregelmäßigkeiten in der Wandverkleidung wie Risse, Löcher, abgetragene Ecken und reparierte Stellen sichtbar. Aber auch die zugehangenen Fenster, die Ecken und Kanten der Decke, das „Joseph-Beuys“-Schild, Notausgangsschilder, rote Kabel und der Raumbefeuchter erfahren Beachtung, nur von der Installation selbst ist kein Stück zu sehen.

Dean begutachtet die Umgebung unmittelbar außerhalb von Beuys’ Werk mit derselben Haltung, die normalerweise seiner Arbeit entgegengebracht werden würde. In der Galerie Niels Borch Jensen werden als direkter Bezug zu dem 16mm Film „Darmstädter Werkblock“ einzelne Sequenzen daraus als Fotogravüren gezeigt. Durch die Rahmung und die für analoge Aufnahmen typische Körnung, erfährt die schadhafte Jutebespannung eine weitere Akzentuierung. Plötzlich lassen die kleinen Öffnungen und Ausbesserungen in der erdfarben bespannten Wand eine Vermischung der Bereiche von Kunst und Nichtkunst als fast unausweichlich erscheinen. Es ist, als wären die Spuren selbst das Werk von Beuys, spiegeln sie doch Beuys’ Kanon an Material und Farbwahl trefflich wieder.

In der Kontroverse um die Renovierungsarbeiten im Darmstädter Museum entwickelt sich durch die Wirkung der stillen Feinfühligkeit von Deans Aufnahmen eine Art Appell die Abnutzungsspuren wertzuschätzen, oder sie zumindest zu dulden und nicht wie mittlerweile geplant, die marode Wandbespannung zu entfernen.  Auch die zum gleichnamigen Film geschaffenen Gravüren-Serie „Palast“, in der in sechs Ausschnitten Außenansichten des nun verschwundenen Palastes der Republik zu sehen sind, konzentriert sich nicht auf das bloße Erscheinen. Es wird keine Gesamtansicht des Gebäudes gezeigt, sondern über Spiegelungen in den getönten Scheiben eine Beziehung zum in unmittelbarer Nähe stehenden Dom erzeugt. Neben den fast golden schimmernden Reflektionen, die die Abendsonne in den getönten Scheiben hervorruft, wird der Verfall der umliegenden Gebäudeelemente bewusst mit einbezogen und mit der ehrwürdigen Erscheinung des Domes kontrastiert. Vergleichbar mit dem Fokus auf die Flickstellen an den Wänden im „Block Beuys“, ruft der eingeschränkte Blick auf die Palastfassade Fragen über das restliche Gebäude und seine Geschichte wach.

Als Chronistin der deutschen Vergangenheit hat Dean mitt­lerweile nicht nur dem Palast der Republik oder dem Berliner Fernsehturm einen ihrer wundersamen 16mm Filme gewidmet, in der Villa Oppenheim ist jetzt auch Berliner Flair von einer ganz anderen Güte zu sehen. „Die Regiments­tocher“ setzt sich aus 36 Berliner Opernprogrammen zusammen. Den auf Flohmärkten gefundenen Heften wurde allesamt ein Stück von der Titelseite herausgeschnitten. Aufschluss darüber, was die Leerstelle zu verwerfen sucht, geben die Erscheinungsjahre von 1942 bis 1945. Demnach ist in der Mitte des Deckblatts jeweils das Hakenkreuz herausgetrennt worden. Durch das entstandene Loch wird der Blick auf Wörter oder Bilder auf der Seite dahinter frei gegeben und eine unvorhergesehene Collageästhetik erzeugt.

Die 1965 in Canterbury geborene und seit 2000 in Berlin lebende Künstlerin entwickelt neben ihren dokumentierenden und sammelnden künstlerischen Verfahren auch eigene narrative Methoden, die ihre gefundenen Materialien durch zusätzliche Informationen und bewusst gewählte Ausschnitte kreativ ergänzen. Unter den in der Galerie Niels Borch Jensen gezeigten Gravüren befinden sich so nicht nur Auszüge aus ihren Filmen sondern auch eigenständige Werkzyklen.  Ausgangspunkt für ihre 20-teilige Fotogravüren-Serie „The Russian Ending“ (2001) sind alte gefundene Katastrophen-Postkarten zu deren Motiven unter anderem gestrandete Wale, gekenterte Schiffe und Vulkanausbrüche zählen. Diese verarbeitet Dean zu Radierungen auf die sie in weißer Schrift Instruktionen und Inschriften kritzelt. Durch diese Technik verschwimmt die Grenzen zwischen Fotografie, Zeichnung und Radierung. Sie erzeugt so etwas wie Storyboard-Bilder, die an Schlussszenen imaginärer Katastrophenfilme erinnern.

Deans Idee für die fiktiven Filmenden basiert auf einer Anmerkung von Niels Borch Jensen über die dänische Filmindustrie zu Stummfilmzeiten. Von ihm erfuhr sie, dass für den russischen Markt eine zweite tragische Schlussszene gedreht werden musste, um das glückliche Ende des amerikanischen Films zu umgehen. Ihre russischen Filmenden sind nur ein Beispiel dafür, wie Dean ausgehend von Bildfragmenten, Erinnerungsstücken und alten Fotografien neue Realitäten stiller und bewegter Bilder generiert. Ihre sorgsam durchdachten Inszenierungen entfesseln dabei die inneren Bilder in unseren Köpfen. Mit fünf aneinander gereihten Einzelbildern wird in „Blind Pan“ (2004) eine panoramatische Landschaft erzeugt, die nicht viel mehr als einen gewaltigen Sturm erahnen lässt. In der Wolkenbruchlandschaft sind keine Personen zu sehen, durch die Worte aber, die in Deans charakteristischer weißer Kreideschrift flüchtig auf der Landschaft platziert sind, wird die Konnotation einer mythologischen Erzählung entfacht. Gingen die erstgenannten Gravüren von einem zuvor entstandenen Film aus, erzeugt Dean hier eine Art virtuelles Filmskript, das mit der für sie typischen Langsamkeit und Beharrlichkeit sein poetisches Gewicht entfaltet.

Tacita Dean, „In My Manor“
Film, Fotografie, Fotogravuren
Villa Oppenheim
Schloßstraße 55
14059 Berlin
28.11.–15.2.2009

Tacita Dean, „Gravüren 2001–2008“
Niels Borch Jensen
Lindenstraße 34
10969 Berlin
28.11–21.2.2009 
Tacita Dean „Beautiful Sheffield“ aus „The Russian Ending“, 2001 (© Courtesy Niels Borch Jensen Galerie, Berlin)
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