Angst vor der Öffentlichkeit

Agoraphobia bei TANAS

2013:Dec // Julia Gwendolyn Schneider

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12-2013
















Angst vor der Öffentlichkeit
/ Agoraphobia bei TANAS

Unter dem Titel „Mom, am I Barbarian?“ fragt die 13. Istanbul Biennale nach dem  öffentlichen Raum als politischem Forum. Mit Hilfe der Kunst soll er untersucht und thematisiert werden – Meinungsfreiheit und Formen der Gemeinschaft im Stadtraum sind dabei von zentraler Bedeutung. Bereits im Mai fand bei Tanas ein Ausstellungsprolog als Auftakt zur im September folgenden Schau am Bosporus statt. Wo aber war der Bezug zu Istanbul? Er ließ sich in der Auswahl der Werke kaum finden, während das bereits Anfang des Jahres veröffentlichte Konzept der Kuratorin Fulya Erdemci explizit darauf hinwies, dass die Biennale ihr Thema vor dem Hintergrund der brennenden Situation vor Ort gewählt hätte. Erdemci fragt darin: „Was zum Beispiel bedeutet es heute ein guter Bürger in Istanbul zu sein? Sollte man sich in Mitten der unaufhaltsamen urbanen Veränderungen – diesem ‚Schlachtfeld‘ – dem Status quo fügen, oder am zivilen Ungehorsam teilnehmen?“
Ein ähnlicher Konflikt lässt sich aus zwei großformatige Fotoarbeiten von Şener Özmen ablesen. Die eine zeigt den Künstler, wie er ein Megafon mit voller Kraft zur Meinungsäußerung, allerdings wie eine gezückte Waffe, einsetzt, während er auf der anderen das Sprachrohr gegen sich selbst geradezu destruktiv an das eigene Ohr hält. Wer spricht mit welchen Parolen wen wie an? Darf ich meine Meinung äußern, oder muss ich mich den Vorstellungen der Staatsmacht fügen? Özmens Megafonarbeiten werden zur Metapher für die diffizile Situation in der Türkei.
Die eindrücklichste Arbeit – vor der sich zur Eröffnung eine nicht abebben wollende Zuschauermenge versammelte – ist eine Aufzeichnung von Amal Kenawy (1974–2012) Performance „Silence of Sheep“ (2009), in der die Künstlerin eine Schar Männer, auf allen Vieren kriechend, durch Kairos Straßen führte. Fassungslose Blicke, lautes Gehupe und empörte Zurufe begleiteten die Gruppe, bis die Polizei mit Verhaftungen das Ende einläutete. Das Video zeigt die feindliche Reaktion auf die künstlerische Aktion einer Frau, die sich gegen die traditionelle, religiös verankerte patriarchalische Vormachtstellung in ihrer Gesellschaft wendete. Die provokative Performance brachte noch vor dem Arabischen Frühling Konflikte zum Vorschein, die unterschwellig bereits am Brodeln waren.
Während Kenawys Video direkt im Ausstellungsraum ertönt, als wären wir live am Ort des Geschehens, taucht „Confronto“ (2005) von Cinthia Marcelle in die nächtliche Atmosphäre von Belo Horizonte in Brasilien ein. Fackeljongleure werden an einer Straßenkreuzung gefilmt, wie sie immer zahlreicher werden, bis sie nebeneinander stehend die gesamte Straße besetzen und ein lautes Hupkonzert ertönt. Auch hier ein Bild der Konfrontation. Wo fängt die Freiheit des einen an und hört die des anderen auf? Marcelle wirft einen kritischen Blick auf das Zusammenleben in der Stadt und das mit einer Arbeit, die unbeschwert ästhetisch daher kommt. Im Fokus steht eine Alltäglichkeit, die zur kollektiven Aktion, einer Form des zivilen Ungehorsams, wird.
Mit Mierle Laderman Ukeles wurde eine spannende historische Position gewählt, die exemplarisch dafür steht, dass Kunst nicht erst seit heute den öffentlichen Raum thematisiert. Die Erfinderin der „Maintenance-Art“ drückte ihre Wertschätzung des „Gemeingutes“ Anfang der 70er-Jahre mit symbolischen Waschungen von Bürgersteigen aus, etwa vor ihrer New Yorker Galerie. In „Touch Sanitation“ (1978–80) ihrer wohl berühmtesten Arbeit, die in Berlin allerdings noch nicht gezeigt wurde, aber dafür in Istanbul, schüttelte sie mehr als 8.500 Arbeitnehmern der New York Stadtreinigung die Hand und dankte ihnen dafür, dass sie ihre Stadt am Leben erhalten.
Mit elf Positionen war es eine kleine, konzentrierte Schau, die nicht das Lokale, sondern das Globale der Thematik in den Vordergrund stellen wollte. Nur ihr Titel: „Agoraphobia“, verwies sehr wohl auf die Situation vor Ort, auch wenn dies nicht durch künstlerische Arbeiten untermauert wurde. Erdemcis Text über den konzeptuellen Rahmen der Biennale verknüpfte aber die räumliche Politik der Regierung bereits mit dem Konzept der „Agoraphobia“, und wie schließlich die Ereignisse kurz nach der Eröffnung zeigten, war diese Verbindung tatsächlich nicht aus der Luft gegriffen. In diesem Wort lag nun ein Bezug zu Istanbul, der aktueller nicht sein konnte. Er beschrieb plötzlich jenes Verhalten, das die türkische Regierung demonstrierte, als sie mit unfassbarer Härte auf den Versuch, seine Meinung frei zu äußern, reagierte. Der altgriechische Begriff der „agora“ meint sowohl die Versammlung von Menschen als auch den Ort der Versammlung, während die „phobia“, die Angst vor der Menge oder vor offenen Plätzen verkörpert, die sinnbildlich auch als Angst vor freier Meinungsäußerung und kollektiven öffentlichen Aktionen zu verstehen ist.
Eigentlich wollte Erdemci mit der Kunst an die umstrittenen Orte im öffentlichen Raum gehen, um auf die Misslage der räumlichen Veränderungen aufmerksam zu machen, die die Regierung des Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdoğan durch eine rein ökonomische Stadtentwicklungspolitik erzeugt. Es war ein Konzept, dass nicht näher am Keim dessen, was Istanbul beschäftigt, hätte liegen können und sich Ende Mai durch die Gezi-Park-Bewegung entzündete. Das Leben war schneller als die Kunst. Protest und Widerstand sind nicht nur Thema der Biennale, sie fanden bereits zuvor auf der Straße statt und überraschten mit einer heterogenen Protestgemeinschaft, die von keiner politischen Organisation gesteuert wurde. Erdemci machte es nichts aus, dass ihr die „Show“ gewissermaßen gestohlen worden war, ganz im Gegenteil, dafür kam schließlich etwas, wovon sie nur hätte träumen können.
Während der Prolog bei Tanas durch die politische Aktualität zu lobenden Besprechungen führte, geriet die Biennale durch die Ereignisse in eine Zwickmühle. Die Aktivisten warfen ihr vor, durch Sponsoren gefördert zu werden, die selbst den kapitalistischen Stadtumbau vorantreiben würden, während das Bespielen der brisanten Stadtzonen immer unwahrscheinlicher wurde – brauchte man dafür doch Genehmigungen von jenen Autoritäten, die die freie Meinungsäußerung der Bevölkerung unterdrücken. Schließlich fand Erdemci, dass vor diesem Hintergrund jede Erlaubnis sowieso problematisch sei und entschied drei Monate vor der Eröffnung, den öffentlichen Raum nur noch mit Arbeiten, die im Innenraum gezeigt werden, zu betrachten. Das groß angelegte stadtübergreifende kuratorische Konzept mündet somit in einen leisen Rückzug, den viele kritisieren, Erdemci selbst aber als ein politisches Statement versteht. Tatsächlich lag ein Stück weit Ernüchterung in der Luft, aber warum sollte die Kuratorin nun zur Anführerin der Revolution werden, die mit ihrer Künstlertruppe „aufmarschiert“ und den allabendlich auf der Haupteinkaufsstraße provokativ bereitgestellten Polizeitruppen der Regierung den nächsten Grund zum Einsatz gibt? Das wäre spektakulär und konfrontierend. Erdemci setzt aber nicht auf Kunst als eine Form des politischen Widerstandes, für sie liegt deren Stärke durchaus in einer politischen Relevanz, die aber reflektierend und ein Stück weit von Autonomie geprägt ist. So ist es eigentlich nur konsequent, dass die Biennale sich jetzt in Innenräume zurückzieht – dies allerdings ohne Eintrittsgeld und so für alle zugänglich gemacht.    

„Agoraphobia“, Prolog zur 13. Istanbul Biennale,
TANAS, Heidestraße 50, 10557 Berlin, 25.5. – 27.7. 2013

TANAS schließt zum Jahresende.
Dank an René Block für sechs Jahre Präsentation
einer hier fast unbekannten Szene!

„Silence of Sheep“, 2009, Stills: The Amal Kenawy Estate (© Amal Kenawys)
„Silence of Sheep“, 2009, Stills: The Amal Kenawy Estate (© Amal Kenawys)
Şener Özmen aus der Serie „Untitled (Megafon)“, 2005, Courtesy Şener Özmen und Pilot Galeri, Istanbul (© )
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