Wolfgang Tillmans

Hamburger Bahnhof

2008:Jul // Anne Marie Freybourg

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07-2008
















Die ersten Fotografien von Wolfgang Tillmans erschienen in Magazinen wie „spex“ und „Tempo“ und fielen dort sofort auf. Spätestens seit Tillmans 2000 den renommierten Turner-Preis erhielt, sind seine Arbeiten in die heiligen Hallen zeitgenössischer Kunstmuseen eingezogen.

Der Hamburger Bahnhof präsentiert sein Werk jetzt mit einer großen Ausstellung. Auch wenn diese Ausstellung für Berlin einen gewissen Nachholbedarf stillt, hätte sie nicht so umfangreich zu sein brauchen. Mit der Wiederholung vieler ähnlicher Werkkomplexe wird Tillmans Kunst eher ausgewalzt und der Betrachter ermüdet. Eine knappere Werkdarstellung hätte es wahrscheinlich besser geschafft, den besonderen Schwung der Bilder dem Betrachter zu vermitteln.

Denn Tillmans Fotografien verblüffen, regen an und verzaubern. Sie wirken in ihrer ästhetischen Unverkrampftheit wie das Tollen eines jungen Hundes. Gleichzeitig bestimmt das Werk ein interessantes Bildkonzept. Tillmans macht in seinen Aus­stellungen deutlich, dass nicht allein das Abgebildete,­ sondern die vielen Entscheidungen, ob eine Fotografie groß oder klein, auf welchem Material, in welchem Abstand, Rhythmus zueinander, in welcher Abfolge, auf der Wand und im Raum montiert präsentiert wird, unser Verstehen von Bildern wesentlich beeinflusst.  

Fotografie bewegt sich als alltägliches wie künstlerisches Medium immer in der Spanne von Information und Ästhetik, Dokumentarischem und Stilisiertem. Im Laufe der gut 160-jährigen Geschichte der Fotografie entstanden Bildkonzepte, die das Foto unterschiedlich als authentisches Dokument, Momentaufnahme oder hochstilisiertes Kunstbild fassten. Heute pendelt die Fotografie zwischen elaborierter Inszenierung und Betonung des Zufälligen. Wolfgang Tillmans hat eine ebenso raffinerte wie überraschende Mischung dieser beiden Pole entwickelt. Als seine Bilder vor rund 25 Jahren zum ersten Mal in Galerien auftauchten, verblüfften sie. Sie überführten das zu Beginn der Fotografiegeschichte als wesentliche geltende Charakteristikum – das authentisch aufgenommene Bild – in eine völlig neue Form von Authentizität.

Tillmans begann als Szenefotograf der jungen ‚Club Culture‘. Das prägte seine Auffassung des fotografischen Bildes und sein Verständnis der Produktion und Zirkulation von Bildern. Tillmans war und ist so etwas wie ein ‚embedded artist‘, der mitten im Geschehen ist, es aber nicht als distanzierter Dokumentarist, sondern als Teilnehmer registriert. Weil Tillmans Bilder unmittelbar mit der Lebenswelt der subkulturellen Clubszene verbunden sind, lassen sich die Aufnahmen auch nicht mehr als subjektive oder objektive Fotografie kategorisieren. Die Bilder sind zudem direkt in die Artikulation des Selbstbildes dieser Subkultur involviert. Tillmans spielerisches Vermischen von Zufall und Inszenierung war und ist ein Konzept von Authentizität, das sich auf der Höhe der soziologischen Analyse der sozialen Welt bewegt.  

Subkulturen sind heute geprägt durch den Wunsch nach Selbstverwirklichung und durch einen hohen Grad an Kommodifizierung, in der alles und jedes Warencharakter annimmt. Selbstverwirklichung und Kommodifizierung werden aber nicht mehr als Gegensätze begriffen. Das eine ermöglicht gerade erst das andere. Ohne Konsum entsteht heute nicht mehr die Wirklichkeit eines Selbst. Tillmans ist der kongeniale Künstler dieser Kultur, weil er mit seinen Bildern das perfekte Image dazu liefert. Der scheinbar antiformalistische Gestus der Bilder bedient den radikalen Kodex der Subkultur: Hier Tabubrüche und Grenzüber­schreitungen, die sich bewusst an der Grenze zur Verwahrlosung bewegen und dort rüde Kompositionen, die gegen Bildkonventionen verstoßen und sogar nachlässig erscheinen.                         

Das herkömmliche Verständnis von Authentizität, verknüpft mit hehren Vorstellungen von Wahrheit und Wahrhaftigkeit, gilt nicht mehr. Heute wird Authentizität als soziale Konstruktion verstanden. Heute geht es in den differenzierten Lebenswelten darum, für das soziale und das emotionale Selbst eine Bühne für die öffentliche Inszenierung zu finden. Wie sich dabei kulturelles High und Low mischen, so  vermischen sich in Tillmans Fotografien Authentizität und Aufmerksamkeitserzeugung. Die Bilder sind fast lapidar, haben das Flair einer lässigen Anti-Form und doch ist die Abweichung von standardisiertem Sujet und Technik markiert und offensichtlich.   

Die Fotografien Tillmans sind mit einem guten Auge für eine leicht danebensitzenden Kadrage aufgenommen, die sich gleichsam der Unordnung der Situation anpasst: das Foto von be­liebigen, auf einem Fensterbord abgestellten Alltagsgegenstände und einer dazwischen gestellten Kunstpostkarte oder das Foto vom halbaufgegessenen Bordmenü auf dem Servier­tablett im Flugzeug mit dem halb daraufliegenden Penis. Die Bilder sind informell und unübersichtlich. Jedoch gibt es in dieser Unübersichtlichkeit fast immer ein Überraschungsmoment, das in zweifacher Weise funktioniert. Als subtiles „punctum“, das uns als fotografisch stillgestelltes „Jetzt“ berührt und das nach Roland Barthes jede bessere Fotografie besitzen sollte. Und als gut platzierter Aufmerksamkeits­reißer, der so in das Bild eingebaut ist, dass er nicht plakativ ins Auge springt und nicht den Rest des Bildes verdrängt. Die Bilder nehmen also auf den ersten Blick scheinbar den Moment auf und auf den zweiten Blick sind sie offenkundig eine präzise austarierte Konstruktion. Dies gilt ebenso für die Anordnung der Bilder auf der Wand wie im Raum. Tillman hat ein gekonntes Spiel zwischen dem Scheinbaren und dem Offensichtlichen entwickelt, das die fotografischen Grundformen spielerisch aufgreift und umstülpt.

Betrachtet man dies soziologisch, dann passt dieses Spiel sehr genau zu den Mechanismen der Popularität, die in Subkulturen auf einer offenkundigen Nicht-Konformität beruht. Vieldeutigkeit der Formen ist dabei extrem wichtig. Statt wie früher hochgradig verschlüsselt und nur für Eingeweihte dechiffrierbar zu sein, zielen heute die Bilder auf eine vieldeutige und offene Botschaft, die Projektionen und Erwartungen aufnehmen und bedienen kann. Tillmans Bilder arbeiten mit dem Spontanen, Zufälligen und Momenthaften, dem Schnappschuss und dem Sekundenbruchteil des Aufnehmens. Sie helfen die große Illusion der Authen­tizität zu erzeugen, die das soziale Leben im Zeitalter des narzisstischen Individualismus braucht, und doch wird Authentizität immer als Inszenierung, als bildliche Repräsentation gesetzt. Das eben noch situativ entstandene Geschehen wird in den Aufnahmen Tillmans genauso umarrangiert und gestylt wie die Partygäste ihre spontanen Körperhaltungen in Bruchteilen von Sekunden zu Posen umbauen.  

In seiner neuesten künstlerischen Etappe untersucht Tillmans die abstrakte Form und entwirft Bilder wie die Nahaufnahmen von Papierkartons, das geknitterte, farbige oder grau belichtete Fotopapier oder die extreme Vergrößerung eines Zeitungsfotos. Fotografie wird hier, auf ganz andere Weise als bisher, als eine Mischung von technischer Wahrheitsproduktion und ästhetizistischem l’art pour l’art vorgeführt. Die Bilder sind schön und huldigen einer modernistischen Form. Die Fotografien verbleiben jedoch in einer linearen Abstraktionssteigerung, d.h. in einer eindimensionalen Abstrahierung dessen, was heute als bildliche Abstraktion schon vorliegt. In seiner Begeisterung für die Reduktion auf Licht, Farbe und Schatten fasst Tillmans Abstraktion eher unterkomplex. Abstraktion ist hier nicht eine dialektische Reflexion des Verhältnisses von Medium und Bildkonzept. Das Auffalten des Bildes vom ikonisch-mimetisch Abgebildeten zum konstruierenden Abbilden und ein reflexiver Prozess des Abstrahierens, wenn das Abbilden sich am Abgebildeten spiegelt und das so neugewonnene Abbild wiederum zum Anstoß für neue Abbildungsprozesse wird, findet hier nicht statt. Vielleicht, weil ein ‚tertium comparationis‘ fehlt, ein außerhalb der Fotografie liegendes Vergleichsmoment, an dem sich eine Dialektik der Form entzünden könnte. Bei Tillmans scheint dieses Vergleichsmoment in das Archivmaterial seines „Truth S­trudy Centers“ ausgelagert zu sein. Vielleicht ist diese Separierung der Preis, den ein Künstler, der als embedded artist begonnen hat, zahlen muss, um sich zu befreien und um zu einer künstlerisch autonomeren Position zu gelangen.

Wolfgang Tillmans „Lighter“
Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart, Berlin
Invalidenstraße 50–51
21.3.–17.8.2008
Wolfgang Tillmans „Paper Drop“, 2001 (© Courtesy Daniel Buchholz)
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