Gespräch mit Douglas Gordon

2008:Nov // David Ulrichs

Startseite > Archiv > 10-2008 > Gespräch mit Douglas Gordon

10-2008
















In einem Café in Berlin-Mitte sitzt mir ein stark tätowierter, Earl-Grey-schlürfender Schotte gegenüber. Es ist der Künstler Douglas Gordon, der mit seinen beiden Videoarbeiten „24-Hour Psycho“ (1993) und „Zidane: A 21st Century Portrait“ (2005) über die Grenzen der zeitgenössischen Kunstszene hinaus bekannt wurde. Schon die Titel dieser Werke verraten uns seine beiden großen Leidenschaften: Film und Fußball. Im zarten Alter von dreißig Jahren wurde seine Arbeit mit dem prestigeträchtigen Turner Prize ausgezeichnet; das war 1996. Dieses Jahr wurde er in die Jury des 65. Venedig-Filmfestival berufen. Wenn Douglas Gordon nicht Kunst macht, schreibt er eine Gastronomiekolumne im französischen „Playboy“ oder spielt gerne eine Runde Golf in St. Andrews.

David Ulrichs  / Auch wenn deine Werke oft als Filme gelten, haben sie doch selten eine narrative Struktur. Wie fühlt es sich an, einer Jury anzugehören, die narrative Filme beurteilt?

Douglas Gordon  /  Wenn ich mich eines filmischen Werkes annehme, dann zerstückele ich es normalerweise und gebe ihm mehrere Identitäten: Es ist, als ob ich aus einem stinknormalen Typen einen Psychopathen machen würde. Ich hole etwas aus dem Film heraus, was immer schon da gewesen ist, aber größtenteils unbeachtet blieb. Trotzdem versuche ich das Original in der Summe der Identitäten, die ich kreiere, beizubehalten. Im Großen und Ganzen dulde ich Erzählungen!

Ulrichs  /  Das trifft besonders auf dein Durchbruchswerk „24-Hour Psycho“ zu, welches ein Stück Kinokultur aufnimmt und den Film auf vierundzwanzig Stunden ausdehnt.

Gordon  /  Indem ich die Handlung verlangsame, fällt sie in sich zusammen und gebärt stattdessen eine Reihe von Mikrohandlungen, denen man kaum noch folgen kann. In meinem Film „Zidane: A 21st Century Portrait“ versuchte ich mich hingegen an nur ein Sujet zu halten …

Ulrichs  /  … aber womöglich weil du bei dem Film zusammen mit Philippe Parreno Regie geführt hast, schwingt dort auch eine Art Doppelcharakter mit.

Gordon  /  Genau, aber ich sehe darin kein Problem; ich sehe schließlich die Welt auch mit zwei Augen! Ulrichs  /  Du warst nicht der erste, der eine Verlangsamung in seinem künstlerischen Werk benutzte, und du bist mit Sicherheit auch nicht der letzte gewesen. Wie hat sich die Idee der Verlangsamung in Ihrem Werk entwickelt?

Gordon  /  Nach dem Erfolg von „24-Hour Psycho“ bekam ich mit, dass ich für den Rest meines Lebens alles verlangsamen könnte – zum Teil tat ich auch genau das! Mittlerweile ist aber die Herausforderung eine andere, nämlich, etwas langsamer erscheinen zu lassen, als es in Wirklichkeit ist, ohne dass dieser Prozess vom Zuschauer bemerkt wird. Indem ich einen Film in einer bestimmten Art und Weise aufnehme, kann ich die Zeitwahrnehmung des Zuschauers beeinflussen: manche Sequenzen werden langsamer empfunden, als sie es in Wirklichkeit sind. Wenn man davon überzeugt ist, dass die Zeit langsamer vergeht, zieht das Leben womöglich schneller an einem vorbei als man denkt!

Ulrichs  /  Die Verlangsamung der Zeit steht im krassen Gegensatz zum heutigen Alltag, denn der wird ja immer schneller…

Gordon  /  Auch wenn wir nach der Uhr leben, ist die Zeit kein Instrument, jedenfalls keines, welches wir je werden spielen können. Für mich ist Zeit so etwas wie ein geheimnisvolles Gewürz, dessen Auswirkung auf das Essen unvorhersehbar ist. Mit anderen Worten: Ich esse lieber langsam als Fastfood!

Ulrichs  /  Wie wirst du die Rolle als Mitglied der Jury des 65. Venedig-Filmfestival ausfüllen?

Gordon  /  Seit der Geburt meines Sohnes vor sechs Jahren habe ich nur „Die Simpsons“, „Charlotte’s Web“ und „Finding Nemo“ im Kino gesehen. Ich freue mich riesig darauf, wieder ins Kino zu gehen. Zusammen mit vielen Fremden in einem großen, dunklen Raum zu sitzen, ist mit einem Ritual vergleichbar. Sonst schaue ich Filme eher von meinem Bett aus, und meine Aufmerksamkeit ist dort nicht immer auf die narrative Struktur des Films gerichtet; aber sollte ich in Venedig in derselben Reihe wie Wim Wenders sitzen, so würde das bestimmt meine Aufmerksamkeit auf das Wesentliche richten!

Ulrichs  /  Wie wirst du die Filme bewerten?

Gordon  /  Meiner Meinung nach vertrete ich den ‚Un-Durchschnittsbürger‘, so dass ich die Filme so anschauen werde wie jeder aus dem Publikum, der genauso unberechenbar ist wie ich. Ich bin also genauso ‚un-qualifiziert‘ wie jeder andere. Aber die Besetzung der Jury ist bemerkenswert; sie besteht aus Regisseuren, ‚Überregisseuren‘, Schauspielern und Schauspielerinnen.

Ulrichs  /  Du sagtest gerade ‚Überregisseur‘. Ich vermute, du meinst damit Wim Wenders. Was erhoffst du dir von eurer Zusammenarbeit?

Gordon  /  … gerade gestern hatte ich einen Besichtigungstermin in einer leerstehenden Nachbarwohnung! Es ist schon irgendwie merkwürdig, dass ich darüber nachdenke, mich in Berlin niederzulassen, einer Stadt, die in Wenders Film „Himmel über Berlin“ mythologisiert wurde. Gerade hier, wo wir sitzen, unweit vom Checkpoint Charlie, und dieses Interview führen, denke ich: Wenn ich jetzt aus dem Café gehe, treffe ich Peter Falk auf der Straße. Meiner Meinung nach ist die Besetzung in dem Film perfekt. Hinsichtlich der Zusammenarbeit mit dem ‚Überregisseur‘: Vermutlich werde ich mich mit ihm über die Filme so unterhalten wie neulich mit Freunden über das Spiel Hertha BSC gegen Liverpool FC. Wir werden über ein 90-minütiges Ereignis reden, werden herausfinden, was langweilig oder aufregend war. Auch wenn ich Wim Wenders noch nie getroffen habe, nehme ich an, dass er ein Hippie war. Ich schätze mich eher als Punk ein. Daraus kannst du selbst deine Schlüsse ziehen. Wie Johnny Rotten schon sagte: Never trust a hippie!

Ulrichs  /  Ich sehe, du vergleichst gern Fußball mit Film. Für „Zidane: A 21st Century Portrait“ arbeitetest du als Regisseur in der Filmbranche, also als Filmemacher. Wie war das?

Gordon  /  Weißt du, die Entstehung des Zidane-Films lehrte mich die Freiheit, die ich als Künstler habe, zu schätzen. Filme für die Filmindustrie zu machen, das ist etwas ganz anderes als für sich selbst zu arbeiten: Dort gibt es Termine, die eingehalten werden müssen. Das Timing ist in dieser Branche unabdingbar. Als Künstler kannst du entweder die Arbeiten im Voraus produzieren oder das Unvermeidliche aufschieben!

Ulrichs  /  Wie war es, mit Zinédine Zidane zusammen zu arbeiten?

Gordon  /  Zidane bleibt uns ein Rätsel, aber ich denke, unser Film über ihn ist ein gut getroffenes Abbild dieses Rätsels. Unser Portrait hat nicht den Anspruch, seine Persönlichkeit unverrückbar festzunageln, sondern es geht uns vielmehr darum, dem Zuschauer die Möglichkeit zu geben, in die Haut dieses Fußballstars zu schlüpfen, ohne dessen Flügel zu stutzen.

Ulrichs  /  In deinem neusten Werken arbeitest du auffallend häufig mit Tieren, auch Zidane tiegert vergleichbar einem Tier über das Spielfeld, aber verliert nie den Überblick. An welches Tier erinnert Sie Zidane?

Gordon  /  Natürlich an eine Sphinx… dann passt er auch nach Venedig!

Ulrichs  /  1970, während eines Ligafußballspiels, richtete der deutsche Regisseur Hellmuth Costard acht Kameras auf den Fußballer George Best und nahm seine Bewegungen über neunzig Minuten lang auf.

Sechsunddreißig Jahre später wird dein Film „Zidane: A 21st Century Portrait“ veröffentlicht; gezeigt wird ein legendärer Fußballspieler bei der Arbeit, aufgenommen von siebzehn Kameras. Ist diese Parallele ein Zufall?

Gordon  /  Als wir die Filmbearbeitung halbwegs abgeschlossen hatten, entschlossen wir uns, den Costard-Film anzuschauen, um sicher zu gehen, ihn nicht kopiert zu haben. Der Film war damals vergriffen, also flog Philippe ins Deutsche Filmarchiv nach Berlin. Er machte dort heimlich eine Raubkopie von dem Film und brachte diese zurück nach Paris, damit ich sie mir ansehen konnte. „Fußball wie noch nie“ war zu diesem Zeitpunkt ein wenig bekannter Film, aber wir wollten wissen, was er zeigte und waren uns sicher, dass es verbitterte deutsche Stimmen geben würde! Aber im Ernst, seit unserem Zidane-Film schenkte man Costards Film viel mehr Aufmerksamkeit. Das ist doch sehr positiv zu werten.

Ulrichs  /  Wo stellst du zur Zeit aus?

Gordon  /  Vor ein paar Wochen eröffnete eine große Ausstellung von mir in Avignon, in der Grande Chapelle du Palais des Papes.

Ulrichs  /  Wie ging es dir dabei, an solch einem sakralen Ort auszustellen?

Gordon  /  Es war ziemlich respekteinflößend. Soweit ich weiß, stellten außer mir dort nur Bill Viola und Pablo Picasso aus. Ich filmte in den heiligen Gemäuern Tiere und stellte die Videoarbeit dann in denselben Räumen aus.

Ulrichs  /  Die Liste deiner Auszeichnungen ist eindrucksvoll: Hugo Boss Prize, Roswitha Haftmann-Preis, Nominierung für die Goldene Palme in Cannes und natürlich den begehrten Turner Prize im Alter von 30. Ist da noch eine Steigerung möglich?

Gordon  /  Mir würde es nichts ausmachen, den Turner Prize nochmal zu gewinnen. Ich glaube, beim dritten Mal darf man ihn behalten …

Ulrichs  /  Der Turner Prize ist nicht der Jules-Rimet-Pokal!

Gordon  /  Trotzdem wäre ich sehr gern das Brasilien der Kunstwelt! 

Von den 21 Filmen im Rennen für den Goldenen Löwen 2008 in Venedig gewann schließlich The Wrestler von Darren Aronofsky mit Mickey Rourke in der Hauptrolle. Auch wenn Douglas Gordon Fußball vorzieht, passt diese Auswahl zu ihm wie die Faust auf’s Auge! 
Microtime für Seitenaufbau: 1.32307910919