Phoebe Washburn

Deutsche (Bank) Guggenheim

2007:Nov // Wolf von Kries

Startseite > Archiv > 11-2007 > Phoebe Washburn

11-2007
















Als Recycling wird die Arbeitsweise von Phoebe Washburn gerne charakterisiert, deren Werke größtenteils aus wieder verwerteten Materialien bestehen, die sie bei ihren Streifzügen durch die Industriezonen New Yorks sammelt. Das Ergebnis sind meist raumgreifende Installationen auf der Basis von Zeitungen, Holzplatten, Plastikbechern oder Steinen, die Washburn zu organisch wuchernden Systemen komponiert. Während ihre älteren Installationen eher von formalen Fragestellungen nach Material, Volumen und Raum geprägt zu sein schienen, hat sie in den letzten Jahren das Prinzip Recycling zunehmend auch in seinem ökonomisch-ökologischen Potential für sich entdeckt und ihre Arbeiten auch als Kommentar zu den globalen und sozialen Auswirkungen von Abfall und dessen Wiederverwertung entwickelt.  

Die bisher am weitesten in diese Richtung tendierende Arbeit hat Washburn nun für die Deutsche Guggenheim entwickelt. Sie besteht nach ihrer eigenen Beschreibung aus einer „Fabrik, die Rasenstücke für ihr eigenes Grasdach erzeugt, wo diese allmählich verdorren“ und das trifft es im Kern. Spannend bei Washburns Arbeiten sind aber oft weniger ihr Kern, sondern die Konstruktion um ihn herum. Wenn man den Ausstellungsraum betritt, fällt einem dann auch zuerst eine Bretter-Plastikplanen-Konstruktion genau gegenüber dem Eingang auf. Dieser Hybrid aus Gewächshaus und Geräteschuppen enthält neben Kästen mit Gras in unterschiedlichen Wachstumsstadien allerlei Garten- und Gärtnerbedarf. Die hierdurch angedeutete Arbeitsatmosphäre wirkt durch die offensichtliche Inszenierung in ihrer Detailverliebtheit jedoch nicht authentisch und soll es wohl auch nicht. Es wird Gärtnerei gespielt, wobei das Spiel erkennbar vor dem Gärtnern kommt. Immerhin das Gras wächst.

Gleich neben dem Eingang noch ein Verschlag für Blumenerde, an dem ein neongelbes Logo prangt, anarchistisch mit Schablone aufgesprayt, welches an den unverhofftesten Stellen der Ausstellung erneut auftaucht. Das Logo erinnert an ein elliptisches Zahnrad, das sich aber unschwer als stilisierte Fließbandanlage (dem Herzstück der Rasenproduktion) identifizieren lässt. In der Tiefe des Raumes dann tatsächlich die Rasenfabrik, die sich majestätisch als seicht ansteigender Hügel präsentiert. Ein auf den ersten Blick eindrucksvolles Bauwerk, das trotz seiner Klobigkeit den Raum einnimmt, ohne ihn zu erdrücken. Sein Dach ist komponiert aus hunderten gesammelten Holzstücken und Latten unterschiedlichster Größe und Form, auf denen mit der Zeit von oben absteigend Reihen der vorerwähnten nunmehr verdorrenden Graskästen platziert wurden. An den Seitenwänden geht man entlang zur ansteigenden Hinterseite des Baus, vorbei an kleinen Fenstern, die einen Blick in das Innere der Konstruktion gewähren: Das Fließband, das im Viertelstundentakt weitere Graskästen im Kreislauf zwischen Aquarien mit kleinen bunten Steinen oder Bewässerungs-/Beleuchtungsanlagen bewegt. Hinten angekommen, steigt man in das Innere des Fabrikhügels hinab und stellt überrascht fest, dass die Fließbandanlage auch von innen nur durch kleine Fenster betrachtet werden kann, die Fabrik sich also in einem abgeschlossenen Grenzbereich zwischen Drinnen und Draußen befindet. Auch im Innenbereich dasselbe Wechselspiel zwischen Verspieltheit und kalkuliertem Effekt: Ein Wasserkanister der vermittels einer Pumpe zum Brunnen mutiert, Neon-Etiketten scheinbar chaotisch an die niedrige Decke geklebt, eine Packung Bleistifte, Radiergummi, Bleistiftanspitzer und in der Fließbandzwischenzone ein Fisch-Köder (Wobbler), absichtsvoll hinter einem der kleinen Fenster platziert.  

Dieser bunt schillernde Köder ist vielleicht symptomatisch für die ganze Installation. Als Schauobjekt umgeben von Aquarien ohne Fische wird er seiner Funktionalität beraubt zur Metapher. Ebenso verhält es sich mit der ganzen Anlage. Ihre Funktionalität ist nur inszeniert, wodurch die Arbeit in krassem Kontrast zu den Installationen von Künstlern wie Simon Starling oder Michael Sailstorfer steht, deren absurd anmutenden Produktions- bzw. Destruktionszyklen oft streng funktional konzipiert sind und in denen der Transformationsprozess das Eigentliche der Arbeit ist. Bei Washburn ist die nur inszenierte Funktionalität dagegen eher Grundlage für einen erfrischenden Ausflug in die Welt des Imaginären. Dieser Spagat zwischen makroökologischer Metapher und persönlichem Mikrokosmos kann spannend sein, wenn er denn gelingt. Gelungen ist jedenfalls das Spiel der Formen, Dimensionen und Referenzen mit dem  Washburn die in der Rasenfabrik angelegte Dialektik zwischen (chaotischer) Natur und industrieller Ratio mit subtilen Gesten zitiert, überzeichnet und schließlich aufhebt. Das fängt an bei kleinen Details wie dem Golfball im Aquarium, mit dem sie die Weite von Golfplätzen ebenso evoziert wie die kleinen Naturkompositionen in heimischen Aquarien. Diese Doppelung von „künstlicher“ Natur, Drinnen und Draußen, Mikro- und Makrokosmos, wird auch in der Architektur selbst gespiegelt, die außen einem Hügel und innen einer Laborsituation ähnelt, während die Rasen-Maschine in der Trennwand zwischen diesen beiden Ebenen ihre Kreise zieht. Auch das Holzplatten-Stückwerk des Dachs erinnert an die geometrisch zerschnittenen Landschaften, die man beim Flug über ländliche Gegenden beobachten kann, die durch die hierauf platzierten Graskästen gleichzeitig in Großaufnahme erscheinen. Es sind diese sich organisch fortschreibenden formalen Details und Andeutungen, die Spaß machen und die Installation zu einem organischen Ganzen verweben. Dass die Installation dabei zu einem großen Teil aus Versatzstücken älterer Arbeiten besteht, schadet ihr nicht, erscheint in der Logik des Recycling vielmehr schlüssig. Und doch gelingt der oben beschriebene Spagat nicht. Denn Washburn bedient sich in ihrer Installation bewusst Chiffren, die in ihrer Symbolkraft kaum zu übertreffen sind: Auf der einen Seite die Fabrik mit ihrem Herzstück der Fließbandanlage, Archetyp der Ford’schen industriellen Fertigung, auf der anderen Seite das Gewächshaus (Greenhouse), mittlerweile weniger Symbol für geschmacklose Tomaten aus Holland als vielmehr Wahrzeichen des globalen Klimawandels (Treibhauseffekt). Beide werden dergestalt miteinander verschränkt, dass im Ergebnis ein verdorrter Grashügel rauskommt. Das ist zu brav, zu politisch korrekt und gleichzeitig zu unglaubwürdig, jedenfalls aber naiv unter dem Dach eines internationalen Bankenkonzerns. Wenn man dann noch in den Museumsshop hinübergeht und dort den  typischen Nippes von Kaffeebechern bis hin zu T-Shirts (American Apparel!) mit dem eingangs vorgestellten Logo vorfindet, bricht die Parabel vollends in sich zusammen. Vielleicht war der Ausflug ins Zeitkritische doch nicht so gemeint oder anders. 

Phoebe Washburn, „Regulated Fool’s Milk Meadow“,
Deutsche Guggenheim,
Unter den Linden 13/15,
14.07.2007–14.10.2007
Phoebe Washburn, Installationsansichten (© Fotos: von hundert, Courtesy Deutsche Guggenheim)
Phoebe Washburn, Installationsansichten (© Fotos: von hundert, Courtesy Deutsche Guggenheim)
Microtime für Seitenaufbau: 1.3102350235