Rosen und Kartoffeln

2014:Mar // Florian Markl

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03-2014
















Rosen und Kartoffeln anbauen
/Ein Vergleich

Neulich hatte ich einen merkwürdigen Traum, fast wie im Märchen: Ich lebte in einem alten französischen Dorf und ging dem schönen Beruf des Rosenzüchters nach. Ein ausgesprochen feiner Broterwerb – harte Arbeit zwar, doch mit vielseitiger Muße beschieden und in dem steten Bewusstsein ausgeübt, der alltäglichen Tristesse meiner Mitmenschen ein edles Stückchen Sinnlichkeit entgegenzusetzen.
Eigentlich hieß ich Jean-Pierre Deschamps-Renaud, aber die Leute nannten mich leicht abschätzig Jean-Rose, was mir heimlich gefiel. Früh an einem spätsommerlichen Markttag machte ich mich gemeinsam mit meinem Nachbarn Jacques, einem Kartoffelbauern, auf den Weg in die nahegelegene Stadt. Jacques’ Stand war am anderen Ende des Platzes, sodass wir uns erst wieder sehen würden, wenn wir abends die leeren Handkarren zurück ins Dorf zögen. Also wünschten wir gegenseitig einen erfolgreichen Tag und jeder von uns legte seine Ware aus, um sie den Bürgern feilzubieten.
Es war noch nicht viel los, und so musste ich die Aufmerksamkeit der potenziellen Kundschaft mittels nachdrücklichen Anpreisens auf meine Rosen lenken. Da kam die schöne Bürgermeistertochter Odette herüber und bat um einen großen Strauß für das Grab ihrer frisch verstorbenen Tante. Ich war verzückt ob ihrer zauberhaften Gegenwart und wählte nur die allerschönsten Exemplare aus. Es duftete himmlisch. Als ich der Mademoiselle den Strauß anreichte, fiel das charmante Lächeln schlagartig von ihrem weichen Gesicht, und aus ihrem gerade noch so sanft erscheinenden Mund entwich ein messerscharfes Fauchen: „Das sind Kartoffeln, Jacques!“
Später im Traum, wohl kurz vor dem Aufwachen, saß ich alleine unter einem Baum am Wegesrand und aß von meiner profanen, rohen Ware, welche ich an diesem Tag nicht geschafft hatte, zu veräußern.

Vielleicht wäre es plump und auch etwas boshaft, Rosen und Kartoffeln als Metaphern für Kunst und Design einzusetzen, aber eines gab mir anlässlich dieses Traumes zu denken: Was macht denn das Verhältnis der beiden großen Disziplinen aus im Bezug auf einen möglichen Rollentausch oder eine Hybrid-Tätigkeit ihrer Arbeiter?
Ich glaube, und hier sei mir verziehen, wenn ich negativ beginne, es birgt vor allem einen Komplex aus Klischees, Missverständnissen und Naivität. Dass ich in meinen Überlegungen möglicherweise auch eigenen Missverständnissen aufsitzen könnte, will ich nicht ausschließen. Denn die gegebene Perspektive ist trotz eines weiten Praxis-Kontextes innerhalb dieses Grenzbereiches äußerst subjektiv. Auch besteht keinerlei Anspruch auf irgendeine Vollständigkeit. Aber einige offensichtliche Aspekte bezüglich dieses Phänomens sollen so gegenüber gestellt werden, dass positive Zusammenkünfte oder Wechselwirkungen zwischen Kunst und Design sich immerhin im Bereich des Möglichen bewegen. Apropos, um das kurz aufzuschlüsseln: Unter Kunst sei hier natürlich bildende Kunst zu verstehen, unter Design Grafikdesign und Produktgestaltung. Auch wenn man in diesen beiden Design-Bereichen unter sehr verschiedenen medialen Bedingungen arbeitet, so teilen sie doch Anlass und Ziel, nämlich der Begegnung mit einem Problem und dem Finden einer Lösung. Ein weiteres Designfeld wäre das der Mode. Dieses ist unter den hier zur Anwendung kommenden Kriterien betrachtet jedoch so weit herauslösbar, dass es als eigene (Vergleichs-)Größe zu definieren und entsprechend zu behandeln wäre. Um den Rahmen nicht zu sprengen, wird der Mode in diesem Text deshalb nur eine kleine Nebenrolle zukommen.
Wenn man Beobachtungen dazu anstellt, wie sich Kunst und Design in der Praxis annähern und durchmischen, sollte man analog dazu (und über die Beschreibung der jeweiligen Funktionen hinaus) sich dem Betätigungsumfang und den erforderlichen Qualifikationen widmen. Denn letztere sind mitnichten identisch.
Hinlänglich bekannt ist, dass ein Künstler nicht zwangsläufig physisch arbeiten muss, um gute Kunst zu erschaffen, wohingegen der Beruf des Designers untrennbar mit gewissen handwerklichen Fähigkeiten verbunden ist. Die Anforderungen an einen Künstler sind weitaus diffuser als es im Design der Fall ist und basieren viel weniger auf konkret erlernbaren Handfertigkeiten. Neben einer ausgeprägten Beobachtungsgabe könnten es unter anderem (große) Übersetzungs- und Abstraktionsfähigkeiten sein, die einen (guten) Künstler ausmachen. Und auch die Bereitschaft, sich ein Problem selber zu suchen. Klassische Tätigkeit eines Designers dagegen ist die präzise Lösung einer vom Auftraggeber gestellten Aufgabe. Schön plakativ aber etwas sehr vereinfacht beschreibt David Hockney diese unterschiedlichen Anforderungsprofile so: „Art has to move you and design does not. Unless it’s a good design for a bus.“
Wiederum gemein ist den beiden jedoch der intensive Umgang mit verdichteter Information einschließlich deren Organisation – bis oftmals hin zu einer narrativen Ebene. Und nicht zuletzt die Beherrschung einer im weitesten Sinne ästhetischen Vermittlung dieser Bestandteile. Modedesign teilt die genannten Eigenschaften ebenfalls, aber mit einem deutlichen Schwerpunkt auf der Verwaltung eines Systems mehr oder weniger komplexer Codes. Und einem allumfassenden, in ihrem Wirkungsfeld alleinherrschenden Konzept der Schönheit. Deshalb ist die Aufgabe oder das zu lösende Problem in der Mode viel statischer als in der Kunst oder im Grafik- und Industriedesign. Im Vergleich zu den beiden anderen Design-Bereichen vor allem dahingehend, dass sie weit weniger an (gesellschafts-)politische, technologische oder wirtschaftliche Veränderung gekoppelt ist.
Die unterschiedlichen Anforderungen an Designer und Künst­ler offenbaren sich am deutlichsten, wenn ein vorübergehender Rollentausch stattfindet. Denn ein guter Künstler kann nicht per se das gut, was einen guten Designer ausmacht, und andersherum meist sogar noch weniger. Auch haben Designer und Künstler häufig recht unterschiedliche bis widersprüchliche Vorstellungen von der jeweils anderen Disziplin und somit verschiedene Herangehensweisen, wenn sie transdisziplinär aktiv werden; natürlich bestätigen einige Ausnahmen diese Regel.
Auch sind die Motive eines Grenzübertrittes sehr verschieden: Ein Designer tut dies zum Beispiel, wenn ihn die Möglichkeiten der herkömmlichen Tätigkeit eines Designers langweilen. Er will mehr Urheber sein und stärker als Individuum agieren. Das Konzept des unverwechselbaren Autorendesigners – dem nachmodernen Konterpart zum funktionalistischen Ideal eines Gestalters, der sich betont zurücknimmt – entstammt wohl einer ähnlichen Idee. Ein Künstler hingegen wechselt die Seiten, wenn ein bestimmter praktischer Bedarf entsteht (z. B. aus Gründen des Gelderwerbs, oder wenn er seinen eigenen Katalog gestalten muss oder will).
Wirklich spannend wird es aber erst dann, wenn beide Parts gleichzeitig in einer Person zusammenkommen. Künstler und Designer also gleichberechtigt in einer Person? Der Vorwurf, hier würden halbe Sachen gemacht, muss nicht lange auf sich warten lassen. Und es unterliegt wohl einer relativen Unwahrscheinlichkeit, dass eine solche Hybridfigur volle „Leistung“ in beiden Bereichen bringt. Doch wenn man hier eine technologische Analogie heranführt, so könnte man optimistisch sein und sagen: der kann vielleicht sogar mehr, weil viel flexibler. Und der sehr alte Begriff des künstlerischen Multigenies scheint dies sogar zu bestätigen: Die kreative Leistungsfähigkeit eines wirklich interdisziplinär befeuerten Geistes multipliziert sich manchmal durch die Summe seiner Praxen. Was aber, wenn nicht? Dann stolpert er vielleicht über seine eigenen Beine, weil sie sich nicht miteinander koordinieren lassen wollen, Spielbein versus Standbein. Er liegt dann da und wird mitleidig belächelt von den Einbeinigen. Mit Sicherheit also verdoppelt sich nicht nur der potenzielle Gewinn, sondern auch der Einsatz und somit das Risiko zu scheitern.
Überleitend noch eine kleine Anekdote aus dem Studium an einer dieser einschlägigen Hochschulen für Gestaltung, einer Institution also, in welcher man mitunter nicht weiß, ob man Künstler oder Designer, oder beides, oder keines von beidem wird. Ich nahm dort an einem Plakat-Workshop teil und hörte den Designprofessor den flapsigen, aber denkwürdigen Satz sagen: „Manche Studenten meinen, wenn ein Design-Entwurf nicht funktioniert, dann machen sie halt Kunst daraus, aber das ist noch lange keine Kunst!“ Ich würde hier ergänzen: … noch lange keine gute Kunst.
Gelegenheits- oder Kompensations-Kunst von Designern langweilt mich persönlich ehrlich gesagt meistens sehr. Viel zu oft steht der Beweis einer virtuosen ästhetischen oder (design-)strategischen Qualifizierung im Vordergrund, anstatt sich frei zu machen von solchen Grundvorstellungen, die überdeutlich auf einen Design-Hintergrund verweisen. Also ist nicht nur schlechtes Design nicht automatisch gute Kunst, sondern auch gutes Design oft schlechte, langweilige Kunst. Oder mit den Worten Sol LeWitts eben „slick art“, sobald „handwerkliches“ Können bzw. ästhetische Ambitioniertheit allzu sichtbar wird. Auf die Spitze getrieben wird das, wenn ein Designer sein per eigener Definition „Kunstprojekt“ genanntes freies Designprojekt in einem kostspieligen Designwettbewerb einreicht und den so „gewonnenen“ Red-Dot-oder-sonstwas-Award öffentlich als Siegel eines großen künstlerischen Könnens preist. Wenn aber dieser für einen hochqualifizierten Designer typische Kompetenz-Kanon mit Schwerpunkt auf ästhetischer Leistungsfähigkeit versucht wird zu überwinden, so kann vielleicht doch auch gerade hier etwas unerwartet Gutes entstehen. Nur sollte es vielleicht einfach nicht mehr (ausschließlich) nach Design aussehen.
Egal von welcher Disziplin man zu welcher springt, egal wie trans- oder interdisziplinär man sich bewegt, es ist der Qualität des Schaffens wohl immer gut gedient, wenn man sich der jeweiligen Funktionen, Bedingungen und Medien innerhalb von Kunst, Design oder Mode bewusst bleibt. Sonst wird schnell ein beliebiger, fader (Kartoffel-)Brei daraus, dem auch die schönsten Rosenblüten nichts zur Schärfe und zum Biss beitragen.
Montage: Andreas Koch (© )
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