Jennifer Jordan

Autocenter

2009:Feb // Barbara Buchmaier

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02-2009












Die Begegnung mit den Arbeiten von Jennifer Jordan, die ich seit geraumer Zeit beobachte und schätze, stellt mich vor Schwierigkeiten. Wie darüber sprechen außerhalb der Kategorien von Beschreibung, kunsthistorischer Analyse oder dem einfachen Sammeln von Assoziationen, frage ich mich? Dieser Text ist ein Versuch, hier einen Schritt weiterzukommen.   Betitelt mit dem bilingualen Wortspiel „Not tun or to not“, präsentierte Jennifer Jordan auf der 160 qm großen, in zwei etwa gleichgroße Räume unterteilten Ausstellungsfläche des Autocenters, ihre erste Einzelausstellung in Berlin seit 2006.An den Wänden installierte sie, einzeln oder zu Gruppen arrangiert, mehrere der für sie typischen Reliefs mit sich auf­bäumenden Drahtspiralen, die sie durch Überkleben mit Buntpapier, mit teils farbig übermalten, teils noch lesbaren Zeitungsausschnitten und mit Schnur graduell zu bändigen und an den Holzgrund zu fixieren sucht. Zentral jedoch waren ihre fünf für den Ort konzipierten, segelartig von der Decke in den Raum abgehängten, vorwiegend weißen Stoffobjekte, die sie mit eingesetzten schwarzen Eisenstangen, den Falleigenschaften des Textils entgegenwirkend, in Form setzte. Beide Ausstellungsteile hatten mit ihrer klaren Anordnung der Reliefs und Stoffobjekte, die vielseitig in den Raum hineinwirkten und damit unmittelbar an Haptik und Motorik des Betrachters appellierten, den Charakter von in sich abgestimmten, bühnenartigen Szenarien.

Klar erscheint: der Künstlerin geht es um ein prozessuales Arbeiten mit Material und dessen spezifischen Eigenschaften, die sie austestet, auf die sie reagiert, immer konfrontiert mit den Gesetzen der Physik. Jordans Exponate, erarbeitet aus alltäglichen, vergänglich-labilen Materialien wie Papier, Draht, Faden oder Stoff, visualisieren und dokumentieren ihren künstlerischen Produktionsprozess als nachvollziehbares Ergebnis. In einer Zusammenfassung von Arbeitsabläufen halten sie als „Aktionsrelikte“ nicht nur Entscheidungen formalen Tuns, sondern, in prekären, manchmal fragilen Anordnungen, auch Momente physikalischer Spannung fest. Dabei weisen sie konsequent eine amorphe Formensprache auf, wirken wie expressive Gesten, manchmal beträufelt mit einem Schuss „anthropomorpher Abstraktion“, denn im Unförmigen blitzen hin und wieder auch Grundformen der Alltagswelt auf. Diese zu vervollständigen liegt jedoch im Auge des Betrachters. Die auf Jordans Einladungskarte in einer auf einem Zeitungsfoto basierenden Collage abgebildeten tanzenden Derwische in langen weißen Gewändern, könnten einen Hinweis liefern, in welche Richtung die Künstlerin gedacht hat, als sie ihre Stoffskulpturen herstellte. Die Assoziation Tanz liegt nahe: gegrätscht, gebeugt, balancierend, tragend oder schwebend hängen Jordans „textile Wesen“ von der Decke, wenn man so will. So ließe sich auch der bühnenartige Charakter des Ausstellungsszenarios erklären. Auch Jordans Reliefbilder könnte man aus dieser Perspektive über ihr komplexes Verwirktsein von Material hinaus, als Miniatur-Arenen oder Modelle für Zirkuszelte interpretierten, auf deren Dächer man blickt.

Ergiebiger als dieser Ausflug ins Gegenständliche erscheint mir für eine Analyse von Jordans Arbeiten ein Zitat von Harald Szeemann. Im Katalog zu „When Attitudes Become Form“ reflektierte er 1969, wie man das nach der 4. Documenta „Neuentstandene“ bezeichnen könnte: „Dem komplexen Phänomen fehlt bisher der Name, der Aufhänger, wie dies bei den „bildbezogenen“ Pop, Op, und Minimal der Fall gewesen ist. Die vorgeschlagenen Termini „Anti-Form“, „Micro-Emotive-Art“, „Possible Art“, „Impossible Art“, „Concept Art“, „Arte Povera“, „Earth Art“ treffen immer nur einen Aspekt: die scheinbare Opposition gegen die Form; den hohen Grad persönlichen und gefühlsgetragenen Engagements; […] Die Verlagerung des Interesses vom Resultat auf den Vorgang; die Verwendung poverer Materialien; die Interaktion von Arbeit und Material; […] Nicht mehr… die Gestaltung des Raumes, sondern die Tätigkeit des Menschen, des Künstlers, ist Hauptthema und Inhalt […]: Noch nie wurde die innere Haltung eines Künstlers so direkt zum Werk. […] Werke, Konzepte, Vorgänge, Situationen, Informationen […] sind die „Formen“, in denen sich diese künstlerischen Haltungen niedergeschlagen haben. Es sind „Formen“, die aus keinen vorgefassten bildnerischen Meinungen, sondern aus dem Erlebnis des künstlerischen Vorgangs entstanden sind.“

Diese Beobachtungen Szeemanns lassen sich in vielen Aspekten auf die Arbeiten von Jordan anwenden. Und sicher ist es kein Zufall, dass Jordan mit ihrem „Not tun or to not“, wie bereits Szeemann, als Ausstellungstitel nicht nur ein Wort, sondern einen Satz formuliert hat, der einen Prozess verbalisiert. Wie „When Attitudes Become Form“ klingt auch Jordans Ausstellungstitel wie ein Motto für eine (ihre) künstlerische Haltung. Das „Tun“ steht für sie über allem; es dominiert das „to not“, das für sie nur „wollen“, „können“ oder „wollen können“ bedeutet.

Jennifer Jordan „Not tun or to not“
Autocenter
Eldenaer Str. 34a
10247 Berlin
13.12.2008–20.12.2008
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