Konzeptuelle Malerei

2010:Feb // Ludwig Seyfarth

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02-2010
















„1922 bestellte ich bei einer Schilderfabrik fünf Bilder aus Porzellanemaille per Telefon. Ich hatte die Farbmuster der Firma vor mir und skizzierte meine Bilder auf Millimeterpapier. Am anderen Ende der Leitung hatte der Abteilungsleiter der Firma das gleiche Papier vor sich, das in Quadrate aufgeteilt war.“ Eines der Telefonbilder, deren Entstehung László Moholy-Nagy 1938 in seinem Buch „The New Vision. From Material to Architecture“ rückblickend schilderte, war kürzlich in der hervorragenden Moholy-Nagy-Ausstellung in der Frankfurter Schirn Kunsthalle zu sehen. Gut gemalt, aber eben nicht vom Künstler selbst.

Moholy-Nagy malte nicht selbst, sondern ließ malen: Ist er damit nicht ein Vorläufer der Konzeptkunst? Diese stieß in der etablierten Kunstszene der 1960er Jahre noch auf viel Ablehnung. Das sei doch keine ‚richtige‘ Kunst, behauptete etwa Al Held, ein bekannter Vertreter der Hard-Edge-Malerei: „All conceptual art is just pointing at things“ – Konzeptkunst sei bloß das Zeigen auf Dinge.

Helds Aussage inspirierte John Baldessari 1969 zu einer höchst ironischen Antwort, die er in Helds Medium ausführen, also malen ließ. Es begann damit, dass Baldessari mit dem befreundeten Jazzmusiker George Nicolaides durch die Stadt ging und ihn dazu aufforderte, mit dem Finger auf irgendwelche Alltagsdinge zu zeigen, die ihm interessant erschienen, was Baldessari fotografierte. Dann beauftragte er vierzehn Amateurmaler, deren Werke er auf Marktständen auf dem Land gesehen hatte, nach diesen Fotos Gemälde herzustellen, die alle als „A Painting by…“ als Produkte dieser Maler ausgewiesen sind. Dass die Hand mit dem zeigenden Finger zum integralen Bestandteil des Bildes wird, ist die passende Antwort auf die Auffassung, dass „pointing at“ selbst keine Kunst sei.

1981 ließ ein Künstler malen, der es, anders als Baldessari, ansonsten auch selbst extensiv tat. Martin Kippenberger beauftragte die auf Kinoplakate spezialisierte Werbeagentur Werner mit der Ausführung von zwölf großformatigen Gemälden nach von ihm ausgewählten Motiven. Eine Reihe von ihnen zeigt Selbstporträts des Künstlers, so auch ein querformatiges Bild, zwei mal drei Meter groß, das ihn als „Stadtcowboy“ zeigt, mit Hut und Dreitagebart, in einem Mantel mit Pelzkragen, die Hände in die Hüften gestemmt und den Blick cowboygerecht in die Ferne gerichtet. Er steht vor einer Souvenirbude, an deren Wand links und rechts Plakate zu „30 Jahre DDR“ kleben.

Ähnlich wie Moholy-Nagy und Baldessari konterkarierte Kippenberger ein Künstlerbild des aus sich selbst schöpfenden Genies, und auf die verständnislose Frage, warum er das Malen denn den „unkünstlerischen“ Gebrauchsgrafikern überlassen hatte, antwortete er: „So trage ich auch zur Vollbeschäftigung in der Expressionisten-Stadt Berlin bei.“ Sowohl Baldessari als auch Kippenberger führen uns „konzeptuelle“ Malerei vor. Aber was wäre denn nicht konzeptuelle Malerei?

Als Tino Sehgal 2005 im Deutschen Pavillon auf der Biennale in Venedig verkünden ließ „This is so contemporary“, hätte es auch heißen können „This is so conceptual“. Der Begriff „konzeptuell“ wird heute für jede Kunst angewandt, auf die er halbwegs passt. Was früher „modern“ war, ist heute konzeptuell, und das mehr oder weniger weltweit. Die größte Privatsammlung zeitgenössischer Kunst in Lateinamerika, die Jumex Collection in Mexiko City, hat sich dem Konzeptuellen verschrieben und es sind mehrheitlich Künstler/innen vertreten, von Jonathan Monk bis Ceal Floyer, deren Werke man in den letzten Jahren beispielsweise auch in Berlin prominent sehen konnte.

Das Konzeptuelle ist der International Style unserer Zeit, und er ist genauso überkommen wie vor fünfzig Jahren das modernistische Bauen. Dass man hinter gewisse Errungenschaften der Conceptual Art nicht mehr zurückkehren kann, bedeutet nicht, dass sie noch aktuell ist. Man kann sich auf sie beziehen, wie auf Expressionismus, Surrealismus oder modernistische Architektur.

Gab die klassische Conceptual Art der Idee den Vorrang vor der Ausführung, hat sich heutzutage eine loftaugliche Designerkunst etabliert, die äußere Erscheinungsformen des Konzeptuellen gepflegt als „Look“ inszeniert und sich damit zur eigentlichen Conceptual Art ähnlich verhält wie eine Architektur, der Dan Graham vorgeworfen hat, ­Gordon ­Matta-Clarks Schnitte durch Gebäude zu einem ökologischen „Look“ zu verwässern.

Historische, literarische oder kunsthistorische Bezüge zur eigenen Arbeit, wie sie Graham in seinen Texten immer sinnvoll und verständlich darzulegen wusste, werden zu einem oft beliebigen und abseitigen Spiel mit akademischen Referenzen. Während „klassische“ Conceptual Art sich äußerlich meist durch Nüchternheit, Schlichtheit und Vermeidung ästhetischen Selbstzwecks auszeichnete, kommen heute auch kleine Gesten mit einer fast sakral anmutenden Manieriertheit daher.

Aber warum hat solche Kunst, wenngleich sie nicht wirklich populär ist, eine derart breite Zustimmung bei Kuratoren, Kritikern und Sammlern? Verkörpert der „Conceptual Look“ vielleicht insofern den Zeitgeist, als einerseits der scheinbare Verzicht auf Äußerlichkeiten der im fortgeschrittenen Neoliberalismus geforderten protestantischen Arbeitsethik entspricht, ein konzeptueller „Geschmack“ zudem intellektuelle Diskursfähigkeit und Kreativität suggeriert, andererseits solche Kunst aber auch in die Wohnungen passt, in denen Menschen, die ökonomische Erfolge in der Kreativwirtschaft verbuchen, heute bevorzugt leben?

Es klingt offenbar gut und hip, den Begriff konzeptuell auch für die Malerei umfassend zu reklamieren. Sie war ursprünglich nicht gerade das bevorzugte Ausrucksmittel konzeptueller Strategien. Doch Malerei ohne konzeptuelle Begründung kann zwar auf dem Markt reüssieren, ist diskursiv jedoch nicht hoffähig. Als man sich im Museum Morsbroich in Leverkusen kürzlich dem „Slow Painting“ verschrieb, betonte man gleich im Vorwort des Kataloges, dass Slow Painting „viel stärker mit dem Begriff der konzeptuellen Kunst als mit der traditionellen Auffassung von handwerklicher Ausführung verbunden“ sei. Der Aufwand, den viele Maler heute betrieben, sei untrennbar mit einer zugrunde liegenden Idee verbunden, so bei den Zahlen- und Datumsbildern von Roman Opalka beziehungsweise On Kawara. Aber passt der Begriff wirklich auf die vielen Lasuren, aus denen Ad Reinhardt seine immer dunkler werdenden „Paintings“ aufbaute? Oder, um endlich ein wirklich heutiges Beispiel zu nehmen, auf die ständigen Veränderungen, die Tomma Abts in ihren ungegenständlichen Bildern vornimmt, die sie immer wieder neu übermalt und unterteilt und damit die letztendliche Kontingenz aller formaler Entscheidungen anschaulich vor Augen führt? Ist das „konzeptuell“?

Betont konzeptuell gibt sich allerdings Jonathan Monk, der wie einst Baldessari nur einen Ausflug zu Pinsel und Farbe macht. Die in Leverkusen gezeigten sieben Bilder seiner Serie „Lieber Maler, bitte male mich noch einmal“ (in Berlin in der ersten Ausstellung bei Meyer-Riegger in ihren Räumen in der Friedrichstraße zu sehen gewesen) hat Monk 2008 denn auch malen lassen, und zwar von chinesischen Kopisten, die mittlerweile über die Hälfte aller Gemäldekopien weltweit anfertigen. Das Bild, das Monk sieben Mal von verschiedenen Malern kopieren ließ, ist jedoch nicht wie üblich ein bekannter alter Meister, sondern ein Werk der jüngeren Kunstgeschichte, auf die er auch sonst mit gezielten Gags immer wieder Bezug nimmt. Was die sieben Chinesen noch einmal malten, war das oben erwähnte Bild aus Kippenbergers Serie „Lieber Maler male mir“. Und was lernen wir daraus? Dass es doch kleine Unterschiede gibt, und dass auch die perfektesten individualitätsfreien Kopisten, die Chinesen nach einer immer noch verbreiteten Klischeevorstellung ja generell sind, doch eine Spur subjektiver Differenz erzeugen? Was hat Monk wirklich getan, das über Kippenbergers Idee von 1981 hinausgeht, außer auf die Verschiebung früherer Auftragsfelder deutscher Werbeagenturen nach Fernost hinzuweisen? Ehrlich gesagt, trotz der Bemühungen engagierter Monk-Interpreten, finde ich da nichts. Anstatt dem konzeptuellen Denken neue Impulse zu verleihen, gibt Monk nachgerade Al Held unfreiwillig Recht. Und wenn Konzeptkunst früher das Zeigen auf Dinge war, ist sie nun zum bloßen Zeigen auf Kunst geworden.

Jonathan Monk wird oft für seinen schelmischen und cleveren Witz gelobt. Aber ist die vermeintliche subtile Subversion nicht die Maske eines längst akademisch gewordenen Konzeptualismus, der zu einem Spiel mit – oft kunstimmanenten – Referenzen geworden ist und nur noch um sich selbst kreist?

Aber was wäre herausgekommen, hätte Monk – wie Moholy-Nagy der Schilderfabrik – den chinesischen Malern telefonisch durchgeben müssen, was sie malen sollten (sehen wir vom Sprachproblem einmal ab und nehmen die Hilfe von Dolmetschern an)? Wie „sieht“ jemand einen Kippenberger, der ihn nie gesehen hat? Könnte doch interessant sein, oder? Monk hätte ja auch die Maler fragen können, was sie selbst interessieren würde. Auch Christian Jankowskis Serie „The China Painters“ wurde 2007 von chinesischen Kopisten hergestellt, die auf Meisterwerke der westlichen Kunst spezialisiert sind. Jankowski ließ sie jeweils die Bilder malen, die sie sich in einem der neu errichteten Museen für zeitgenössische Kunst wünschen würden.

Jerry Saltz schrieb dazu in artnet.com: „There’s a Courbet-like seascape, a family portrait, a jade pot, an ersatz abstraction and Delacroix’s Liberty Leading the People. Scariest of all is the giant Bob Ross/Thomas Kinkade landscape. Jankowski reminds us that if our linear ideas about art history aren’t outmoded, when China’s museums are up and running, they’ll be blown to smithereens.“

Jankowski respektiert den Geschmack und das Kunstempfinden der chinesischen Kopisten, anstatt diese nur zu instrumentalisieren. Aber die eigentliche Autorschaft hat der Künstler inne, der die Idee dazu hatte. Nur er ist Bestandteil des zeitgenössischen Kunstsystems und hier sozusagen signaturfähig. Baldessari hatte sich ja schon größte Mühe gegeben, die Bilder den ausführenden Malern zuzuschreiben, aber für einen Dante Guido oder einen Pat Perdue dürfte sich auch keines der vielen chinesischen Museen interessieren, wenn es nicht eigentlich ein Baldessari ist. Auch die Emailleschilderfirma von 1922 taucht in der Kunstgeschichte nur deshalb auf, weil sie einmal ein paar Moholy-Nagys herstellte.

Was weder Moholy-Nagy noch die Konzeptkunst außer Kraft setzen konnten – und trotz anders lautender Deklarationen vielleicht auch nicht wirklich wollten –, war das traditionelle Prinzip der Autorschaft, das durch die Trennung von Idee und Ausführung nur noch bestätigt wurde. Denn dass die gedankliche Leistung des Entwurfs die eigentliche „künstlerische“ Leistung sei, war ein wesentliches Argument der Künstler in der frühen Neuzeit, die nach höherer sozialer Anerkennung strebten. Sie hätten als Intellektuelle zu gelten und nicht als bloße Handwerker. Wer geistlos einfach nur abpinselt, ist ein malender Affe – ein gängiger Topos der klassischen Künstlerkarikatur.

Und die Kunstrichtung, von der und von deren mystifizierender Theoriebegleitung sich die Conceptual Art in den 1960er Jahren vor allem absetzen wollte, war der zur Beliebigkeit verkommene Abstrakte Expressionismus. Und manch ein Experte wurde schon hereingelegt, indem man ihm statt des Werkes eines gestischen Malers das Elaborat eines malenden Schimpansen vorlegte. Konzeptkunst ist jedenfalls einigermaßen davor abgesichert, nicht mit dem Produkt eines Affen verwechselt zu werden. Und das umso besser, wenn man nicht selbst malt. Ob man den ausführenden Maler unter Umständen zum Affen macht, steht auf einem anderen Blatt.

John Baldessari, vier der „Commissioned Paintings“, 1969 (© Privatsammlung)
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