Ganzseitige Anzeige (V)

2007:Nov // Timo Feldhaus & Kito Nedo

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11-2007
















Berlin, Ende September, der Himmel richtergrau. Es ist zehn Uhr früh und eine verhaltene Stille liegt über der Pressevorschau der Roman Signer-Ausstellung in den Flick-Hallen des Hamburger Bahnhof. Am Pressetisch steht Anne Schäfer-Junker, die gefürchtete Pressefrau der Staatlichen Museen und scannt mit wachen Augen den Raum. Vorsichtig ducken wir uns unter dem Radar hindurch und blättern neugierig in der neunten, Signer gewidmeten Ausgabe des Hausmagazins „Museum für Gegenwart“ im Cyan-Layout mit Hologram. Sprengkünstler Signer ist Idol, doch heute gilt: Ballast vermeiden. Behände, sprunghaft will man sein. Ungeduldig warten wir auf das Ende von Eugen Blumes Einführung. Keine Fragen? Gut, Weiter. Oben im Westflügel haben die Geisteswissenschaftler von Tino Sehgal gerade mit ihrem Slomo-Diskursballet angefangen. Kurzes Hallo, dann verlassen wir das Museum. Schnelles Frühstück im Juristencafe am Bebelplatz, Klärung der weiteren Route: Tempelhof, Mitte, Wedding, Kreuzberg, Mitte. Schluss in Charlottenburg.

Pünktlich um Zwölf Aufschlag in der ausgedienten Hangar-Halle des ehemaligen Hitlerflughafens Tempelhof. Preview Berlin – The Emerging Art Fair. „Berlin!“ zuckt es unwillkürlich beim Betreten des Ortes durch den Kopf: Industrie! Militär! Geschichte! Grobschlächtige Betonpfeiler, kathedralisch hohe Decken und sich in den Raum fressende Röhren. Genau die Art von Zwischennutzung, die das Geschäft mit der Kunst beflügelt. Über dem Catering-Bereich schwebt auch noch ein Rosinenbomber-Modell. Natürlich, zu Zeiten der Luftbrücke lief die Versorgung des abgeriegelten Westberlins über diesen Airport. Sechzig Jahre später: neue Hoffnung auf die Amerikaner. Allerdings auf die Sammler, nicht die Piloten. An der Messe-Bar gibt es Disco-Tee. „Sehr deep“ – so das Personal. Ein passendes Geräusch dröhnt aus dem Inneren der Messe. Schon im Eingang hört man es sachte, erst ein unscheinbares Brummen, dunkel und murmelnd, von dem man unwillkürlich angezogen wird. Es tönt wie ein Luftfahrtgeräusch aus alter Zeit. Bei dem Sound handelt sich um die Tonspur der Videoarbeit der kasachischen Künstlerin Almagul Menlibayeva, bei Davide Gallo. Vor der dramatischen Kulisse einer geplatzten brennenden Ölpipeline in der eurasischen Steppe rollen drei nackte langhaarige Menschen Tierschädel vor sich her und beschwören mit schamanischen Tänzen das Ende der Katastrophe. Hypnotic.

In der Koje von Realace Fine Arts (Wilhelmstrasse), dem ersten echten hauptstädtischen Kunst-Unternehmen mit Nuller-Dekaden-Philosophie, flammen erneut Diskussionen über den weiteren Verlauf des Tages auf. Doch zur Vorbesichtung des Art Forums? Kurzes Zögern. Nein, zurück nach Mitte. Aber vor dem Exit noch schnell noch die Stände der Brunnenstraßengalerien Metro, Birgit Ostermeier und Nice & Fit bestaunen. Wahnsinn: Sogar Arne Linde ist mit ihrer Ausnahmegalerie ASPN von Leipzig nach Berlin gekommen. Obwohl erst früher Nachmittag, füllt sich die Halle jetzt blitzartig mit kunsthungrigen Besuchern. Wir müssen weg hier. Gegen den Strom, Richtung Mitte.

Wenig später: wie  ausgestorben liegt die Linienstraße im trüben Herbstlicht. Angenehm leer ist auch das sonst überlaufene In-Lokal „5 Flavor“ direkt am Rosenthaler Platz. Gut für einen Imbiss vor der langen Fahrt nach Wedding. Nur jetzt ist auch Zeit für Lektüre. In der aktuellen Vanity Fair: Sebastian Frenzel über die unglaublichen Pamela Anderson-Fotos der New Yorker Künstlerin Marilyn Minter. Kurz darauf sind wir schon wieder unterwegs: die Brunnenstrasse immer höher, vorbei am Gesundbrunnencenter, bis wir schließlich vor dem Ensemble mehrerer Industriebauten im Sachlichkeits-Stil der späten Zwanziger stoppen. Vor kurzem wurden hier noch die Busse der BVG gewartet. Jetzt herrscht die pure Euphorie des vierten Kunstsalons, dem Großtreffen der Independent-Szene. Schon vor den schmiedeeisernen Toren: ausgelassene Tag-der-offenen-Tür-Atmosphäre. Auch drinnen: Menschenmassen, kein zügiges Vorankommen. Am Stand der Anonymen Zeichner verschärft sich das Gedränge der Kaufwilligen. Wer den symbolischen Einheitskaufpreis von 150 Euro bezahlt, nimmt nicht nur eine der vielen superben Zeichnungen mit, sondern erfährt auch den geheimgehaltenen Namen des Urhebers. Gerade lässt sich wieder jemand einen Packen Blätter einpacken.

Längst stehen wir schon wieder vor einem Videomonitor. Diesmal ist es die fesselnde Videoinstallation „Nationalgalerie / National Gallery“ (2006/07) von Berit Hummels am Stand der Produzentengalerie Stedefreund. Auf dem Weg nach draußen fällt uns noch eine große Menschentraube bei A trans Pavilion auf. Jeder hier will wenigstens einen kurzen Blick auf Michael J. Birns spektakuläres Architekturmodell „Der Berliner Lustgarten 2057“ erhaschen. „Ein dystopisches Highlight“ flüstert ein junger Mann in unserer Nachbarschaft ehrfürchtig. Schnell kommen wir ins Gespräch und beschließen, gemeinsam auf einen Kaffee ins nahe gelegene „La Femme“ zu verschwinden.

Starker Regen macht nun jede größere Tour unmöglich. Wichtige Stationen fliegen aus der Route raus. Sogar das frische Galerienhaus in die Kreuzberger Lindenstrasse und das Kunstzentrum am Rosa-Luxemburg-Platz sind plötzlich unerreichbar. Notprogramm: DuveKleemann, die neue Galerie an der Invalidenstraße. Die Eröffnungsausstellung ist dem Fotokünstler Ali Kepenek gewidmet. Umgeben von schönen großen Jungs bewundern wir Fotos von schönen großen Jungs. Es bleibt nicht viel Zeit. Drüben im Hamburger Bahnhof wird der Preis der Nationalgalerie für junge Kunst verliehen. Pünktlich um zwanzig Uhr betreten wir das Sammlermuseum und kommen für die nächsten vier Stunden nicht wieder heraus. Nach Mitternacht hört es endlich auf zu regnen. Sofort geht es zur CSA-Bar auf der Karl Marx Allee, wo die Galerien Adamski und Nagel den Tag in minimalem Ambiente bei minimaler Musik beenden. Obwohl: „Das geht noch viel minimaler“ behauptet Romi, die Plattenauflegerin.

Erste Müdigkeit macht sich bemerkbar. „So hatte ich mir meinen Vorwärmtag nicht vorgestellt“, erklärt unsere schon leicht derangierte Kunstsalonbekanntschaft, „ich dachte, ich geh zur Preview, dann abends ein paar Galerieeröffnungen und um zehn Uhr bin ich im Bett.“ Trotzdem  muss vor der endgültigen Verabschiedung unbedingt noch gemeinsam geprüft werden, ob im KIM an der Brunnenstraße tatsächlich „noch was ist“.

Inmitten des aufgekratzten Gewühles auf dem grauen Rosshaar-Teppich des Art Forums beherrschen wir am nächsten Tag trotz Kater den Messeslang dann perfekt: Ja ja, die vielen Skulpturen vom letzten Jahr sind verschwunden und überhaupt alles hier ziemlich brav und vorhersehbar! Selbst die Paris Bar auf der Kantstraße ist noch immer fest in der Hand der CFA-Künstler! Ganz anders als bei der stark frequentierten, abendlichen Feier in der weitläufigen, überaus barocken Charlottenburger Loftetage des Sammlerpaares Manuela Alexejew und Carlos Brandl, durch die die Anwesenden in perplexer Stille mit einem Glas Champagner rosé wandeln. Zuletzt landen wir im Crackers, Cookies neuen Club. In der Mitte des überfüllten Raumes geht es weder vor noch zurück. Der über die Tage antrainierte Blick, der nicht verweilen darf,  der keinen Halt findet, der ziellos geradeaus gerichtet, sich im Nichts verliert und doch alles aufnehmen muss – er bleibt nun haften auf der bildlosen Wand der Garagendisco. Ekstatisch kollabieren wir im Moment der Stagnation.

Lichtkasten (© Timo Feldhaus & Kito Nedo)
Überall Kollegen/innen (© Timo Feldhaus & Kito Nedo)
Überall Preise (© Timo Feldhaus & Kito Nedo)
Überall Kinder (© Timo Feldhaus & Kito Nedo)
Überall Jan Joswig (© Timo Feldhaus & Kito Nedo)
Überall Berlin. Hier: pink gallery (© Timo Feldhaus & Kito Nedo)
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