Onkomoderne

Occupy Your Antinomies

2012:Aug // Christina Zück

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08-2012


















Während der 7. Berlin Biennale waren Gruppen aus der Occupy-Bewegung eingeladen, die große KW-Ausstellungshalle zu besetzen. Jeder konnte mitmachen und Objekte an den Wänden und im Raum installieren. Bei der Begegnung mit den Aktivisten wurden einige der Kunstjournalisten, die dazu Reviews veröffentlichten, an einen Zoo, gar an Carl Hagenbecks Völkerschauen aus dem späten 19. Jahrhundert erinnert. Wie kommt es zu diesem Vergleich? Als Zuschauer überblickt man beim Hereinkommen den Raum und betritt ihn über zwei nach unten führende Treppen. Die gegebenen Höhenunterschiede der Blickrichtungen lassen sich metaphorisch überzeichnen, um den Verdacht einer imperialistischen Inszenierung aufzuwerfen. Obwohl die Ausstellung wie viele andere Kreativ-Performances aussieht, scheint dabei ein soziales Gefälle zwischen den schreibenden Betrachtern und den Indignados aktiviert zu werden. Die Kuratoren Artur Żmijewski, Joanna Warsza und Voina zu den Urhebern der Zoogefühle zu erklären, die bei den Journalisten selbst auftreten, wirkt seltsam verdreht. Handelt es sich um projektive Identifikation? Oder versuchen die Kritiker, den Kuratoren nachzuweisen, dass sie „im Bann einer kompletten illusio hinsichtlich ihrer wahren Motive leben“? – ein Zitat von Bruno Latour aus „Elend der Kritik“. Solche Diagnosen können die auf Diskursüberlegenheit pokernde Interpretationsspirale auch nur weiter hochschrauben. Der gefühlte Zoo ist der Effekt eines überdeterminierten Denkens. Vermutlich sind die Probleme, die die Artworld-Insassen mit ihrer Subjektivität haben, den Indignados egal.

„Please don’t stay here – go down stairs – take part“ zeigt ein handbeschriebenes Pappschild an der Treppe  an, und ich stelle mir sofort vor, wie gepflegte, zögerliche Mittelstandsmenschen distanziert am Geländer stehen. Während ich in der Halle herumgehe, spielt sich diese Szene in der Wirklichkeit nicht ganz so ab. Die Treppe hinabzusteigen – natürlich auch im schlichten metaphorischen Sinn, die soziale Leiter hinunter – scheint beim Publikum widersprüchliche Affekte auszulösen. Es handelt sich um ein traditionelles christliches Motiv. Die viel zitierte kommende Gemeinschaft ist die immer größer werdende Allgemeinheit der im kapitalistischen Produktionsprozess nicht verwertbaren und ausgeschlossenen Menschen. Die Occupy-Aktivisten haben womöglich nie darauf gehofft, dass eine „art career“ sie aus dem Zustand der Prekarität befreien werde. Wo man gesellschaftliche Veränderung erwirken möchte, sollte man Werteverlust, Statusverlust und Erfolglosigkeit heroisch hinnehmen. Es sollte ganz easy sein, die Bindung an die in jeder journalistischen und künstlerischen Veröffentlichung Tag für Tag kritisierten Werte- und Produktionslogik des kapitalistischen Systems auch in der Praxis aufzugeben, so dass es sich exemplarisch auf größere gesellschaftliche Zusammenhänge auswirken möge. Im Probehandeln der Kunst ist es einfacher, sich von normativen Strukturen zu lösen, während die akademischen Debatten, was überhaupt Kunst sei und ob sie politisch sein könne und dürfe, in ihrer eigenen automatisierten Logik nebenher laufen.
Die ausgestellten Protest-Artefakte, auf den ersten Blick als naive Kreativität abgewertet, können im Sinn einer relationalen Ästhetik als konzeptuelle Kunstpraxis umdefiniert werden. Gerade diese Objekte sind es, die auf der Straße den Protest an die unterschiedlichsten Menschen weitervermitteln. Es findet sich immer noch eine vergessene Perspektive, aus der man übersehen hatte, etwas anzuschauen. Konzeptkunst, ebenso wie der Kapitalismus, funktionieren als Oxymoron, schreibt Chris Kraus in „Where Art Belongs“: Jede Kunst ist inzwischen konzeptuell. Sie erhält ihren Wert einzig durch den Kontext, in dem sie zirkuliert. Die dabei produzierten Gegenstände verlieren ihre Bedeutung, sie dienen nur noch als Knotenpunkte im Flux der Tauschbeziehungen, der sich ins Unendliche verliert.

Inzwischen ist das Archiv aller Erfahrungen, die in der Geschichte aus einzelnen künstlerischen Unternehmungen hervorgegangen sind, in Form von YouTube-Clips, JPEGs oder PDFs verfügbar. Wer einmal den Dreh heraus hat, wie kreativ-künstlerische Produktion funktioniert, hat von nun an leichtes Spiel. Man sucht nach Lücken zwischen den bereits vorhandenen Gedanken, Gegenständen und Tatsachen und füllt sie mit weiteren Gedanken, anderen Farben und komplexeren Empfindungen aus. Die Subjektivität ist ja unendlich okkupierbar. Bündel von vereinfachenden, effizienteren Gedanken werden notwendig, neue oder bereits vorhandene Ideologien gewinnen wieder an Einfluss, und ehe man sich’s versieht, ist die ganze Stadt voller Deutschland-Fanartikel. Kunst arbeitet sich brav an den Regulierungen durch den Mainstream ab und setzt dagegen: Die Wahrnehmung erweitern. Sehgewohnheiten brechen. Eine andere, neue oder gleich alle verfügbaren Perspektiven zusammen einnehmen. Von den neueingezogenen Plateaus aus können Überblicke gewonnen, Metastrukturen erkannt, im Verborgenen wirkende Kräfte erschlossen, Research Gaps gefüllt werden. Ob dadurch Freiheiten gewonnen oder neue Regelsysteme eingeführt werden, ist genauer zu beobachten.

50_zueck4.JPG (© Dellbrügge & de Moll)
50_zueck2.JPG (© Foto: Christina Zück)
51_zueck1.JPG (© Foto: Christina Zück)
51_zueck5.JPG (© Foto: Christina Zück)
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