Natascha Stellmach

Bethanien

2007:Jul // Julia Gwendolyn Schneider

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07-2007
















Natascha Stellmachs Studiopräsentation im Künstlerhaus Bethanien, die im Rahmen des internationalen Atelierprogramms entstand, ist eine Rauminstallation, die von Anfang an das Gefühl provoziert, dass hier etwas nicht stimmt. Hinter einem dunklen Vorhang verbirgt sich ein vermeintliches Kinderzimmer, in dem die spärlich verteilten Möbel merkwürdig schief stehen; eine Haltung, die in ihrer Angespanntheit, die Ruhe, die das gedämpfte Raumlicht ausstrahlt, stört. Diese ambivalente Stimmung erzeugt ein Gefühl, als wenn hier etwas Unangenehmes passiert sei, oder aber sich bald etwas Unheimliches ereignen werde. Und tatsächlich wird das Schweigen des Zimmers in unregelmäßigen Zeitabständen von einem eindringlichen Sound gebrochen, dessen Quelle sich sehr passend unter dem schräg hängenden Kinderbett versteckt. An dieser Stelle, wo Kindergemüter oft Ungeheuerliches vermuten, läuft für eine Dauer von nur knapp drei Minuten eine Videoarbeit, die in ihrer Ästhetik zwischen Amateurfilm und Musikclip schwankt. Gezeigt wird darin unter anderem die Idylle eines australischen Backyards, in die sich beunruhigende Bilder von einer Geflügelschlachtung einschleichen. Auch sonst ist das aus Familienfilmen der Künstlerin zusammengesetzte Video durch Verfremdungen mit einem bedrohlichen Unterton durchsetzt. Verstärkt wird dieser durch einen Soundtrack von David Chisholm, der die bedrückende Stimmung durch Samples der australischen Rockband ac/dc aber auch wieder aufbricht.

Spätestens beim Anblick des Kopfkissenbezugs aus einer australischen Flagge wird deutlich, dass Stellmachs Installation "The Book of Back" sich in einem australischen Kinderzimmer abspielt. Dieses australische Kinderzimmer scheint aber eine deutsche Vergangenheit zu haben, die schleichend zum Vorschein tritt. Die auf dem Bett versammelten Spielgefährten machen die geteilten Lebenswelten auf eindringliche Weise sichtbar. Dort sitzt zum Beispiel ein Wesen, das einen Puppenkopf mit goldenen geflochtenen Zöpfen trägt und einen Känguruleib hat, in den der Ausdruck "Nazi Girl" eingestickt wurde. Grotesk und doch vielleicht ein wenig zu klischeehaft weist diese "Tierpuppe" auf eine drastische Kindheitserfahrung hin.

Als Abbildung befindet sich diese Kreatur auch in dem Buch der Künstlerin, das gewissermaßen den zweiten Teil von "The Book of Back" bildet und überdies in der Installation ausliegt bzw. aushängt. Es lässt sich darin blättern, wenn man zum Beispiel eine Leiter erklimmt oder sich vor der eigentümlich schief stehenden Schrankwand in die Hocke begibt. Eine eingehende Lektüre und Betrachtung ist in den gewählten Präsentationspositionen aber nur beschwerlich möglich. Bei einem eher flüchtigen Blättern fällt vor allem auf, dass zwischen dem Buch und der räumlichen Inszenierung rückbezügliche Verschränkungen vorliegen. Dieser Eindruck weckt die Hoffung, dass sich innerhalb des Buchs eine Art Schlüssel befindet, mit dem sich die Tür zu all dem öffnen lässt, das die Installation nur anzudeuten scheint. In Erwartung einer intimen Familiengeschichte, erwerbe ich "The Book of Back" für eine ausführliche Lektüre zu Hause.

Genau mit dieser Phantasie des autobiographischen Werks spielt Stellmach, indem sie sie suggeriert aber nicht gänzlich einlöst. Es ist zwar richtig, dass sie als australische Stipendiatin nicht nur zu Besuch in Deutschland ist, sondern als Kind von deutschen Eltern in Australien geboren wurde und damit der Zusammenstoß der Identitäten ihre eigenen Biographie prägt, das heißt aber nicht, dass ihre Kunst zwangsläufig autobiographisch sein muss. Ich denke vielmehr, dass es genau die Ambivalenz zwischen dem Eigenen, Historischen und Imaginären ist, die Stellmachs Arbeit auszeichnet. Dabei gelingt es ihr mit inszenierten Fotografien, Reproduktionen von ihren Werken, Fundstücken und fiktionalen Textpassagen ein Theater der Grausamkeit zu erzeugen, dass doch zugleich als Heilung der Zerteilung des Selbst gedacht zu sein scheint.

Natascha Stellmach, "The Book of Back"
Studio 3, Künstlerhaus Bethanien
Mariannenplatz 2, 4.5.-20.5.2007
www.bookofback.com
Arbeiten von Natascha Stellmach (© the artist)
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