Was wollt ihr hier?

Peter K. Koch fragt drei junge Dresdner Kunsthochschulabsolventen warum sie nach Berlin kamen

2011:Dec // Peter K. Koch

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12-2011
















Sara Pfrommer: „Im Zentrum des Kunstklumpens gibt es meiner Ansicht nach recht feste Strukturen.“

Peter K. Koch / Sara, du hast in Dresden an der HfBK studiert und hast vor drei Jahren deinen Abschluss gemacht. Du bist dann nach Berlin gegangen. Was hat dich hierher gelockt?
Sara Pfrommer / Direkt im Anschluss an mein Diplom und zu Beginn meines Meisterschülerstudiums ging ich ein halbes Jahr nach Helsinki. Das war ein willkommener Tapetenwechsel. Danach wollte ich nicht mehr zurück nach Dresden, das mir plötzlich irgendwie zu eng und überschaubar vorkam. Berlin lag nahe, da ich schon einige Freunde dort hatte und mir die Umstellung nicht so groß vorkam. In Dresden waren Leipzig und Berlin die nächsten Bezugsstädte, künstlerisch gesehen. Man war ja zu Ausstellungen und Messen oft dorthin gefahren. Als Videokünstlerin erhoffte ich mir in Berlin ein aufgeschlosseneres Publikum. Finanzielle Gründe spielten auch eine Rolle. Die Lebenshaltungskosten sind in Berlin noch (!) ziemlich niedrig. Für meinen Plan, mich als Künstlerin selbständig zu machen, war das schon mal eine gute Voraussetzung. Natürlich war ich auch einfach neugierig auf diese Stadt. Ich wollte das ausprobieren und probiere eigentlich immer noch aus.

Koch / Ist Berlin für dich denn schon überschaubar? Hast du das Gefühl, dass du für dich Orte gefunden hast, an denen du gerne bist, an denen für dich eine konkrete Anknüpfung statt findet?
Pfrommer / Nein, die Berliner Kunstszene ist nicht überschaubar für mich. Nach zwei Jahren in Berlin kann ich mir auch nicht vorstellen, dass sie das irgendwann wird. Die Berliner Kunstwelt fühlt sich für mich wie ein großer komplexer Klumpen an, der auch überhaupt nicht homogen ist. In diesen Klumpen tauche ich ab und zu ein und bin dann meistens Beobachterin. Zum Beispiel bei irgendwelchen Veranstaltungen, von denen ich weiß, da ist jetzt die „Szene“ versammelt. In einschlägige Bars gehe ich fast gar nicht. Mein Networking findet auf Ausstellungen statt, die ich besuche, weil ich dort einen der Künstler oder die Veranstalter kenne beziehungsweise selbst ausstelle. Beispielsweise im Projektraum Minken & Palme in Kreuzberg von Nicolas Wollnik und Georg Parthen. Mein wichtigster Anknüpfungspunkt an die Kunstszene sind die Künstler aus meinem ehemaligen Atelier in der Glogauerstraße. Dort teilte ich mir anderthalb Jahre eine Fabriketage mit anderen Künstlern, die zu einem Großteil an der Kunsthochschule Weißensee studiert haben. Sie sind mir natürlich um Meilen voraus, was ihr Networking betrifft. Davon profitiere ich. Im Zentrum des Kunstklumpens gibt es meiner Ansicht nach recht feste Strukturen, denen man angehört, wenn man schon lange in Berlin lebt beziehungsweise hier studiert hat oder sonst was zu sagen hat. Wenn man dort dazu gehört, weiß man auch, wo man hingeht. Nach außen hin werden die Strukturen lockerer und gleichzeitig unüberschaubarer und weitläufiger. Kunst-Orte und Gruppierungen mit unterschiedlichster Qualität und unterschiedlichstem Bedeutungsgrad, mit internationalem Background, soweit das Auge reicht. Ich für meinen Teil konzentriere mich darauf, die Kontakte auszubauen und zu nutzen, die ich schon habe. Die sind relativ überschaubar. Das ist wahrscheinlich nicht die effektivste Art und Weise zu networken, aber es entspricht mir mehr.

Koch / Könntest du einen Ort benennen, an dem diese festen Strukturen für dich am ehesten spürbar sind? Gibt es da einen Hot Spot für die Generation um die 30?
Pfrommer / Schwer zu sagen. Wahrscheinlich gibt es so etwas wie einen Hotspot, ich habe ihn aber noch nicht gefun- den. In die Forgotten Bar geht man zum Netzwerken, habe ich gehört. Manchmal scheint es mir, dass es eher Events sind, wo man sich trifft. Wie zum Beispiel die Bierpyramiden- Eröffnung von Cyprien Gaillard. Oder man trifft sich im Anschluss bei Babette in der Karl-Marx-Allee oder in der Bar 3, wenn man gerade in Mitte ist. Vielleicht haben wir einfach nicht unsere eigenen Locations, sondern teilen sie uns mit denen, die schon da waren.

Sara Pfrommer wurde 1980 in Mutlangen geboren. Von 2002–2010 studierte sie an der HfBK Dresden Bildhauerei und war Meisterschülerin bei Prof. Monika Brandmeier.


 Martin Bothe: „Ehrlich gesagt fühle ich mich, abgesehen von meinem Bekanntenkreis, weder willkommen noch das Gegenteil.“

Peter K. Koch / Martin, wieso hast du dich zu einer Übersiedlung nach Berlin entschieden? Wie stellt sich die Stadt aus der Sicht eines jungen Künstlers am Beginn seiner Karriere dar? Fühlst du dich willkommen?
Martin Bothe / Nach meinem Diplom an der Kunsthochschule in Dresden wollte ich die von mir dringend benötigte Luftveränderung in Angriff nehmen und da das anschließende Meisterschülerstudium keine dauernde Anwesenheit am Studienort erfordert, stand einer Übersiedlung in eine andere Stadt nichts im Weg. Die Entscheidung für Berlin fiel letztlich dadurch, dass sich mein Bekannten- und Freundeskreis schon einige Zeit im Voraus dorthin verlagert hatte und mich hier somit schon ein gewisses Umfeld aus anderen Künstlern und Kulturschaffenden erwartete, mit denen ich bereits im Austausch stand. Der Umzug bot die Möglichkeit, diesen Austausch sinnvoll und konstruktiv weiterzuführen und auszubauen.
Ich sehe vor allem eine Menge Möglichkeiten und verschiedenste Optionen, Kontakte zu knüpfen. Gerade weil Berlin im Moment – vielleicht wieder oder immer noch – wie eine Art Magnet auf verschiedenste Menschen aus anderen europäischen und außereuropäischen Metropolen wirkt, ist es fast unumgänglich, mit unterschiedlichsten Ansichten, Sprachen, Charakteren und so weiter, gerade auch bezogen auf den Bereich der bildenden Kunst, in Berührung zu kommen. Und dies wirkt sehr inspirierend. Eine tatsächliche Karriere macht man wohl aber eher nicht in Berlin selbst, obwohl es ein guter Ort zum Leben ist.
Ehrlich gesagt fühle ich mich, abgesehen von meinem Bekanntenkreis, weder willkommen noch das Gegenteil. Aber gerade das ist es, was für mich den Charme an Berlin ausmacht, dass man hier sein kann, ohne sich gezwungen zu fühlen, sich mit diesem Hier übermaässig identifizieren zu müssen. Hier bin ich einer von Millionen und das gibt mir ein wunderbares Gefühl von Freiheit.

Koch / Hast du das Gefühl, dass es in Berlin eine überschaubare Kunstszene gibt, die man vielleicht sogar verstehen kann?
Bothe / Nein. Meiner Meinung nach ist die Spanne von dem, was hier in Berlin an Kunst passiert, als solches angesehen oder kommuniziert wird, einfach zu breit gefächert, als dass man es auf einen gemeinsamen Nenner reduzieren könnte. Das reicht vom Neuköllner Ladenatelier bis zur High-End-Präsentation in den Galerien in Mitte oder Schöneberg. Dazwischen finden sich immer wieder mittelmäßige bis schlechte Offspace-Ausstellungen im Wedding, in Moabit oder Kreuzberg; obwohl es sicher auch positive Ausnahmen gibt. Im Allgemeinen erscheinen die meisten Positionen aber eher unangenehm über- oder eben unterambitioniert. Selten habe ich das Gefühl, dass einer bestimmten Position oder Ausstellung eine tatsächliche Gegenwärtigkeit inne ist. Verstehen, im Sinne von Nachvollziehen, kann man sicherlich vieles von dem hier angebotenen, aber Verstehen im Sinne eines Erkennens von Dringlichkeit oder Notwendigkeit dieser oder jener Artikulation, da wird es dann schon schwieriger.

Koch / Welche Orte suchst du auf, um dein Netzwerk zu bilden, wo gehst du hin, wenn du mit anderen Künstlern in Kontakt kommen willst?
Bothe / Ich habe keinen speziellen Ort, wie etwa eine Institution oder gar Bar oder Café, den ich aufsuche, um mit anderen Künstlern in Kontakt zu kommen oder mein Netzwerk zu bilden. Zumeist treffe ich mich gezielt – das heißt nach Verabredung – mit anderen Künstlern oder Kulturschaffenden, da ich einen konzentrierten Austausch bevorzuge. Sicher gibt es aber auch gemeinsame Ausstellungs-, Atelier- oder, ganz banal, Bar-Besuche, wo man dann wiederum meist auch noch andere Leute kennenlernt und ins Gespräch kommt. Somit weitet sich mein ganz persönlicher Kontaktpool und damit auch mein Netzwerk ganz ungezwungen und ohne die Bindung an einen speziellen Ort.

Martin Bothe wurde 1980 in Dresden geboren. Von 2004–2010 studierte er an der HfBK Dresden Bildende Kunst und ist seit 2010 Meisterschüler bei Prof. Eberhard Bosslet.


 Anja Langer: „Prinzipiell bietet Berlin, vor allem in finanzieller Hinsicht, keinen guten Start für eine Künstlerkarriere.“

Peter K. Koch
/ Anja, wie lange bist du jetzt schon in Berlin? Wie nimmst du die Stadt wahr? Gibt es da eine Struktur, die du begreifen kannst?
Anja Langer / a) Seit drei Jahren. b) Berlin ist reich an Galerien unterschiedlicher Qualität und Brisanz. Außerdem bietet die Stadt eine gute Museumslandschaft mit einem breiten Spektrum und regelmäßigen Ausstellungswechseln. Leider existiert keine temporäre Kunsthalle mehr, die eine einzelne, momentan relevante Künstlerposition adäquat vertritt. Berlin ist eine lebendige Stadt, die sich stimulierend, aber auch relativierend auf meine Arbeit auswirkt. Prinzipiell bietet Berlin, vor allem in finanzieller Hinsicht, keinen guten Start für eine Künstlerkarriere. c) Ein großer Teil der Berliner Galerien ist über den INDEX vernetzt. Das Netzwerk bietet gute Informationen über aktuelle Ausstellungen in Berlin. Der Internetauftritt der städtischen Museen und auch der vom Gropiusbau ist nicht zeitgemäß und eher mangelhaft. Für meine Arbeit bietet Berlin eine sehr gute Versorgungsstruktur. Auch die relativ niedrigen Arbeits- und Lebenshaltungskosten sind im Vergleich mit ähnlich bedeutsamen Städten nicht zu schlagen. Eine Förderungsstruktur für junge Künstler ist leider kaum gegeben und wenn doch, dann ist sie undurchsichtig.

Koch / Gibt es denn Orte, die du immer wieder aufsuchst, um dich mit anderen Künstlern zu treffen oder anders gefragt: Wie funktioniert dein Netzwerk?
Langer / Feste Orte, die ich immer wieder besuche, um mich mit anderen Künstlern zu treffen, gibt es nicht. Dafür ist die Berliner Kunstszene zu unübersichtlich und diffus. Mein Netzwerk ist nicht an Orte geknüpft, viel mehr an „Schlüsselpersonen“ und Ereignisse. Viele meiner Kommilitonen aus Dresden sind nach Berlin gezogen. Sie bilden den Hauptteil meines Freundeskreises. Außerdem bestehen Bekanntschaften zu Studenten anderer Kunsthochschulen in Deutschland. Davon ziehen viele nach Berlin. Hier treffen die Bekanntenkreise aufeinander und vernetzen sich weiter. Diese Kontakte entfalten ihren Wirkungsgrad beispielsweise als Emailverteiler, mit dem auf Veranstaltungen hingewiesen wird.

Koch / Siehst du denn genügend Perspektiven in der Stadt oder wäre es im Angesicht der Tatsache, dass eben immer noch sehr viele Künstler nach Berlin ziehen nicht besser, sich einen Standort zu suchen, an dem man leichter wahrgenommen wird?
Langer / Eine andere kunstrelevante Stadt mit übersichtlicherer Kunstszene oder eine Großstadt mit stärkerem Puls böten vielleicht bessere Perspektiven für die Entwicklung meiner Künstlerkarriere. Jedoch in Berlin zu wohnen bedeutet ja nicht, dass mein Arbeits- und Wirkkreis auf diese Stadt beschränkt bleibt. Ich schätze die Lebensqualität, die ich mir in Berlin mit meinen Mitteln leisten kann. Ein Standortwechsel würde höchstwahrscheinlich einen Einschnitt in meinen Lebensstil und dessen Qualität bedeuten.

Anja Langer wurde 1984 in Freital geboren. Von 2005–2011 studierte sie Malerei an der HfBK Dresden und ist seit 2011 Meisterschülerin bei Prof. Christian Sery.

40.JPG (© Esther Ernst)
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