Onkomoderne

2014:Mar // Christina Zück

Startseite > 03-2014 > Onkomoderne

03-2014
















Die Mode gibt vor, dass die Zeit nicht stehengeblieben ist

In einem Projektraum im Wedding trägt eine junge Frau Stiefel mit geknüpften, erdfarbenen Indianermustern. Assoziationen an geschmacklose Ethno-Hippies, peruanische Panflötenspieler und die Auslöschung von Ureinwohnern ziehen vorbei. Ähnliche dreieckige Muster in Blautönen begegnen mir in einem Schaufenster in der Rosenthaler Straße als Schal. Er ist über ein T-Shirt gewickelt, auf welchem steht: BLOWJOB BERLIN. Mode, sofern sie mit Kleidung zu tun hat, dreht sich um das Einbringen von bedeutungsvollen oder leeren Zeichen in die Welt und nur noch in Ausnahmefällen um den Ausdruck von Schönheit und Eleganz. Auf einer allgemeineren Ebene beschreibt der Begriff, wie sich Muster herausbilden, wie sie gelenkt werden, normativ werden und wieder verschwinden. Wer behält hier die agency? Statten sich die internationalen Kreativberliner aus eigener Motivation mit dem Stil der bedrohten Mittelschicht oder sonstiger Ausgeschlossener aus, oder werden sie von einer ausbeuterischen Industrie dazu gebracht? In den Ein-Euro-Shops entlang der Badstraße finden sich auf den Wühltischen die neonfarbenen Acrylstrickmützen, die nie auf irgendeinem Kopf gesehen wurden. Die Schraube am zitronengelben Bügel meiner Wayfarer-Kopie von New Yorker hat sich plötzlich gelöst, so dass mir das Gestell einfach von der Nase fiel. Gut so. Demnächst mal bei Bijou Brigitte vorbeischauen, was das Frühjahr an Farben und Formen zu bieten hat. Auch in der Kunst ist das Zeug mit Duschgel, Neonsprühfarbe, Dreiecken oder Kristallen langsam durch, und zum Glück auch die ausschweifenden Diskussionen, warum man denn den Edelstahlrahmen so dünn hat bauen lassen. In Mode kommt das Darknet und das langsame Aufwachen aus der Schockstarre nach den Edward-Snowden-Enthüllungen. An der Volksbühne propagiert eine Konferenz der Bundeskulturstiftung in Frakturschrift die Dunkelheit, die jetzt über uns einbricht, und die Transmediale verkündet den sonnenuntergangfarbenen Afterglow aller Wünsche, die wir je an Kunst, elektronische Lebensaspekte, Ökologie und Vernetzung gestellt haben. Keine Kulturveranstaltung trägt hingegen den Titel „Jagt die Spione zur Hölle!“, dafür würde sich keine Finanzierung beantragen lassen. Der Kampf um ein würdiges Leben geht weiter, ich mach ein Selfie davon. Ich stell mich rein ins Internet, ich lösch mich raus aus dem Internet, ich verschlüssel mich. Gegen die Totalüberwachung auf die Straße gehen und sich an Bahngleise ketten ist nicht modisch. In orangefarbenen Ver.di-Westen vor dem roten Rathaus zu demonstrieren würde zwar zur Erhöhung unserer realen Honorare beitragen können, aber zum sofortigen sozialen Tod im Kulturbetrieb führen, betonte der Galerist Kai Hoelzner in einer Diskussionsrunde nach Kolja Reicherts „Picasso Baby“-Vortrag an der UdK. Mode setzt Verhaltensgrenzen und strukturiert den unübersichtlichen sozialen Raum. In Mode ist die graue Eminenz der trübsinnigen Leidenschaften, die Kunstindustrie. Kein Artikel, der nicht die Kapitulation der Kunst vor der Wirtschaftsideologie beklagt, kein staatliches Museum, das sich nicht kindische Werbekampagnen mit Social-Web-Mitmachfaktor ausdenkt. Die bündelnden Strahlen der Lichtmächte lassen jede abweichende Form der Produktion in Dunkelheits- und Nebelmetaphern verschwinden. Die bildende Kunst wird als neues, aktivierendes Leitbild ins Rampenlicht herausgezerrt. Fast jedes Investorenprojekt in den Townhouse-Erschließungsgebieten um die Scharnhorstraße herum besitzt seine eigene Infobox mit markendesignter Bildproduktion. Bedruckte Plastikplanen mit zukünftigen Wohninterieurs, weiß bis pastellfarben, kantigen Designersofas, Grünpflanzen, Bücherregalen und großen Bildern an der Wand bedecken die Bauzäune. Die Bilder in den Bildern stellen Kunst dar, und man entdeckt darauf Motive aus Grauschlieren, Verwischungen oder zerlaufenen Füssigkeiten im Stil von Wolfgang Tillmans. Der Blick aus dem Fenster in der Townhouse-Siedlung der Wirklichkeit wird die quadratkilometergroße Zentrale des BND zeigen. Deren Fassade erinnert an die Schießscharten-Muster des zerstörten World Trade Center. Nur ein Leben mit Kunst ist ein erfülltes Leben.
Erregungshöhepunkt der Kunstkritik im Juli letzten Jahres war der Zugriff der Musikindustrie auf die Kunstindustrie in Jay-Z’s Musikvideoproduktion „Picasso Baby“. Für den Dreh mietete der Rapper die New Yorker Pace Gallery und baute mit Kordeln und einem kleinen Podest das Setting von Marina Abramovics MoMA-Performance „The Artist Is Present“ in leicht abgeänderter Form nach. Mehr oder weniger prominente Akteure der New Yorker Kunstszene waren eingeladen, am Dreh teilzunehmen und einen Vertrag zu unterschreiben, in dem sie die umfassenden Rechte an ihrem Bild an die Produktionsfirma abtraten. Jay-Z erklärte die Aktion zur Performancekunst. In der Eingangssequenz des zehnminütigen Videos spricht er über die Unterschiede dieser Performance zu seinen üblichen Bühnenauftritten, bei denen sich die Energie des Musikpublikums ganz auf ihn richtet. In den begrenzteren Galerieräumen kann er die Energie der Beteiligten anders und konzentrierter spüren und nutzen. Am Anfang war die Kunst, erzählt Jay-Z, und sie war eins, und als sie in die Galerien hineintrat, kam es zur Trennung. Die Kulturen spalteten sich. Leute, die Hip-Hop hörten, begannen zu denken, dass Kunst bourgeois ist. Das ist falsch. „Denn wir sind alle Künstler, wir sind gleich, wir sind Cousins, das ist das wirklich Aufregende.“ Nun wird Marina Abramovic eingeblendet, wie sie aus einer Stretchlimousine steigt. Im nächsten Schnitt hängen an der Pace-Galeriewand zwei gerahmte Fotos mit Jay-Z-Logo, deren eines eine Stretchlimo zeigt und das andere Suchscheinwerfer eines Polizeihubschraubers, der nachts über einem Gebäude kreist. Dann tanzen alle und fühlen die Energie des Einsseins hinter dem durch Ropes und Sicherheitspersonal abgesperrten Bereich. Abramovic tanzt mit Jay-Z, sie steigt auf die dem Podest gegenübergestellte Sitzbank und schaut ihm von oben tief in die Augen. Nacheinander setzen sich verschiedene prominente Künstler auf die Bank, Jim Jarmusch, Lawrence Weiner, George „Condos in my Condo“, lachen, grooven, strampeln mit den Beinen und schauen dem Kunstwerk Jay-Z auf dem Podest beim Rappen zu. Sie machen gerne mit. Auch der Kunstkritiker Jerry Saltz verlässt für kurze Zeit seinen Intellektuellenmodus und tritt in die positive Energie der Masse ein – eine Erfahrung, die er später gut für einen Artikel nutzen kann. „I just want a Picasso in my casa, no, my castle. I’m a hassa (meint er: hustler?), no, I’m an asshole. I’m never satisfied, can’t knock my hustle. I wanna Rothko, no, I want a brothel“ rappt Jay-Z. Beschreibt er hier die Pathologie eines durch Konsumgier angetriebenen Millionärs? Die Statussymbole, auf die der Protagonist sein Begehren lenkt, sind nicht mehr Autos, Yachten, Goldkettchen und Bitches, sondern haben sich gewandelt. Die von den Kapitalströmen eroberte bildende Kunst ist auch für den Hip-Hop-Gangster alter Schule ein lohnenswertes Objekt geworden, in das man Affektivität und Finanzmittel investieren kann. In der Fernsehserie „The Wire“ beispielsweise suchten die Figuren Stringer Bell und Marlo Stanfield nach einer Weiterverwertungsmöglichkeit für die unendlichen Geldmengen aus dem Drogenhandel und scheiterten darin, in das Finanz- und Immobiliengeschäft einzusteigen, da die Facilitators einer anderen gesellschaftlichen Klasse, einer anderen Mafia angehörten, mit anderen Codes kommunizierten und sie in die Falle lockten. In Jay-Z’s von Grandiositätssymptomen befallener Figur, die sich am Ende wie ein „Modern Day Picasso“ fühlt, formuliert der Rapper eine Gesellschaftskritik durch Übersteigerung, wäre hier meine These. Niemand würde ernsthaft vermuten, dass der die positiven Energien der tanzenden Kulturbourgeoisie herumwirbelnde Virtuose mit dieser grotesken Beschreibung sich selbst meint. Die Zuschauer aus den bildungsaffinen Schichten haben eine Riesengaudi. Hier beschwört man gemeinsam das Feindbild des bösen, nimmersatten Banksters. In einem alle verbindenden Ritual werden die Charaktereigenschaften des zeitgenössischen Übels symbolisch aus der eigenen Persönlichkeit ausgelagert und in ein „böses Objekt“ abgespalten. Das in der „Spaltungsabwehr“ produzierte Objekt ist höchst ambivalent und narzisstisch aufgeladen, denn in einer unausgesprochenen Umkehr aller politisch korrekten und zivilisierenden Werte gilt die Kraft und das Genießen dieses statussymbolschwingenden Pimmelträgers als bewundernswertes Leitbild. Durch die perverse Umkehrung bleibt die weiße Weste des eigenen Identitätsbildes rein und man kann unbeschwert weitermachen wie zuvor. Um an das Geld heranzukommen, das es im Wirtschaftssystem zu verdienen gibt, muss man sich in dieses hinein verstricken und die Besessenheit des inneren Banksters im Handeln ausagieren sowie sie in der Selbstwahrnehmung in eine Kapsel verschließen. Diese sehr simple und durch psychoanalytische Theorie immer wieder offengelegte Struktur hat Slavoj Zizek in hunderten YouTube-Videos als „festishistic split“ oder „Je sais bien mais quand même“ bezeichnet. Im Verlauf des Songs bekommt der Protagonist die Miranda Warning („Alles was Sie sagen, kann und wird vor Gericht gegen Sie verwendet werden“) vorgelesen, muss in Handschellen auf die Anklagebank und dort einen Eid auf die Bibel schwören. Ist der neureiche Kunst-Bankster im Grunde seines Herzens doch der ehrliche Rap-Gangster geblieben, der seine gesellschaftliche Klasse letztendlich nicht verrät, obwohl Amerika ihn immer dazu zwingen will? Der den Bürgerkindern mit Abschluss in Kunstgeschichte mal richtig tief in die Augen schaut und sie vortanzen lässt? Irgendwann kommt immer einer und stellt eine Kloschüssel in den durch Kordeln gesperrten Ausstellungsraum und behauptet, das sei jetzt Kunst. Performancekunst. Und jeder sei ein Künstler. Ob man jetzt als Iggy Pop oben auf der Bühne die Hose herunter lässt oder ob man als Vito Acconci versteckt unter der Bühne seinen Pimmel in die Hand nimmt, sei letztendlich egal. Am Ende wird alles gut. Niemand nimmt bei dieser Performance eine klare Position ein, alle Beteiligten müssen ja Geld verdienen. Das Werk ist win-win-fähig in alle Richtungen optimiert. Niemandem ist aufgefallen, dass darin Kritik oder ein Klassenkonflikt formuliert sein könnte. Die, die drin sind, stehen auf der Liste und fühlen die Energie der Finanzströme um sich herum kreisen. Alles wird so bleiben, wie es ist.
24.JPG (© Foto: Christina Zück)
Microtime für Seitenaufbau: 1.2867732048