Jeff Wall

Johnen Galerie

2007:Jul // Estelle Blaschke

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07-2007









Die Motive in Jeff Walls neueren Arbeiten, von denen kürzlich eine kleine Auswahl in der Berliner Galerie Johnen zu sehen waren, sind unprätenziöse Registrationen seiner Umwelt und Erlebnisse.

Das schräg über die Strasse fotografierte Sanierungsobjekt in "Hotels, Carrell St., Vancouver" (2007) zum Beispiel befindet sich unmittelbar vor seinem Atelier. Man kennt diese Szene. Aus dem oberen Stockwerk hängt ein gelber Schlauch, der den abgetragenden Schutt in die Tonne transportiert, links davon ein naiv bemalter Bauzaun, rechts davon, im Bildhintergrund, stehen kaum sichtbar ein paar verschwommene Figuren mit Einkaufswagen vor einem Pub. "Church, Carolina St., Vancouver" (2007) ist kaum spannender: Ein in eine "Slavic Pentecostal Church" umfunktioniertes, unscheinbares Gebäude an einem verregneten Tag, eine Kreuzung, zwei parkende Autos. "Shop window, Rome" (2007) ist ein einfach schlecht fotografierter Schnappschuss, der von einer Reise Walls nach Rom stammt. Ein Schnappschuss, der sich wie so viele Urlaubsbilder in seiner Belanglosigkeit - drei biedere Mädchenkleider hinter einem Schaufenster - in die Kategorie der rituellen Ich-fands-irgendwie-gut-Fotografie einzuordnen ist.

Entgegen dem von Henri Cartier-Bresson geprägten Begriff des "entscheidenden Augenblicks" oder Lee Friedlanders Definition des fotografischen Akts als einäugiger Katze, entleert Wall seine Stadtansichten und Stillleben von jeglicher Besonderheit und offensichtlichem Interesse. Durch diese Substraktion wird das Bild auf den ersten Blick zum reinen fotografischen Abbild und damit zum Ausgangspunkt, von dem an Wall zu arbeiten beginnt.

In den beiden Street-Fotografien "Hotels, Carrell St., Vancouver" und "Church, Carolina St., Vancouver" wählt Wall eine Perspektive, aus der sich eine ausgewogene und routinierte Farb-und Flächenkomposition ergibt. Die digitale Post-Produktion dient entweder dazu, störende Elemente zu entfernen oder die Bildkomposition zu vervollständigen. Die für Wall typische Präsentation der meist großformatigen Cibachrome in Leuchtkästen perfektioniert die slicke Ästhetik, die jeden Raum, sei es im Museum oder in einem umfunktionierten Blumenladen, in neuem Licht erscheinen lässt. Das würde im Grunde auch schon reichen. Betrachtet man diese seltsam leeren Fotografien aber länger, fügt sich zur ästhetischen Schicht die inhaltliche, die sich jedoch oft nicht ohne Zusatzinformation erschließt. Das Backsteingebäude in "Hotels, Carrell St., Vancouver" ist kein Hotel, sondern ein jahrelang von Obdachlosen und Junkies besetztes Haus. Das für die Sanierung des Gebäudes veranwortliche Bauunternehmen "Darwin Ltd.", wie es die aufgehängte Baustellentafel anzeigt, recycelt den Schutt umweltfreundlich in die grüne Tonne, den Junkies bleibt die Straße, das Pub und ein paar Habseligkeiten in Einkaufswagen. Damit es für die Passanten nicht zu hässlich wird in der ohnehin trostlosen Stadtlandschaft, stellt man einen bunt bemalten Bauzaun als Dekoration auf, der mit Schreibschriftpoesie, Büffellandschaft und Indianerportraits als makabarer Kommentar auf die ebenso marginalisierten und verdrängten kanadischen Ureinwohner gelesen werden kann. Wall ist jedoch clever genug, die vermeintliche Sozialkritik seiner Bilder als lediglich eine Option anzubieten, da sich durch das Schichtensystem der Zeichen immer mehrere mögliche Bildbetrachtungen und Interpretationen ergeben. Durch die Verbindung von ästhetischem Perfektionismus und verdichteter Dokumentation der Alltagswirklichkeit, die Wall durch die Inszenierung mal mehr mal weniger offensichtlich kommentiert, spielt er mit der Zugänglichkeit und der Betrachtungsweise seiner Bilder. Und wie so oft in seinem mittlerweile fast 40-jährigen Schaffen bricht Wall, der zu den profiliertesten Künstlern der zeitgenössischen Fotografie zählt, immer wieder mit seinen Konzepten, der Mythenbildung und Rezeption seiner Bilder. An "Shop window, Rome" beißt man sich nämlich die Zähne aus und was bleibt ist der Verdacht, dass Wall mit diesem Bild seine Kritiker und vielleicht sogar sich selbst ausgetrickst. Ein trivaler Schnappschuss und mehr nicht? Ob das nun Kalkül eines Künstlerprofis ist oder das Austarieren immer neuer Herangehensweisen an das Medium Fotografie, bleibt offen.

Jeff Wall
Johnen Galerie
Schillingstraße 31
27.4.-26.5.2007
Jeff Wall „Church, Carolina St., Vancouver“, 2007 (© Courtesy: Johnen/Schöttle, Berlin/Köln/München, Photography: Jan Windszus)
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