Onkomoderne

Campari auf Tahiti, Bitter Lemon auf Hawaii

2011:Dec // Christina Zück

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12-2011
















Ein riesiger Planet rast auf die Erde zu. Die drei Menschen haben sich aus ein paar Ästen ein Zeltgerüst gebaut und halten sich, darunter sitzend, an den Händen. Den Plan, eine Flasche Wein zum Weltuntergang aufzumachen und ein Lied zu singen, haben sie kurz vorher verworfen. Dann prallt der Planet auf, Feuer rast durch die Landschaft, die Leinwand wird weiß. Im Publikum hört man unterdrücktes Kichern. Gut gelaunt verlassen wir das Kino – was für eine Erleichterung, wenn jetzt die Scheiße hier auch mal in die Luft ginge. Solche uneingestandenen Empfindungen hatten sich schonmal während 9/11 breitgemacht.

Lars von Trier zeichnet in seinen Filmfiguren mehrere Varianten der Weltabgewandtheit nach: Justine verweigert sich den sozialen Nötigungen durch Apathie, Claire leidet unter Angstattacken angesichts der kosmischen Bedrohung, John besitzt die meisten Golflöcher und werkelt mit Teleskopen herum. Über den Film verteilt finden sich Props aus Dürers „Melencolia I“ von 1514 , was ungefähr bedeutet, dass diese Gegenstände Ideen und Verhältnisse zur Welt symbolisieren, die es bereits 1514 gab. Schwarze Galle, Erstarrung, Kristallisation, Unbeweglichkeit im System und in den Gefühlen. Da hilft nur noch ein „Tsunami of Change“. Eine Tracht Prügel. Du musst dein Leben ändern. Kunst machen, wie im Fall des neuen Lars-von-Trier-Films, heißt die gesammelten Bilder und Metaphern einiger Jahrhunderte zu verwursten, um auf Zustände aufmerksam zu machen, die immer mal wieder vorkommen. In den alteuropäischen Erzählungen von den Dämonen des Bösen und des Untergangs versichert man sich der gemeinschaftsstiftenden Mythen und weist auf die Aporien der instrumentellen Vernunft hin.

Das Phänomen des Zurückgreifens auf das, was im Sandkasten so herumliegt, lässt sich in der Kulturproduktion häufig ausmachen. Als Betrachter erkennt man die eingebauten Zeichen wieder, und vielleicht grenzt dieses Erkennen einen sogar als besonderen Insider ein, im besten Fall kann man darüber kichern. Der Kunsthistoriker W.J.T. Mitchell versucht, die zeitgenössische visuelle Produktion mit der Idee des biologischen Klonens zu vergleichen: das Klonen eines Lebewesens wäre demnach die extremste Form des Bildermachens – der Wunsch, sich in eine bewährte und gesellschaftlich anerkannte Gussform einzufügen. Was zu der Gefahr führt, dass das grobmotorisch Metaphorische, in dem man sein Denken zu bewegen pflegt, zur Realität und Zukunft wird.

Wie sollen die Vorstellungen der Zukunft generiert werden? Es ist so einfach, getaggte Fotos und Stichworte zu googeln, Wikipedia zu konsultieren, Wörter auf dem Bildschirm unscharf anzuschauen, und alles mit allem in Verbindung zu bringen und in mäandernen Assoziationsketten weiterzutreiben. Vorkaufsrechtverzichtserklärung. Deterritorialisierung. Jede kleine schmutzige Idee wird zu einer großen hässlichen hellblauen Skulptur ausgebaut. Die Innenstadt Berlins sieht aus wie ein Ed-Hardy-T-Shirt-Träger mit fetten Oberarmen. Im gehobenen Konsumentensegment verkaufen dir Mafiagaleristen im Preppy-Look ein Klebebandbild von Anselm Reyle. Vektoren zerren an dir. Die Kurskurve fällt. Es gibt keine Auflösung. Keine erfrischenden Gedanken. Die Zeit, der Raum, die Fliehkräfte, ein Karussell. Vernichtet von der unerbittlichen Geschwindigkeit.

Heute hat man am Hauptbahnhof schon wieder mehrere Brandsätze gefunden. Wir machen jetzt eine Flasche Wein auf und singen ein Lied: „Drei Sonnen sah ich am Himmel steh’n / Hab’ lang und fest sie angeseh’n / Und sie auch standen da so stier / Als wollten sie nicht weg von mir. / Ach, meine Sonnen seid ihr nicht Th / Schaut ander’n doch ins Angesicht Th / Ja, neulich hatt’ ich auch wohl drei / Nun sind hinab die besten zwei. / Ging nur die dritt’ erst hinterdrein Th / Im Dunkel wird mir wohler sein.“
Albrecht Dürer „Melencolia I“, 1514 (© The Authors)
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