Die 8. Berlin-Biennale

2012:Dec // Andreas Schlaegel

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12-2012

















Die finale Biennale
/ Die Biennale am Ende aller Biennalen

KunstWerke, Sommer 2014

Na klar, wir haben es nicht ernst genommen. Im Prinzip war ja schon Żmijewskis Biennale diejenige, an deren Ende beinahe ein Ende nicht nur der Biennale, sondern direkt ein Ende der Kunst stehen sollte. In dem Sinne, dass Kunst und Aktivismus ineinander aufgehen und in einer Form kreativen gesellschaftlichen Engagements enden sollten. Nachdem das Experiment so lange als gescheitert bezeichnet wurde, bis es allgemein als solches wahrgenommen wurde, begann die bange Fragerei: wird nach dieser vermeintlichen Katastrophe die Berlin Biennale noch möglich sein? Wird ihre Finanzierung gesichert bleiben, oder fällt sie zurück auf den prekären Boden ihrer Anfänge? Würde das nicht vielleicht eine Erneuerung befeuern, wenn es der Berlin Biennale ebenso erginge wie den meisten Künstler dieser Stadt?
Aber dann zauberte die Auswahlkommission eine Überraschung aus dem Hut, alle negativen Vibrations verpufften, und alle erwarteten, dass Juan A. Gaitán es wohl richten würde. Nicht zuletzt war der Kolumbianisch-Kanadier mit Zweitwohnsitz in Berlin ja als Ko-Kurator mit Nicolaus Schaf­­hausen verantwortlich für die vierteilige „Morality“-Ausstellungsreihe im Witte de With, hat als Professor junge Kuratoren am California College of the Arts in San Francisco ausgebildet und arbeitete davor als Kurator der der Universität von British Columbia angeschlossenen Morris and Helen Belkin Art Gallery in Vancouver, an Kanadas Westküste. Nebenbei publizierte er fleißig in Magazinen von Afterall bis Mousse und fand Zeit, sich als Mitglied des Ankaufskomitees des FRAC Nord-Pas de Calais in Dünkirchen zu betätigen.

Von ihm erwartet man nun einen Blick von außen. Der Titel schien zunächst an das Punk-Berlin der achtziger Jahre anknüpfen zu wollen: „Dekoration/Destruktion“. Aber zumindest der erste Teil erinnert auch an Gaitáns letztes größeres Projekt, die jährliche Ausstellung der norwegischen Gesellschaft für Kunsthandwerk in Bergen. Dort hatte er ja bereits die Struktur ganz schön gegen den Strich gebürstet. Anstatt der üblichen, eher etwas betulichen Leistungsschau nationaler Kunsthandwerker, setzte er eine Ausstellung, die Kunsthandwerk als mögliche Gegenstrategie zu industrieller Produktion und der Dichtomie des aktuellen kapitalistischen Zukunfts­entwurfs, Automatisierung oder Arbeitslosigkeit, positionierte. Damals gelang ihm dies nur unter Zuhilfenahme der Kunst. Anstatt die Ausstellung wie sonst üblich aus den Einreichungen des in Bergen traditionellen Open Calls zu bestücken, stieß er die Kunsthandwerker-Community vor den Kopf: er wählte lediglich vier von fast neunzig Beiträgen aus, und griff ansonsten auf internationale Künstler zurück. Und diese arbeiteten ihm bereitwillig zu, verwandelten das beschauliche und bereits etwas betagte Museum in ein Schlachtfeld von Referenzschnipseln, das die Betrachter zum virtuellen Pingpong mit den vorhandenen Beständen verleitete, und einen überspannten Diskurs zur Frage nach dem Sinn, den die aus dem 19. Jahrhundert stammende Grenzziehung zwischen Industrieprodukten, Kunsthandwerk und Kunst heute noch macht. Sitzen nicht alle kulturellen Disziplinen im gleichen Diskursboot, oder sind sie nur die Spiele zum Brot – die Dekoration einer zunehmend unmenschlichen und auf die eigene Zerstörung abzielenden Gesellschaft?
Diese Frage steht auch am Anfang der neuesten Ausgabe der Berlin Biennale. Sie will auch die letzte sein, und, ein bisschen Größenwahnsinn mag man dem Kurator vergeben, die letzte Biennale überhaupt. Das ist durchaus wörtlich zu nehmen. Da sind zum einen die graffitiartigen Knäuel, die bei näherem Hinsehen aus beinahe faustgroßen Bohrlöchern bestehen, die Thomas Zipp in die Wände des ansonsten leeren Hauptsaales hat bohren lassen. Und wenn man noch näher herantritt, erkennt man, dass in die Löcher Holzstangen eingebracht wurden, die Feuchtigkeit ziehen. Würde es während der Ausstellung zu Frost kommen, würde sich die Feuchtigkeit in den Holzstangen so weit ausdehnen, dass sie Risse in den Wänden produzieren würde, und die KunstWerke in nur einer Frostnacht baufällig würden. Dann wäre es nicht nur mit der Biennale zu Ende, sondern gleich mit den KunstWerken, ein Menetekel der Klimakatastrophe. Hat Gaitán den Hedonisten Zipp zum Öko umgepolt, oder einfach nur dessen Lust an Untergangssszenarien gekitzelt?
Olafur Eliasson und Anselm Reyle überraschen mit einer Gemeinschaftsarbeit, eine Hommage an den Verpackungskünstler Christo: das Haus der Kulturen der Welt, der zweite Ort der Biennale wurde komplett in Rettungsfolie verpackt, sieht nun aus wie eine überdimensionale, glitzernde ­Praline, kommt aber weitgehend ohne Heizung aus. Eine elektronische Uhr zählt die eingesparten Kilowattstunden, was beeindruckt, und die Auswirkungen auf den Treibhauseffekt, was deprimiert. Im abgedunkelten Inneren des HKW geben sich Videoinstallationen die Hand, wie der von Ming Wong Szene für Szene nachgedrehte Film „Reassemblage“ (1982), der erste und bekannteste der vietnamesisch-amerikanischen Filmemacherin Trinh T. Minh-ha. Ihre Aufnahmen aus dem Senegal, die keiner Narrative im eigentlichen Sinn folgen, und schon gar nicht den Konventionen von Dokumentarfilmen, dem ethnographischen Blick oder einer anthropologischen Perspektive. Weniger ein Versuch, Orientierung zu verschaffen, war dieser Film eher eine subjektive und beinahe amouröse Annäherung. Ming Wong spielt jede Figur im Film selbst, mit bemerkenswerten Anstrengungen in Sachen Make-Up und Method-Acting und reflektiert dabei grundsätzliche Fragen um die ethische Dimension von Produktions-, Darstellungs- und Präsentationsformen. Das könnte man auch als den Versuch lesen, eine historische Linie zu finden, eine quasi anti-nostalgische Lesart, die die heutige Realität globalisierter Kommunikations-, Produktions- und Konsumnetzwerke als Resultat historischer Entwicklungen transparent macht, die sich auch direkt auf Kunst und Kultur auswirken. Wer Ming Wongs Interpretation gesehen hat, für den ist das Original für immer unglaubhaft geworden.

Könnte es sein, dass Gaitán hier nicht nur das Ende der Bien­nale, sondern gleich das Ende der Kunst an sich einläuten will? In dem Maße, in dem Kunst sich zu einer Nische einer globalen Entertainment-Industrie entwickelt hat, scheint es eigentlich unausweichlich, dass Künstler wieder zu Kunstbetriebskünstlern werden, letztlich zu Kunsthandwerkern. Vielleicht ist es Poesie, vielleicht improvisierte Musik, die das Zeug dazu hat, einen neuen, realen Freiraum für Positionen zu schaffen, die sich nicht durch die Verwertungsmechanismen der Kunst drehen lassen wollen. Denn zu viele verdienen ihren Lebensunterhalt in Berlin mittlerweile mit nichts anderem als daran, eine Ökonomie der Aufmerksamkeit mit Ideen zu füttern, die über eine gewisse Halbwertszeit verfügen – aber nicht über viel. Je leichter die Verwertung funktioniert umso besser. Die Zeiten in denen Berlin ein Biotop für Kreative war, ist endgültig vorbei. Nachdem die City-Tax in die Errichtung eines Kunstparlaments geflossen ist, das es innerhalb kürzester Zeit geschafft hat, die Elemente rund um die von Ellen Blumenstein aktivierte Gruppe von „Haben und Brauchen“ dauerhaft zu beschäftigen, hat sich nun eine kleine Gruppe wieder freigestrampelt und arbeitet gegen diese Ruhigstellung durch Bürokratisierung an. So schlugen Anders Smebye, Ulf Aminde und Judith Raum in einem ersten Projektentwurf für ihren Biennale-Beitrag vor, die Künstlerveteranen „The B-Men“ als „Pussy Riot“ verkleidet am sowjetischen Ehrenmal auftreten zu lassen, um dort ihre Hymne „I like Shit“ vorzutragen. Aber mit der Freilassung des letzten inhaftierten Pussy-Riot-Mitglieds und der Einladung der Künstlergruppe Voina als offizieller russischer Beitrag zur Bien­nale in Venedig, fiel diese Idee in sich zusammen.

Das jetzt gezeigte Projekt hat die grundlegende Idee Gaitáns, das Format Biennale neu zu überdenken, beim Wort genommen, und nun eine Oper vorgelegt, selbst komponiert und mit Gastbeiträgen von Olaf Nicolai, Anne Imhof und Beautiful Balance, Raimar Stange, Carl Michael von Hauswolff, Coco Rosie, Aha und Christian Jost. Das Libreto mussten sie allerdings nicht selbst verfassen, es besteht aus dem Geschäftsbericht der Berlin Biennale, und legt jeden Cent offen, der für die Biennale ausgegeben wurde, jedes Glas Wein, jeder Economy- und Business-Class-Flug, die Finanzierung jeder einzelnen Arbeit. Die Zahlen allein erledigen die Arbeit, die Biennale öffentlich zu diskreditieren – die öffentliche Meinung hat sich auf extreme Weise gegen die Vorstellung gewandt, dass visuelle Künstler öffentliche Förderung beziehen sollten, stattdessen zeigen sich breite Mehrheiten für den Erhalt der Boulevardtheater, und bereits dieser Tage hat der Förderverein O2-Arena mehr Mitglieder als die Fördervereine aller öffentlichen Berliner Museen und Galerien zusammen.
Was wirkt, als hätten die Künstler dem Kurator vor den Bug schießen wollen, ist von jenem durchaus gewollt, hat er sich doch zuletzt dem Mantra der Galeristenlegende ­Michael Werner angeschlossen: „Am Ende zählt der Markt.“ Und meint damit, dass kein Künstler, der nicht auf dem Kunstmarkt Erfolge feiert, je Eingang in die Kunstgeschichte finden wird. Insofern sei die Biennale in ihrer jetzigen Form reine Augenwischerei, eine Art herumdoktern an Symptomen, wenn es doch letztlich um den großen Wurf geht. Der wohl bewusst provokative Vorschlag, Sabrina van der Ley aus dem norwegischen Exil zurückzuholen, um mit ihr als Präsidentin die Kunstmesse Art Forum wiederauferstehen zu lassen, könnte auch so verstanden werden, als dass Gaitán selber Interesse an einer solchen Konstellation haben könnte.
Aber es bleibt unwahrscheinlich, dass sich die frisch gekürte Generaldirektorin aller norwegischen Museen locken lassen wird. Wahrscheinlicher scheint da das Szenario, dass Gallery Weekend, abc und die Berlin Biennale fusionieren werden und unter der Leitung von Michael Neff und in Kooperation mit Phillips de Pury, als Kunstmesse mit angeschlossenem Auktionshaus in die Zukunft gehen werden, und damit den Marktplatz Berlin stärken, der zuletzt wieder deutlich an London und zuletzt sogar Paris abgeben musste. Dort kann man sich ganz auf den Markt konzentrieren und muss ­keine Biennale fördern, die der Illusion eines Interesses an ästhetischen Werten einer ohnehin verschwindenden Mittelklasse nachhängt. Hier erscheint die Rhetorik nun verschoben und steht den Gedanken der Initiatoren der Biennale entgegen, die ja gerade in der Erweiterung des ästhetischen Diskurses die Chance zur gezielteren Wirksamkeit der Kunst sahen, um sich gegen eine unakademische, als dekadent wahrgenommene Marktkunst zu profilieren. Gaitáns Ausstellung lädt vielmehr dazu ein, den gesamten Kunstbetrieb als eine Art aufgeblasene Arena eines historischen Diskurses aufzufassen, vor dem Hintergrund, dass sich die Bedingungen postindustrieller Arbeit und Produktion seit dem 20. Jahrhundert radikal verändert haben. Hier stellt sich die Frage, ob und wie die Grundgedanken, die im Kunstbetrieb immer noch vorherrschend sind, heute als informierter, und nicht naiver Gegenentwurf zu herrschenden industriellen Produktionsbedingungen artikulierbar werden? Und kann eine Biennale diese Problematik überhaupt darstellen, wenn doch zunehmend die ökonomischen Rahmenbedingungen die Arbeit der Produzenten diktieren? Die Beziehung zwischen künstlerischer Arbeit und dem Ausstellungsapparat, oder weiter gefasst, zwischen Kunstwerk und Kontext, thematisiert letztlich die herrschende Logik der Produktion im globalen Prekariat. Dabei wird im letztlich geradezu intimen Zusammenspiel von Kunstbetrieb und Künstler letzterer zur Mensch gewordenen Pufferzone eines technologischen und ökonomischen Fortschritts, der sich letztlich nur an einer nur geringfügig weniger abstrahierten Variante entfremdeter Arbeit mehr oder minder verzweifelt festklammert. 

Die 8. Berlin-Biennale, KW – Institute for Contemporary Art,
Auguststraße 69, 10117 Berlin, Frühjahr 2014


 
Collage: Andreas Koch (© )
Collage: Andreas Koch (© )
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