Camille Norment

September

2009:Jun // Birgit Effinger

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06-2009
















Natürlich macht es einen Unterschied ob ich in einen Club oder in eine Ausstellung gehe. Ab und zu stellen sich in diesem oder jenem Wirkungsraum jedoch atmosphärische Effekte oder Zustände der Selbstvergessenheit ein, die den andernorts erfahrenen Sinneseindrücken ähneln. Zum Beispiel in der jüngsten Ausstellung Camille Norments, die Zeichnungen und digital bearbeitete Fotografien ebenso umfasste wie ein kinetisches Penny-Objekt und eine ­Lichtinstallation. Hier trat der seltene Fall ein, dass Audio und Vision sich subtil und lautlos streifen. Eine derartige Tuchfühlung mit den virtuellen Qualitäten von Sound ist nahe liegend, da Norment bislang vorwiegend mit Klang- und Lichtinstallationen in Erscheinung getreten ist. Die schlichte ­Raffinesse, mit der die Arbeiten mal mehr, mal weniger stark ihre Bezugnahme auf kulturhistorische Einschreibungen wie zur Musik zu verstehen geben, ist dennoch verblüffend.

Bestimmend für das Erscheinungsbild der Ausstellung war zunächst die Titel gebende Lichtskulptur „Triplight“ (2008), ein von innen beleuchtetes Standmikrofon aus den 1950er Jahren, die vierteilige Zeichnungsserie „Cotton Rag“ (2008–09)sowie die großformatige, panoramaartige Zeichnung „Untitled Skin“ (2009).

Das zum Lichtprojektor umgebaute Mikrofon im Nieren­design scheint auf den ersten Blick die enge Nachbarschaft zum Sound am augenfälligsten anzudeuten: Es wirft einen gerippeartigen, an Zellen erinnernden Schatten an die Wand und erinnert mit seinem quasi zur ästhetischen Rückseite deklarierten Gebrauchswert an die Periode der 1950er und 1960er Jahre, in der das bis heute verwendete Bühnen-Mikrofon das Musik- und Showgeschehen wesentlich prägte. Dieses nicht unmittelbar lesbare – Musikern und Toningenieuren aber durchaus vertraute – Emblem einer historischen Musikepoche verschränkt die gegenwärtige Schattenprojektion nun mit zusätzlichen zirkulierenden, bildhaften Vorstellungen, die von Jazz über Blues bis hin zu Elvis Presley oder Billie Holiday reichen.

Auf den zweiten Blick sind es freilich die Zeichnungen, die soundähnliche Stimmungen und Emotionen evozieren: Auf seltsame Weise wird man in die großformatige Zeichnung „Untitled Skin“ hineingezogen, bei der zahllose Schwärme gezeichneter kleiner Punkte permanent von der messerscharfen oberen Kante in den breiten Horizontstreifen hineinzuregnen scheinen. Das panoramaartige Format lädt zum Vorbeiziehen ein und schafft somit eine zeitliche Dimension des Nach- und Nebeneinander, in der sich ein unendliches Wuchern, Flimmern und Flackern zwischen Wiederholung und Variation entlädt. In dieser mannigfaltigen Ausdehnung lässt sich wie in einem Ocean of Sound schwimmen und man findet sich umspült von einem halluzinierenden Mikroklima der Ungewissheit abseits konkreter Handlungszusammenhänge.

Die kleinformatigen Spiegelzeichnungen der „Lave Series“ (2008–09) schrauben den Moment des sich Verlierens weiter: Zunächst handelt es sich um rätselhafte trübe Spiegel, in denen man das eigene fragende Antlitz und seinen Umraum vage erkennt. Und dann scheinen unter dem grünmatten Glas hauchzarte Schraffuren aus dem Nichts aufzutauchen, die alles andere sind als authentische Zeugnisse essentieller Befindlichkeiten. Schweift ein zielgerichteter Blick über die Spiegelfläche, bricht diese Perspektive immer wieder zugunsten der nüchternen Öffnung auf räumliche Gegenwartsbezüge zusammen. Die objekthaften Zeichnungen erzeugen permanente Schwankungen, in denen Betrachter, federleichte Zeichenstrukturen, reflektierende Oberflächen und umgebender Raum immer wieder von einer anderen Sphäre aufeinander schauen oder auf diese Sphäre fliehen können.

Derartige situationistische Wahrnehmungs-Detournements beruhen allerdings weniger auf der viel besungenen Verschmelzung von Kunst und Sound. Vielmehr handelt es sich um präzise ästhetische Verfahrensweisen, die sich unter Einsatz von reduzierten Mitteln mit den Wirkungen anderer Kunstgenres aufzuladen verstehen.

Die Wahrnehmung tanzt beständig zwischen dem, was wir tatsächlich zu sehen meinen und es gilt – wie es bei ‚Spiritualized’ so schön heißt – die Devise: Ladies and Gentleman.We are Floating in Space.

Camille Norment „Trip Light“,
September,
Charlottenstraße 1,
10969 Berlin
21.03.–18.04.2009
Camille Norment, Ausstellungsansicht September, Berlin 2009; Foto: David Oliveira (© Courtesy September)
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