Tal Sterngast

NBK-Studio

2006:Dec // Kito Nedo

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12-2006
















„Lass uns über etwas Produktives reden“ sagt ein Mann zu einer Frau in Tal Kochavi Sterngasts Doppelprojektion „Ein Kind für“, die im November und Dezember im Studio-Raum des nbk auf der Chausseestraße gezeigt wurde. „Es muss doch möglich sein, über etwas ganz Einfaches und Naheliegendes zu reden,“ fährt er fort, „etwas was vielleicht nicht jeder hat, aber jeder einmal war. Lass uns über Kinder reden.“ Die Antwort der Frau lautet: „Es ist nicht die Zukunft, vor der ich Angst habe, es ist die Vergangenheit.“ Dazwischen hat die in Berlin lebende israelische Künstlerin für wenige Sekunden eine Landschaftsaufnahme mit tief stehender Sonne montiert. Zwei Leute reden hier für die Dauer von etwa acht Minuten aufeinander ein, aneinander vorbei – miteinander sprechen sie jedenfalls nicht. „Es muss uns klar sein, dass der Satz ‚Nie wieder Deutschland!‘ auf ganz fürchterliche Art und Weise wahr werden könnte.“ sagt der Mann an einer anderen Stelle des Videos und klingt dabei nicht wie ein menschliches Wesen, sondern wie der fleischgewordene Paragraph aus dem Koalitionsvertrag von cdu, csu und spd: „Eine Gesellschaft ohne Kinder hat keine Zukunft.“ Bevor sich das Gespräch, das wie eine psychoanalytische Sitzung anmutet, in den nächsten Durchgang loopt, verfolgt die Kamera ein Passagierflugzeug, wie es eine Stadtlandschaft überfliegt. Ob die Maschine zur Landung ansetzt oder gerade gestartet ist, lässt sich nicht sagen. „Wahrscheinlich kann man doch gleichzeitig hier und da sein“ sagt die junge Frau auf dem Sofa ein paar Einstellungen später.

Auf einer zweiten, räumlich zurückgesetzten Projektionsfläche wird unterdessen eine stumme Filmdokumentation abgespielt, die Bilder einer kollektiven Idylle zeigt: eine Kindergruppe rollt kleine Teigklumpen aus, dann folgen Szenen aus der landwirtschaftlichen Produktion: Früchte werden geerntet und auf einem Fließband sortiert, Kühe in einer Melkanlage gemolken, Milch in Flaschen abgefüllt oder ein Feld umgepflügt. Landschaftsimpressionen wechseln mit Nahaufnahmen von Blumen, dann wird wieder eine Siedlung aus der Vogelperspektive gezeigt. Schnitt: Glückliche Eltern mit einem Baby auf dem Arm, Kinder tanzen einen Reigen, veranstalten Badespiele oder tragen bei einer Art Erntedankfest Erzeugnisse wie Eier an der Kamera vorbei. Sterngast griff für diese zweite Schiene auf Filmmaterial aus den sechziger und siebziger Jahren zurück, das sie im Archiv einer israelischen Kibbuzsiedlung ausfindig machte. Es sind Bilder aus der Vergangenheit, die sich in ihrer Ästhetik stark von der vorderen, dominanteren Projektion unterscheiden, sie wirken wie ein Erinnerungsstreifen, der irgendwo im Hinterkopf mitläuft, eher verbleichend, als stärker werdend.

In ihrer Summe lässt die Video-Installation den Betrachter erstmal ratlos zurück. Und das ist gut. Die offene Form der Präsentation verweigert sich einer schlüssigen Erzählung und wirft stattdessen ganz lebensnahe Fragen auf: Was ist Glück? Wie oder wo will ich leben? Ein Kind für… wen? Die Familie, die Gesellschaft, den Staat? Auf subtile Art plädiert die Arbeit zum einen für eine kritische Auseinandersetzung mit medial inszenierten Diskursen der Jetztzeit in Deutschland um das Thema „kinderlose Gesellschaft“, die sich oft genug in leeren Phrasen erschöpfen, zum anderen auch mit den gescheiterten Kollektiv-Utopien, die den israelischen Kibbuzim noch in den sechziger und siebziger Jahren den ideologischen Rahmen gaben.

Tal Kochavi Sterngast „Ein Kind für“
NBK-Studio, Chausseestraße 128/129
4.11.–17.12.2006
„Ein Kind für“, Videostill (© Tal Sterngast)

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