Teil 2

2010:Jun // Various

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06-2010





Das Gallery-Weekend wird nicht nur immer opulenter – es fängt auch immer früher an: So bildete bereits die Eröffnung von Olafur Eliassons Einzelausstellung, die am Mittwoch 28.04. bis Mitternacht geöffnet war, bereits den inoffiziellen Auftakt der folgenden Tage.

Spätestens mit der im selbigen Martin-Gropius-Bau eröffneten Frida Kahlo Retrospektive fielen Scharen erlebnishungriger Kulturfreunde aus aller Welt über Berlin ein. In ihren Bottega Veneta Täschchen stapelten sich die Einladungskarten für Galadinners und Shows sensationeller Künstlerstars, wie beispielsweise Cecily Brown (Museumsinsel), Monica Bonvicini (Wedding), Damien Hirst (Tiergarten), die sich über ein riesiges Stadtareal streuten. Dem Tumult nach fühlte es sich in mir bereits nach noch anstehender Biennale an. Gallery-Weekend? Für einen Taxifahrer jedoch kein Begriff.

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Block Party? My Ass! Wie schön hätte das sein können. Eine Handvoll Boutiquen um die Torstraße herum hatten die an sich nette Idee, eine „Block-Party“ zu veranstalten. Block-Party klingt etwas cooler als Straßen- oder Stadtteilfest, und nichts anderes waren die Block-Partys, für die vor knapp neunzig Jahren in New York ganze Blocks abgesperrt wurden, um mit den Soldaten zu feiern, die nach Europa in den Krieg geschickt wurden. Dass in den siebziger Jahren gerade in den ärmeren Vierteln New Yorks wieder an diese Tradition angeknüpft wurde, trug mit zum späteren Erfolg von Sound-
Systems und Hiphop-Kultur bei. Aber in der Torstraße war davon nichts zu spüren. Zu elektronischer Musik tanzte für einen Nachmittag ein an Homogenität kaum zu übertreffendes Publikum von fröhlichen Mittelklasse-Hip- und Festangestelltengesichtern, das Ganze diskret gesponsort von einem Turnschuhhersteller. Mit einem Mal bekam man eine Idee warum die Loveparade vielleicht wirklich eine politische Veranstaltung war. Im Vergleich dazu war die Block-Party eine Art Soho-House-Party für Arme. Glücklicherweise war der Spuk am frühen Abend vorbei.

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Die Kölner Messe hat ihre Leichenstarre überwunden. Jedenfalls machte sie dieses Jahr doch einen sehr lebendigen Eindruck. Wobei zugestanden werden muss, dass der Beobachter nur die oberste Etage gesehen hat, aber dafür dreimal, oder war es zweimal, durch die Gänge gelaufen ist. Kurze Begrüßung von Joanna Kamm, aus Liebe zu Berlin, anschließend peinlicherweise Buchholz mit Neugerriemschneider verwechselt. Beide gut… Dass der König nicht zurück grüßte, nehmen wir ihn nicht übel, mit dem Alter wird man eben majestätischer. Dafür hat dann der Job in Venedig nicht geklappt und wir haben schon Bice per Mail gratuliert. Jedenfalls wandelt sich die Messe in Köln zu einem flinken Boot, wo die Berliner Version noch den Anschein eines Ozeandampfers macht, der noch nicht richtig in Fahrt gekommen ist. Vielleicht wird es diesmal besser … und die Schornsteine rauchen …

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Im Frühling fließen die Säfte. An jeder Ecke schauen sie mich an, die beiden prallen Brüste und ihr Phallus. Irgendwas zwischen der Venus von Millendorf und Porno. „Double Sexus“ heißt die dazugehörige Ausstellung, eine Kombipackung von Louise Bourgoise und Hans Bellmer in Charlottenburg. Das da erst jetzt einer drauf gekommen ist. Das dazugehörige Plakat jedenfalls ist überall und kriegt definitiv den Preis für das saftigste Frühlingsmotiv.

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Zweiter Tag Gallery-Weekend: der Sound der kreisenden Hubschrauber über Kreuzberg am Abend des ersten Mai verkehrt das Revuepassieren des Tages in eine politische Gretchenfrage. Dabei war’s heute vor allem privat: in einer ehemaligen Eisenhandlung harmonieren Elizabeth Peytons kleinformatige Pastelle farblich mit den unverputzten Wänden und nehmen dem Raum so die Rohheit. Dirk Stewen paart in der Mulackstraße Ausstellungsraum und Künstlerwohnung. Die Gruppenausstellung Bel Etage nutzt den Dachboden eines Plattenbaus am Rosa-Luxemburg-Platz, in dessen Treppenhaus kitschige Drucke von Blumenmotiven auf Leinwand für einen Moment eine ähnliche Wirkung erzeugen wie der Feuerlöscher im White Cube.

In der Bibliothekswohnung endet die Tour mit Sascha Hahns David Bowie-Film Essay, dessen großartige Soundspur mit ihren teils an rotierende Propeller erinnernden Klängen langsam in den Abend überleitet.

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Gerücht: CFA eröffnet im September eine Dependance auf Lanzarote. Architekt: Timm Thaler.

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An der Prenzlauer Allee hat jetzt in der ehemaligen SED-Parteizentrale für die „Schönen und Reichen der Stadt“ nach britischem Vorbild der Edelclub „Soho House“ eröffnet. Klar, dass es dort auch Kunst zu sehen gibt. Das Konzept der Auswahl – leider kein Witz! – ist folgendes: Arbeiten von Künstlern, die in Berlin arbeiten, die alle in schwarzweiß gehalten und selbstverständlich erklärtermaßen unpolitisch sind.

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Sonntagmittag. Sammlung Olbricht. Sprachlosigkeit, Entsetzen, Ekel. Wie kann dieser Mann das machen! Das Café finde ich schon ein starkes Stück, aber die Merchandising-Produktlinie im Foyer ist der Oberhammer. Dann die sechs Euro Eintritt. Aua. Die Sammlung ist verabscheuungswürdig. Der Kurator gehört aus der Stadt gejagt. Die Zusammenstellung ist infantil. Das ist übel. Das ist grobschlächtig. Das ist überdimensioniert. Das ist kitschig. Das ist Mist. Das ist Horrorkammer. Die wenigen guten Arbeiten werden in den Schmutz gezogen. Vollkommen hyperventiliert sehe ich dann aber doch noch eine klasse Arbeit: die Herrentoilette.Endlich Klarheit, endlich Ruhe, endlich Entspannung. Liebe Künstler, wenn ihr eine Arbeit in der Sammlung Olbricht habt, dann tauscht sie sofort zurück gegen ein Kilo Zuckerwatte oder einen Riesenplüschaffen. Herr Olbricht kennt den Unterschied nicht! Gute Nacht Auguststraße! Niemals hingehen!

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Drei mal hintereinander in der gleichen Straße gewesen, einmal so, das zweite Mal für eine Vernissage und das dritte Mal Vernissage und Büroeröffnung. Das letzte Mal war am besten, wegen der Bibliothek in der Mitte des Raumes und drum herum die Kunstwerk von Via Lewandowski. Am Eingang des Atelierhauses von Katharina Grosse … Lehrter Straße. Vielleicht hätte ich mal klingeln sollen, weil wir irgendwie eine Art Verabredung hatten, die nie realisiert wurde. Jetzt wieder gesehen in Wolfsburg … kein Wort, ist auch gut so. Davor Eröffnung einer neuen Ausstellung der Galerier Zwischenlager und von Ferne hörte sich das wie eine Berliner Dependance einer Schweizer Galerie an mit großen Räumen und ‚Direktanschluss am HBF‘. Die Realität war etwas kleiner, zum Teil kuschelig und Hermann Pitz war auch nicht vor Ort. Der Text über ihn ist überarbeitet und wird wohl demnächst erscheinen. Und das erste Mal nur so durchgefahren, ohne Halt, aber mit dem Hinweis auf das Haus von Katharina Grosse …

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Gregor Schneider war in der Stadt. Toter Raum, Rom und ich bin ja auch hier. Weil er schon nicht unrecht hat, es sonst Nichts gibt hier als Gräber und Ruinen, zumindest unter den Füßen. Für mich das alte Problem, ich bin ein Angsthase, Geisterbahn auf der Kirmes, Hilfe! Aber ich wollte, musste da hin, bin ja Fan und am Ende war alles halb so wild… Trotzdem bleibt eine Frage. Eine äußerst Wichtige, die ich Herrn Schneider leider nicht mehr stellen konnte, weil, als ich (in Begleitung, denn alleine hätte ich mich nie getraut) lebendiger als vorher, zurück und rauskam aus dem Toten Raum, war Schneider weg. Die Autogrammstunde war zu Ende. Finito. Aber die Frage nagt an mir und am Toten Raum. Was waren diese Füße, diese Schuhe, diese Strümpfe? Gruselig!

In italienisch-englisch habe ich herausgefunden, dass die Füße, die Schuhe, die Strümpfe gar nicht zur Installation gehört haben sollen!? Sondern die Klappe, hinter der ich diesen Grusel sah, der Emergency-Exit war. Im Dunkeln, im Tunnel, im Schacht, war dies die Endstation, kein Exit. Ich war ja schon an der Mumie vorbei. Aber scusi, die italienische Aufsicht meinte, als ich zurück war am fridge oder frigo: NO! Das wäre ein Versehen, ein Missverständnis. Am Ende vielleicht eine andere Aufsicht, die dort zufällig hinter der Klappe gestanden hätte. Da sollte aber niemand stehen, sollte nichts sein. Aber sie war da und ich habe die Füße in den Stützstrümpfen in den schwarzen Schuhen gesehen und das alles gehörte für mich zwingend dazu. Als krabbelndes Etwas im schwarzen Schacht und am Boden, will ich eine Erklärung! Da stand wirklich jemand. Nicht nur, weil ich auf allen Vieren im Dunkeln gekrabbelt bin, habe ich mir das alles in XXL vorgestellt. Herr Schneider, wenn Sie dies lesen: Scusi! Was habe ich gesehen, wen habe ich nicht gesehen – doch nicht die Hausschlampe?

Weekend-Club beim Gehen vor dem Aufzug. Das Setting sieht aus wie auf einem dieser unzähligen Artdingsda-wir-schauen-in-die-Kamera-und-sind-toll-Fotos. Tim Neuger, Cay Sophie Rabinowitz, ihr Freund Christian Rattemeyer und eine mir unbekannte amerikanische, wahrscheinlich, Sammlerin. Cay macht auf meinen Hinweis schnell die Fotos.

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Cay war lange Parkett-Redakteurin, kurzfristig Art-Basel-Direktorin, Christian ist Kurator am MoMa in New York, beide wohnen seit langem dort und kommen zwei, drei Mal im Jahr zu den wichtigen Art-Events nach Berlin. Auf mein Nachfragen bejahen sie meine Frage: Ja, sie haben die Wohnung noch, seit jetzt achtzehn Jahren im nördlichen Prenzlauer Berg. Cay kam 1991 nach Berlin, ohne jegliche Sprachkenntnisse und landete erst im tiefsten Friedrichshain. Aus heutiger Perspektive normal, damals war das eine echte Expedition in den sehr grauen Osten. Kein Telefon, anstehen an Telefonhäuschen, erste Spaziergänge durch die Karl-Marx-Allee, keine Kontaktmöglichkeiten mangels gemeinsamer Sprache oder überhaupt Leuten auf den recht leeren Straßen. Heute, ist sie eine der wenigen aus der anglo-amerikanischen Art-Crowd, die fast perfekt deutsch spricht – und jedes Mal auch immer ein bisschen nach Hause kommt.

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Guten Morgen, liebe Z,

ich habe mich sehr gefreut, Dich am Freitagabend kennen gelernt zu haben. Von meiner forschen Äußerung gegenüber Damien Hirst (A…loch) hatte ich Dir ja berichtet. Wie es der Zufall wollte, benutzten wir gemeinsam den Fahrstuhl. Dieser war, bedingt durch die Bauarbeiten, noch etwas muffig. Das nahm natürlich auch Mr. Hirst war. Darauf äußerte er: Soll ich mal einen fahren lassen? Soviel zu meiner A…loch Äußerung. Viele Grüße von deinem 2/3 VIP

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Hi there, yes, happy to meet you that night and to hear jail stories. It's not everyday that you meet someone who knows someone who just „served“!

Just seeing your mail now, and laughing my head off after having translated what „fahren lassen“ means. Originally, i thought that Mr Hirst wanted to have another elevator sent up in its place, an Ersatz-Aufzug. First, i thought, what a jerk, then after learning that he said, Should i fart? i find it wiederum sympathisch und lustig. best wishes, Zena

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Sehe eine Talk Show im Ausstellungsraum „Suppertico Lopez“, nämlich das perfekt, vielleicht zu perfekt, beinahe nahe schon „glatt“ produzierte Video „The Anarchist Banker“ von Jan Peter Hammer. Mehr oder weniger frei nach Fernando Pessoa gibt sich da, kurz nach „Ausbruch“ der Finanzkrise, ein Banker als wahrer Freiheitskämpfer. Auch wenn dabei manch’ neoliberale Ideologie vom Künstler klug offengelegt wird, bleibt letztlich doch die Frage offen, in wie weit Zynismus tatsächlich erkenntnisgewinnend sein kann. Fahre also in nachdenklicher Stimmung mit der U8 nach Hause.

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Gerücht: Der Ausbruch des isländischen Vulkans Eyjafjallajökull und der Ausstoß der gigantischen Aschewolke war als unangekündigte Arbeit von Eliassons Martin-Gropius-Bau-Ausstellung geplant. Der Prozess ist leider außer Kontrolle geraten, weswegen alle Beteiligten zu Stillschweigen verpflichtet worden sind.

Have you fed the fish? There are worse things than sitting on the toilet and realizing the roll is empty. Consider sitting on the toilet and realizing a sardine can is staring at you. Worse even, consider sitting on the toilet and realizing you are but-square naked before your tabby’s eyes. “I am ashamed of almost always tending toward a gesture of shame when appearing naked before what one calls an animal, a cat” Jacques Derrida tell us in “The Animal That Therefore I Am”, which is also the starting point for “Derridas Katze…que donc je suis” a show curated by Alice Goudsmit in the Künstlerhaus Bethanien. The text revolves around the possibility of a non-human other, whose gaze lays claim to a subject’s status. Or is it but our projection? Are we humanizing our cat’s lingering look? Our language is here, yet again, speaking us.

We humans have entrenched ourselves in the semantic habit of discerning ‘intention’ from ‘instinct’. Yet for animals, though this distinction had the anecdotic corollary of halting ‘animal trials’, popular in Europe up until the 18th century – no kidding people were really putting pigs, mice and even beetles on trial – the enlightened road out of their legal woes led directly to the industrial slaughterhouse. Causing great scandal in all pious souls, in his 1954 essay, “The Question concerning Technology,” Martin Heidegger wrote that “Agriculture is now a mechanized food industry, in essence the same as the manufacture of corpses in the gas chambers and death camps.”

If Derrida’s text is a source of delight, Heidegger’s represents the unspoken horror of realizing that for every pampered pet there is an annual figure of 300 million processed cattle.

Proving that art can still make a point, ‘Derridas Katze’ compiles a myriad approaches to animality, which challenge all mirror projections of humanity. While providing us a glimpse of what we make of the inner-life of beasts the show strives to achieve something animals already know, namely that the purpose of communication is not to transfer information but to manipulate and to effect change in your environment.

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Wilmerhale? Where, what is that? Oh…it’s a law firm on the top floors of the Handelszentrum on Friedrichstraße. Once a year the offices serve as exhibition space. I was punctual, along with the men in suits – the lawyers, executives, consultants and business associates. For almost an hour there were only a handful of us, compared to corridors full of them. Slowly colour arrived in the form of ‘the art crowd’. Slowly we took over and – only after the last drink was finished and the last nibble was nibbled – were we the last to leave.

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Architektur und Sex kennt eigentlich jeder. Dass es – grob gesagt – zwischen beiden gelegentliche Konnexe geben kann, ist vielleicht nicht jedem klar, springt hier jedoch sofort ins Auge: Eine Treppe aus Metallketten und Gerüststangen, ein Lederbett gepaart mit Fotografien, die in Stahlkettenschrift die Namen gängiger Antidepressiva proklamieren, ein Block aus Stahlketten auf einem Spiegelkubus und weitere Szenarien. Monica Bonvicini hat mit ihren Markenzeichen Stahlketten, Gerüststangen und Lederriemen verschiedene psychotisch aufgeladene Raumgefüge gebaut. Alles tadellos, definitiv interessant ist das Video „No Head Man“: Vier Männer in Anzügen wandeln gelangweilt in einem undefinierten White Cube. Einer fängt beiläufig an zu onanieren, warum eigentlich? Und dann beginnt der Raum sich aufzulösen und die vier Gestalten stoßen mit dem Kopf durch Wand, Boden und Decke. Gewissermaßen ein anzüglicher wie kritischer Science Fiction mit hohem Unterhaltungswert.

In seinen Collagen, Projektionen, Skulpturen und Installationen erschafft Matias Faldbakken lebendige, neue Bilder aus Materialfragmenten der Vergangenheit. Sein Werk, angeregt vom Weltgeschehen und durch assoziative Improvisation entstehend, ist provokant und nachdenklich zugleich. Die Werkfindung beginnt bei Faldbakken meist ohne konkrete Vorstellung des Ergebnisses. Ganz im Sinne der surrealistischen écriture automatique. Seine Collagen entstehen durch Assoziieren von Ideen, Shuffeln von Buchseiten, Postern, Magazinen und Fotografien, sowie Hinzufügen zeichnerischer Elemente oder den spontanen Einsatz von Worten und Schrift.

Als Ressource erweist sich Material unterschiedlichster Datierung, Herkunft und Bedeutung, das sich in Form von Fragmenten aus Vergangenheit und Gegenwart, Realität und Fiktion zu traumhaft-alogischen Bildern verbindet, die zugleich eine bestimme Denkstruktur aufweisen.

Ein zentrales Werk wird im Herbst dieses Jahres im Museum of Modern Art, New York präsentiert werden.

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