Innenarchitektonische Intoleranzen

/ Willem de Rooij in der Neuen Nationalgalerie (verglichen mit Imi Knoebel, Thomas Demand und Rudolf Stingel)

2011:May // Timo Panzer

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03-2011
















„Intolerance“ lautete der Titel der Ausstellung, einer temporären Installation des niederländischen Künstlers Willem de Rooij, die in der Neuen Nationalgalerie Berlin gezeigt wurde. Ihr Direktor Udo Kittelmann formulierte zu seinem Amtsantritt das Ziel, in der oberen Halle der Neuen Nationalgalerie ausschließlich Ausstellungen zu organisieren, die an einem anderen Ort nicht denkbar wären. So setzten sich die Ausstellungen von Imi Knoebel, Thomas Demand, Rudolf Stingel und zuletzt Wilhelm de Rooij auf unterschiedlichste Art mit der Architektur Mies van der Rohes auseinander.

Bei De Rooij gewährten die Glaswände keinen Einblick in den oberen Teil der Neuen Nationalgalerie. Spiegelnd führten sie dem Ausstellungsbesucher Stadtraum und Passanten vor Augen. Eine auf das Glas aufgetragene Klebefolie und innenliegende, raumhohe Gardinen tauchten das Innere in ein leichtes Halbdunkel. Eine graue Wand mit der Aufschrift „Willem de Rooij Intolerance“ verband die sich gegenüberliegenden Garderobenkuben, bis auf einen Durchgang, miteinander und trennte so Eingangsbereich und Ausstellungsraum voneinander. In der Mitte der Halle wurde, parallel zu der bereits erwähnten, eine weiße, 36 Meter lange, 5,2 Meter hohe und 2,4 Meter tiefe Wand gesetzt, also in vertikaler Ausrichtung zu den beiden bestehenden raumhohen Scheiben aus Marmor. Wilhelm de Rooij verklebte für seine „speziell für die Neue Nationalgalerie“ (Begleittext zur Ausstellung) entwickelte, temporäre Installation die sonst so transparente Glasfassade und ließ die Architektur so als einen monumentalen, in sich geschlossenen Fremdkörper erscheinen. Von Außen wirkte die dunkle, spiegelnde Fassade abweisend und ließ so im Inneren eine private Sphäre vermuten. Der Blick durch die Ausstellungs- in die Stadtlandschaft wurde ersetzt durch eine graue Reflektion. Kittelmann beschreibt im Vorwort der zum Werk gehörigen dreibändigen Publikation „den transparenten offenen Ort als eine Einladung an alle und alles: als ein Zentrum der Toleranz“.

Das „Zentrum der Toleranz“, vom Raumkontinuum zum „grey cube“ transformiert, ließ den Besucher jedoch im Halbdunkel stehen und setzte ihm Grenzen entgegen. Zugleich bildete die weiße Ausstellungswand, hell erleuchtet, den zentralen, als Objekt erfahrbaren Anhaltspunkt und die sonst begrenzende Wirkung der Marmorwände trat zurück, um nun den Blick optisch zu kanalisieren. Laut Katalog ist „das Halbdunkel (…) Programm“ und die Präsentationsbedingungen werden „mit denen kunsthistorischer oder ethnologischer Museen verglichen“.

Imi Knoebel setzte mit seiner Ausstellung „Zu Hilfe, zu Hilfe …“ vom 23. Mai bis 9. August 2009 am gleichen Punkt an. Alle Fensterscheiben wurden weiß gestrichen und so eindeutig ihrer Transparenz beraubt. Während Knoebel der Architektur mit dem Medium Malerei begegnete, arbeitete De Rooij durch seinen Eingriff mit dem Licht, womit er Ludwig Mies van der Rohes Gedanken der Entmaterialisierung aufgriff. Knoebel brach, wie De Rooij, mit der Offenheit der modernen Architektur, mit der Konzentration auf das Innere, aber ohne auf Tageslicht zu verzichten. De Rooij erzeugte einen Gegensatz von Innen und Außen und setzte dabei das Innere in ein, das Außen nicht ganz ausblendendes Halbdunkel. Die umlaufende Silhouette der Stadt blieb also Teil des Ganzen. Die Konzentration auf das Innen wurde dabei nicht über die Auseinandersetzung mit dem Bauwerk erzeugt, sondern durch die leuchtende Präsentation der mit Bildern und Objekten dekorierten Wand. Knoebel griff hingegen die Idee der Architektur auf und nutzte die Wirkung der Innenhalle, die durch seine Malerei eine Verwandlung erfuhr. Thomas Demand hängte in der Ausstellung „Nationalgalerie“ vom 18. September 2009 bis 17. Januar 2010 in Zusammenarbeit mit Caruso St. John Architects, dicke Theatervorhänge aus Wollstoff auf und schuf dadurch eine Vielzahl neuer, ineinander greifender Räume. Ähnlich wie De Rooij, der eine Trennwand als Verbindung der beiden Garderobenboxen aufstellte, also architektonische Elemente punktuell zu der bestehenden Architektur hinzufügte, schuf Demand ein neues Raumgefüge und nutzte dabei den gegebenen Freiraum. Die Vorhänge wirkten wie Wandscheiben und es gelang, die zwei Marmorscheiben als raumbildende Elemente in die Komposition einzubinden. Bei „Intolerance“ standen diese kontextlos im Raum und teilten den Blick (des Besuchers) bei dem Versuch, die Ausstellungswand in ihrer ganzen Länge und Wirkung wahrzunehmen.

In den Bereichen, wo die Glasfassade von Demand nicht zugehängt wurde, entstand über die Spiegelung der Architektur in den großformatigen Fotografien und dem Schattenwurf der Fassadenstützen ein Wechselspiel zwischen Innen und Außen. Im Kontrast zu den dominaten Theatervorhängen, entstanden so definierte, gerahmte Ausblickssituationen, die den Umraum neu inszenierten. Das Gebäude blieb schützende Hülle und Demand bediente sich einer praktischen Möglichkeit, Räume zu schaffen, die er mit der Hängung der Fotografien thematisch abstimmte.

Für die daran anschließende Ausstellung „LIVE“ (10. Februar bis 24. Mai 2010) dekorierte Rudolf Stingel die Halle mit einem prunkvollen Kronleuchter und einem auf Graustufen reduzierten ornamentalen Teppich. Die Marmorscheiben und die zwei Garderobenkuben erhielten somit neue Präsenz und wirkten wie überdimensionale Möbel in einem Wohnzimmer. Dabei traten die dezenten ornamentalen Texturen von Marmor und Holz verstärkt hervor. Irritation entstand bezüglich des Maßstabs, weil das Muster des Teppichs vergrößert und verpixelt war.

Stingel inszenierte und präsentierte die sonst so strenge Ausstellungshalle in neuem Licht. Er arbeitete sehr klar und direkt mit dem Raum und schuf durch die Addition von zwei Elementen tatsächlich ein ortsspezifisches und temporäres Werk. Demands Gliederung der Ausstellungshalle erfolgte in Anlehnung an die dort 1969 gezeigte Paul-Klee-Ausstellung. Ein freier Grundriss bildete die Basis für unterschiedliche Konstellationen einzelner Räume.

Imi Knoebel erzeugte, ähnlich wie Stingel, mit geringem Aufwand eine neue Atmosphäre und nutzte die Hinterseiten der Garderobenkuben für die Ausstellung seiner Objekte. Willem de Rooij hingegen setzte an unterschiedlichsten Punkten an. Er blendete die Glasfassade aus, fügte der bestehenden Architektur ein Element hinzu und schuf eine neue Architektur/Skulptur/Ausstellungswand im Zentrum des Baus. Die Gegenüberstellung von Bild und Objekt, das Zusammentreffen von Werken Melchior d’Hondecoeters mit hawaiianischen Federobjekten, schaffte aber den Sprung von der Ausstellungswand als Collage hin zum raumgreifenden Gesamtkunstwerk nicht, auch weil die punktuellen Veränderungen nicht miteinander harmonierten. Sowohl Demand als auch De Rooij nutzten den Raum in erster Linie für die Ausstellung von Werken. Während Demand über die Thematisierung der Nachkriegsgeschichte einen klaren Bezug zum Ort und der Institution „Nationalgalerie“ geschaffen hat, schwebte „Intolerance“ im Raum und Kittelmanns „Zentrum der Toleranz“ wurde durch die intolerante Geste, den Einblick von Außen in die Nationalgalerie zu verwehren, in Frage gestellt. Und der Bezug auf die Architektur Mies van der Rohes war nicht so zwingend, als dass nicht auch andere Orte für diese Ausstellung genauso denkbar gewesen wären.

Willem de Rooij „Intolerance“, Neue Nationalgalerie, Potsdamer Straße 50, 10785 Berlin, 18. 09. 2010–02. 01. 2011

Siehe auch von hundert 10 (11/2009) die Artikel von Maren Lübke-Tidow zu Thomas Demands Ausstellung in der Neuen Nationalgalerie und in der gleichen Ausgabe von Jasmin Jouhar über Imi Knoebel am gleichem Ort.
Die Willem-de-Rooij-Ausstellung wurde von Melanie Franke in der von hundert 13 (11/2010) besprochen.

Thomas Demand, „Nationalgalerie“, Außenansicht (© Andreas Koch)
Willem de Rooij, „Intolerance“, 2010, Ausstellungsansicht (© Staatliche Museen zu Berlin, Foto: Jens Ziehe)
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