Hila Peleg / History Will Repeat Itself

unitednationsplaza / Kunst-Werke Berlin

2008:Feb // Matthias Sohr

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02-2008











Halber Film „A Crime Against Art“ nur im unitednationplaza und Katalog „History Will Repeat Itself“ statt gleichnamiger Ausstellung. An einem Wochenende im November hatte ich mich der Zeitlichkeit der Medien Film und Ausstellung widersetzt. Wie einem braven ‚Subjekt‘, das sich ob der eigenen Vergeblichkeit rügt, dämmerte mir, mich der Spannungsbögen dieser Medien unrechtmäßig entzogen zu haben. So hätte auch kein ‚Werk‘ jemals offenkundig zu mir sprechen können! Meines „Crime Against Art“ wegen hätte man mich noch an Ort und Stelle anklagen sollen: Nämlich den Intentionen der Autoren nicht jene bürgerliche Aufmerksamkeit entgegen gebracht zu haben, die schon mit dem Wissen um Beginn und Ende einer Filmrolle oder eines Ausstellungsparcours hätte einsetzen müssen. Gefangen im Phantasma, dass maximale Aufmerksamkeit erreichbar sei, stellte meine pflichtbewusste Selbstanklage voreilig die bürgerliche Erwartungshaltung nicht mehr in Frage. Lagerte sich die Bourgeoisie auch nur in meinem Unbewussten ab, war ich nichtsdestotrotz ihrer Affekt- und Meinungsbildung wegen in Verantwortung zu ziehen. Aus der psychoanalytisch inquisitorischen (Gehirn)Kammer wäre die verinnerlichte Anklage ins Setting der Gerichtsverhandlung zu tragen gewesen.

Der Film „A Crime Against Art“ von Hila Peleg lief schon mindestens eine halbe Stunde, als ich mich vor der Leinwand im unitednationsplaza einfand. Was dort im Licht der Projektion tatsächlich verhandelt wurde, gab mir Rätsel auf: Kein Wunder, hatte ich doch die Anklagepunkte der Ankläger Chus Martinez und Vasif Kortun verpasst. Gerade waren sie im Begriff, Anton Vidokle und Tirdad Zolghadr – die Initiatoren des unitednationsplaza sowie dieser Gerichtsverhandlung selbst – irgendeines Verbrechens zu überführen. Doch auch ohne mein explizites Zeugnis der Anklagepunkte blieb nur noch zu bestätigen, dass sich die Gerichtsverhandlung nach und nach aufzulösen schien, sodass auch die Beteiligten immer wieder dem roten Faden der Anklage nachzuspüren hatten. Eine wiederholte Sichtung bestätigte: Allein der Verteidiger Charles Esche scheint befähig, derart Sachverhalte in seinem Sinne rhetorisch zuzuspitzen, dass die gerichteten Fragen jedem Zeugen finale Bestätigungen abverlangen, die die von ihm verteidigten Anton Vidokle und Tirdad Zolghadr entlasten. Denn da die Anklage tatsächlich auf „cooptation/collusion with the (new) bourgeoisie“ lautet, zeigt Esche immer wieder auf, dass die Verteidigten nicht als Stellvertreter dafür gerichtet werden können, woran alle teilhaben. Es ist seine Erfüllung des szenischen Rahmens ‚Gerichtsverhandlung‘, die zunächst noch verkniffenes Lachen und Lächeln im Miteinander dieses Experiments sichtbarer werden lassen. Alles andere dagegen verliert sich in jenem, zur Anklage gebrachten, selbstreferentiellen Diskurs, der kapitalismuskritische Formeln ihres Bezugs entkleidet und dem Flattern der Assoziationen aussetzt. Der Hinweis der in den Zeugenstand berufenen Maria Lind, dass man sich in einem Moment der Inkubation befinde, bleibt als einzige Rechtfertigung dieses Entkleidens und Flatterns zurück: mit der Hoffnung, dass das Vokabular möglichst bald neu erfunden werde. Am Ende bleibt vom Experiment ‚Gerichtsverhandlung‘ tatsächlich übrig, einen Jargon ausgestellt zu haben.

Weniger selbstreferentiell ließe sich „A Crime Against Art“ eventuell wiederaufführen mit Angeklagten, die sich nicht selbst ihren Prozess bereiten wie Anton Vidokle und Tirdad Zolghadr. Anhand eines anderen ‚Subjekts‘ wäre zum Beispiel die Anklage zur „cooptation with the bourgeoisie“ zu verhandeln; eines ‚Subjekts‘, das viel offenkundiger als ‚Täter‘ im Rahmen der von ihm co-kuratierten Ausstellung „History Will Repeat Itself“ in den Kunst-Werken hervortritt. Denn dem Subjekt Inke Arns könnte Chus Martinez nicht mehr – wie jeweils noch Anton Vidokle und Tirdad Zolghadr – psychologisierend ein heroisch-theatralisches Bedürfnis unterstellen, wie ein Märtyrer gerichtet werden zu wollen. Inke Arns würde immerhin gegen ihren Willen angeklagt. Scheiterte eben noch Jan Verwoerts Richterspruch an der kollektiven, nicht mehr ursächlichen Mitschuld aller im Gerichtssaal Anwesenden, so ist Inke Arns deutlich als ‚Täterin‘ ihres, mit dem Titel der Ausstellung gleichnamigen Katalogbeitrags identifiziert. Es findet sich in diesem, schon zur Gelegenheit einer früheren, Dortmunder Ausstellungseröffnung veröffentlichten Artikel eine oberflächliche, durchaus als bourgeois zu kennzeichnende Reflexion der Medien im Reenactment. Obwohl… vielmehr gerade weil ich mir den Parcours zuerst erlesen und nicht erlaufen habe, möchte ich von dem mir – als Bürger und Bourgeois – zur Seite stehenden Recht Gebrauch machen, Anklage zu erheben. Denn diese Lektüre verwehrte mir den ‚unvoreingenommenen‘ Blick auf die doch äußerst konzise, aber dennoch abwechslungsreiche Zusammenstellung künstlerischer Arbeiten in den Kunst-Werken.

Im Rahmen dieses, sich lesend vollziehenden Reenactments klage ich Inke Arns der „cooptation with the bourgeoisie“ an, da sie dem Reenactment die Kraft attestiert, die abgestandenste Empfindung des christlichen Abendlandes zu provozieren, nämlich Mitgefühl. Das Reenactment sowie dessen zu begutachtendes Zeugnis verursachen Inke Arns zufolge weniger mittels ihrer komplexen Kodierung von Referenzen eine bestimmte Art der Erfahrung, als dass sie vielmehr die Leinwand für einen ‚mitfühlenden‘ Rezipienten sind: „Das Kurzschließen der Gegenwart mit der Vergangenheit ermöglicht eine Erfahrung der Vergangenheit in der Gegenwart – eigentlich ein unmöglicher Blick auf Geschichte. Es handelt sich dabei um einen Versuch, Mitgefühl für die Subjekte vergangener Ereignisse zu empfinden, indem man sich selbst an ihrer Stelle imaginiert.“ Kein Wunder, dass gerade Artur Żmijewskis Arbeit „80064“, in der ein Ausschwitz-Überlebender überredet wird, seine tätowierte Nummer aufzufrischen, zur Illustration dieses Textabschnitts dient. Das hier mit dem Begriff ‚Verkörperung‘ Verpasste zeigt mit abgeschmacktem Gestus lediglich die Überforderung mit der differenzierten Artikulation geschichtlicher Prozesse. Die von Inke Arns kaum gezeichneten Grenzen von Ereignis, Reenactment und Zeugnis des Reenactments folgen keineswegs dem prüfenden Blick, der im Parcours zwischen geschichtlicher Patina des Ausgestellten und Jahresangabe auf der Bildunterschrift oszilliert, um mitunter verunsichert einen geschichtlichen Raum hypothetisch aufzuspannen. Stattdessen müsste – insbesondere die Ebene der (Mit)Gefühle betreffend – darauf hingewiesen werden, dass die vermittelten Ereignisse und Reenactments im jeweiligen Zeugnis nicht aufgehen. Erst so könnte der schmale Grad zwischen Psychologisierung und Intellektualisierung besser ausgeleuchtet werden. Nachträglich agiert die eigene Affekt- und Meinungsbildung unumgänglich viel komplexer, beispielsweise entlang medial vermittelter, Recht sprechender Argumentation. Die passive Erotik des Mitgefühls kann im Angesicht der Komplexität geschichtlicher Ebenen und medialer Spiegelungen überhaupt nur noch jenen naiven, fiktiven Rezipienten heraufbeschwören, dem „ein unmöglicher Blick auf Geschichte“ als Referenzpunkt dient.

„A Crime Against Art“
unitednationsplaza,
16.11.2007

„History Will Repeat Itself“
KW Institute for Contemporary Art
Auguststraße 69
8.11.2007–13.01.2008
Hila Peleg „A Crime Against Art“ (Still), 2007 (© unitednationsplazastudios, Berlin)
Coverfoto Katalog „History will repeat itself“ von Heike Gallmeier, „War&Peace Show: Minipanzerschlacht“, Fotografie, 2004 (© Heike Gallmeier)
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