Nezaket Ekici

U-Bahnhof Alexanderplatz, Linie U2

2007:Nov // Julia Gwendolyn Schneider

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11-2007












Eine Frau scheint an ihren eigenen Haaren zu hängen, sie ist erschöpft in viele Ballons eingebettet, sie beißt in ein Stück Rasen, sie pumpt ihr eigenes Kleid auf, sie klopft sich eine Gipsummantelung vom Körper, sie setzt unzählige Küsse mit ihrem roten Lippenstiftmund auf die Wand und die Gegenstände in dem sie umgebenden Raum. Diese und weitere rätselhaften, extremen und absurden Momentaufnahmen können derzeit auf der Hintergleisfläche des Bahnsteiges der Linie u2 am Alexanderplatz gesehen werden. Alle 32 Werbetafeln sind mit Farbabzügen von großformatigen Videostills beklebt, die jeweils einen Ausschnitt aus Performances darstellen, die Nezaket Ekici in den letzten fünf Jahren präsentiert hat. So genau wissen werden das aber vermutlich nur Eingeweihte, oder aber Menschen, die vielleicht gerade dort am Bahnhof stehen und auf den nächsten Zug warten, wo eine Tafel über das Ausstellungsprojekt „u2 Alexanderplatz“ der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst informiert.

In der Ausstellungskurzbeschreibung heißt es, dass sich alle im Jahr 2007 teilnehmenden künstlerischen Arbeiten deutlich mit der spezifischen Situation des Ortes auseinandersetzen würden und der kreative Umgang mit den besonderen Rezeptionsbedingungen dabei im Zentrum stehen würde. Ich frage mich nun, wie sich das auf die gezeigte Arbeit von Ekici übertragen lässt. Für die Künstlerin selber deutet der Titel ihrer Ausstellung, „Life Extreme“, darauf hin. Vergleichbar mit der Situation beim U-Bahnfahren, die im Allgemeinen durch Hektik, Stress und Beschleunigung als anstrengende Alltagssituation erfahren wird und sich bei vielen Menschen körperlich und mental abzeichnet, zeigen die Bildausschnitte von „Life Extreme’’ in anderen Situationen, doch verwandte Eindrücke.

Davon, dass es Ekici, die seit 2003 Mitglied von Marina Abramovics Independent Performance Group ist, darum geht, sich auf ihren Körper als künstlerisches Ausdrucksmittel zu konzentrieren, zeugen die Bildausschnitte allemal, aber wie existenziell ihre Performances tatsächlich sein können, lässt sich bei dieser Darstellungsweise nur erahnen. Hier liegt ganz klar ein Widerspruch vor. Nimmt man die Arbeit aber so wie sie ist, also keine Performances, sondern großformatige Farbfotografien, deren Pixeligkeit und Aktionismus darauf hindeuten, dass es sich hierbei um Auszüge von Videodokumentationsmaterial handelt, passt die so gewählte Präsentationsform sehr gut in die Umgebung des schnelllebigen U-Bahnsteiges. Mehr als ein fragmentarischer Eindruck der Umgebung erscheint hier nicht möglich. Genau auf dieser Geschwindigkeitsebene setzen die Abbildungen aus Ekicis Arbeiten ein. Wer sich auf sie einlassen kann, wird für einen Moment zum Nachdenken angeregt, wodurch er oder sie sich der Beschleunigung der alltäglichen Erlebniswelt für einen Moment entzieht. Was angenehm sein könnte.

Andererseits wird es trotz Nachdenken, nicht immer möglich sein, die Bilder der vorausgegangnen Liveperformances auch nur ansatzweise zu imaginieren. Einige Performance-Ausschnitte können nur schwer für sich alleine stehen. Ekicis Auftritt in ihrem langen Gewand, dass aus 600 blauen Glasamuletten besteht, mit dem sie am 25. August 2007 zum Abwehr-Performance Festival die Kreuzberger Wrangelstraße entlang lief, war beeindruckend. Die aus der Türkei stammenden „Blauen Augen“ sollen Schutz geben und den bösen Blick abwenden. In der schillernden 40 Kilogramm schweren Robe zog die Künstlerin jedoch erst einmal alle Blicke auf sich. So war sie einerseits machtvolle Trägerin des Amuletts und droht andererseits Opfer der objektivierenden Blicke zu werden. Diese Zusammenhänge kann das Abbild von Ekici im blauen Kleid leider nicht liefern.  Interessant dürfte es am 30. September 2007 werden, wenn es zusätzlich zu den Fototafeln eine Liveaktion auf dem Bahnsteig zu sehen geben wird. Ekici hat sich vorgenommen „Apeiron II“ zu zeigen, die Weiterführung einer Performance, die 2006 durch Paul Delvauxs Gemälde „Spitzenprozession“ inspiriert worden war. Sie wird ein Spitzenkleid tragen und mit einer brennenden Öllampe sehr langsam über den Bahnsteig, wie bei einer Prozession, andächtig daher schreiten. Dazu soll auf dem gesamten Gleis Musik von „Space Odyssey 2001“ zu hören sein, bei der mehrere Frauenchöre schreiende Laute von sich geben werden. Die Künstlerin erhofft sich von dieser absurden Aufführung, dass sie die Anstrengung ihrer Arbeit, wie sie auf den Bildern nur zu erahnen ist, in der Lifeperformance widerspiegeln wird. Davon unabhängig, ist es ihr auf jeden Fall gelungen der Vielfalt ihrer mehrjährigen künstlerischen Arbeit Raum zu geben, es fragt sich eben nur, wie stark ihr Werk in der fragmentierten Form tatsächlich für sich alleine sprechen kann.

Nezaket Ekici, „Life Extreme“,
U-Bahnhof Alexanderplatz, Linie U2,
12.7. bis Mitte Oktober  
Nezaket Ekici, „Mein Leben“, Still (© Courtesy the artist)
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