Anomyrphous

Peter Weibel, Joulia Strauss und Bradley Manning

2012:Aug // Johannes Wilms

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08-2012


















-------- Original Message --------
Subject: Bradley Manning / Invitation
Date: Tue, 10 Jan 2012 16:40:04 +0100
From: Peter Weibel <weibel@zkm.de>
To: info@armycourtmartialdefense.com

Dear Mr. David E. Coombs, Esq.,
I am Chairman and CEO of ZKM (Centre for Arts and Media Karlsruhe / Germany), which is one of the most renowned institutions for new media internationally.
I am contacting you concerning Bradley Manning. In my opinion Mr. Manning is a hero of the Information Age. In the tradition of enlightenment he distributed information to the public to protect human rights. He evidently understands that the internet, following the free press, is one of the best instruments to proclaim democracy. His example demonstrates that in the 21st century we are experiencing a shift from visual media to social media, in which the media are becoming the platform of individual agency as social engagement.
Therefore I would very much like to invite Bradley Manning to become a Fellow at my institution for a period of two years to share his competence and knowledge with us and to develop new projects. Mr. Manning's Fellowship would entail a stipend and full access to our remarkable facilities. He would be at liberty to join our scientists and technology specialists in all areas of IT, proposing his own projects and/or participating in ongoing ones. Along with my colleagues, I would be honoured if Mr. Manning would accept my invitation to work at ZKM.
I am also pleased to inform you that as a curator of the Moscow Biennial 4, I had invited Berlin-based artist Joulia Strauss to participate with her media monument for Bradley Manning in this exhibition. Her media sculpture with Bradley Manning’s voice and face was a big success. I selected this project as a Western counterpart to the position of Ai Weiwei, whose video work “Beijing” was also shown at the Biennial.
I wish you and Bradley Manning the very best for 2012 and look forward to your answer.
Yours sincerely, Peter Weibel
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Prof. Dr. h.c. Peter Weibel
Vorstand / Chairman and CEO

Immer wieder hat die in Petrograd gebürtige und in Berlin lebende Joulia Strauss in ihren Arbeiten Sinn für Ikonen gezeigt und bewiesen. Einen Sinn für Ikonen der Kunst, Ikonen der Philosophie und der Politik. Ob in den „Twelve Caesars of the Techno Empire“, klassizistisch anmutenden Portraitbüsten Berliner DJ(ane)s Ende der 90er-Jahre, in „Leyla Zana und Abdullah Öcalan oder die Gründung Kurdistans“, die im Rahmen von „Fokus Istanbul“ 2005 im Martin-Gropius-Bau gezeigt wurde, ob im surrealen Videoportrait des IT-Dissidenten Joseph Weizenbaum, das, ebenfalls 2005, auf der Preview-Messe dem „Künstlerbedarf“ sekundierte – Joulia Strauss faszinieren die medialen Verdichtungen, die semantischen Vektoren, die sich in einzelnen, wirklichen Menschen abbilden – und so ist, im Kontext ihres Oeuvres, das „Anamorphous Monument to Bradley Manning“, nur konsequent.
Das „Anamorphous Monument“ wurde auf Einladung von Peter Weibel im letzten Jahr auf der 4. Biennale in Moskau gezeigt; die Arbeit ist eine in den Kaleidoskopen der Computerkunst Joulia Strauss’ gebrochene Hommage an den mutmaßlichen cablegate-Informanten von Wikileaks, Bradley Manning. Er ist nicht nur, wie in Opferzusammenhängen üblich, jung und schön, er ist auch schwul. Seit Mai 2010 ist Manning in Haft. Gegen ihn wird wegen Hochverrats ermittelt. Tea-Party-Faschisten fordern seine Hinrichtung. „Am 23. Februar 2012 wurden Bradley Manning auf dem Militärstützpunkt Fort Meade die 22 Anklagepunkte, einschließlich dem der ‚Kollaboration mit dem Feind‘ verlesen. Obwohl hier die Todesstrafe in Frage kommt, verzichtete die Anklage darauf, diese zu fordern. Manning droht damit eine lebenslange Haftstrafe.“ So die deutschsprachige Wikipedia. Im März 2012 sieht der UNO-Sonderberichterstatter über Folter, Juan E. Méndez, in Mannings Haftbedingungen „eine Verletzung von dessen Recht auf physische und psychische Integrität“. Zur Zeit wird Bradley Manning vom US-Militär an einem unbekannten Ort festgehalten.

From Bradley Manning to Pussy Riot
Die Idee, Bradley Manning ein Stipendium am ZKM in Karlsruhe anzutragen, war auf einer Diskussionsveranstaltung im Rahmen des Festivals „MediaImpact“ am 27. September 2011 in Moskau entstanden, als Weibel, unter dem Beifall des Publikums, versprach, Bradley Manning nach Karlsruhe einzuladen.
„MediaImpact“ hatte im September 2011 einen viel diskutierten Ausschnitt des zwischen Artivism und Activism changierenden Spectrums zeitgenössischer Kunst gegeben und so die 4. Moskauer Kunstbiennale komplementär begleitet. Ähnlich der Bb7 stand Provokation neben Präsentation, traf Anspruch auf Analyse und symbolisches Pathos auf präzise gesellschaftliche Intervention.
Bezeichnenderweise stellte Peter Weibel hier, bei „MediaImpact“ und nicht im Rahmen der von ihm kuratierten Biennale, sein Buch „10++ Program Texts for Possible Worlds“ vor; und bezeichnenderweise sollten Strauss und Weibel in Berlin mehr als nur den Titel der Moskauer Veranstaltung wieder aufgreifen. Anlass war diesmal, am 23. Juni in in den KunstWerken, die Vorstellung des inzwischen fertig gestellten Kataloges „MediaImpact – International Festival of Activist Art“. War die Moskauer Präsentation „Art & Agency in the Information Age: from Duchamp to Manning“ überschrieben, so wurde daraus in Berlin „Art & Agency in the Information Age: From Bradley Manning to Pussy Riot“.
Tatsächlich war das feministische Punkrock-Kollektiv “Pussy Riot“ auch auf der „MediaImpact“ vertreten; wie Bradley Manning sind die Aktivistinnen zur Zeit in Untersuchungshaft. Für ihre Anfang des Jahres in der Moskauer Erlöserkirche abgehaltene Performance „Virgin Mary, chase Putin out!“ haben die Künstlerinnen wegen „Hooliganismus“ bis zu sieben Jahre Gefängnis zu erwarten: „By the time the catalogue went to print, the outcome of the lawsuit was still unknown.“ („MediaImpact“, Seite 206)

From Duchamp to Manning
Für Weibel ist Bradley Manning ein „Held des Informationszeitalters“, wie er am Dienstag, dem 10. Januar 2012, um 16:40:04 +0100, an den Direktor des Militärgefängnisses schreibt. Bereits in seinem Moskauer Diskussionsbeitrag am 27. September 2012 hatte er schwere Geschütze aufgefahren. Unter Duchamp, Meta-Duchamp, Haacke und Meta-Haacke, beispielsweise, tut er es nicht. Weibel erklärt Manning zum Kulminationspunkt innerhalb seiner Theorie der jüngeren Kunst- und Mediengeschichte, die von der auf Material und Maschinen gegründeten klassischen Moderne zur zeitgenössischen Medienkunst reicht, und die in den aktuellen ‚social media‘ ihren vorläufigen Höhepunkt findet. „So instead of the logic of production, today we have in the contemporary world and in contemporary art the logic of distribution, distributing information by media.” (ebd., S. 64)
War Duchamp selbst mit seinen Readymades noch der Sphäre des Materials, des Machens, der Produktion verhaftet, erscheint Manning als die Tugend des Informationszeitalters selbst, denn er verdoppele nicht Objekte der Realität, vielmehr ist in Mannings Handlung „the logic of distribution“ (ebd. S. 66) zu sich selbst gekommen. „Bradley Manning has not produced anything. He took the information and distributed it“ (ebd., S. 65). Zwischen Duchamp und Manning liegt also ein kleiner, aber bedeutender Schritt: vom Readymade zu Wikileaks.   

http://www.freebradleymanning.de/
http://www.freepussyriot.org/


Weibel, Strauss, Volkova: „MediaImpact“ (Buchvorstellung),
Diskussion: „Art and Agency in the Information Age.“
From Bradley Manning to Pussy Riot. (Kunst und Handlung im Informationszeitalter. Von Bradley Manning zu Pussy Riot)
KW im Rahmen der Occupy Berlin Ausstellung der Berlin 
Biennale 7, Auguststraße 69, Samstag, 23. Juni 2012, 16 Uhr
Joulia Strauss „Anamorphous Monument to Bradley Manning“, 2011, 
In collaboration with Moritz Mattern ZKM | Center for Art and Media, Karlsruhe, Courtesy of the artist (© )
Joulia Strauss, Buchpräsentation auf der occupyBerlin, http://occupybb7.org, Screenshot (© )
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