Hardly Anything

Upstairs

2010:Feb // Julia Gwendolyn Schneider

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02-2010
















Kleben dort etwa vier einsame Fotoecken auf der Galeriewand? Nein. Das sind keine Plastikecken mit selbstklebender Rückseite, in denen ein Foto Halt finden könnte. Die säuberlich abgerissenen Papierecken bilden vielmehr eine kokette Rahmung. Nur für was denn eigentlich? In „Vier Ecken eines entfernten Blattes Papier“ (1991) hat Maria Eichhorn das potentielle Bild beseitigt. Alles oder nichts kann auf dem ausgerissenen Stück zu sehen gewesen sein: „Kantig“ unterläuft Eichhorn die kunstbetriebliche Objektbegierde.

Ihre Lückenästhetik läutet im Eingangsbereich der Ausstellung eingängig ein, worum es im Folgenden auf sehr unterschiedliche Weise geht: Die Leerstelle als bewusste konzeptuelle und ästhetische Auslassung. Dazu hat Christine Nippe Arbeiten von acht jungen in Berlin lebenden KünstlerInnen ausgewählt. Wurde Nippes kuratorischer Blick bisher von einer urbanistischen Perspektive begleitet, thematisiert sie mit „Hardly Anything“ Phänomene der Leere, die ihr bei Atelierrundgängen in Berlin aufgefallen sind.

Wie in einer Variation zu Eichhorns Blattresten ist auch in Tatiana Echeverri Fernandez Arbeiten an der gegenüberliegenden Wand, das, was fehlt, zentrales Motiv. Fotografien aus historischen Auktionskatalogen setzt sie zu Collagen zusammen und lässt dabei nichts als Schattenwürfe des Mobiliars und durch Lichtinszenierungen betonte Hintergrundflächen übrig. In „Weights, Measures and Prices“ (2007), wie Echeverri Fernandez diese Serien nennt, erzeugt die gähnende Leere der fehlenden Objekte zugleich eine eigene Aura.

Noch im selben Raum folgen Natalie Czechs fast schwarze Fotografien, die Abbildungen von eingefangenen Staubspuren sichtbar machen. Dieser Staub stammt aus Museumsdepots, wo so manch ein Kunstwerk vielleicht wirklich dabei ist zu verstauben. Ähnlich verlassen geht es in den Bücherregalen der ehemaligen Bibliothek einer geschlossenen Sternbeobachtungsstation in Stockholm zu. Hinter dieser von Susanne Kriemann dokumentierten Leere verbergen sich stadtplanerische Fehler und soziologische Fragestellungen. An der Grenze malerischer Konzepte bewegen sich hingegen die Gemälde von Martin Hoener. In „A Modern Problem“ (2007) stellt seine weiße Übertünchung die darunter gelagerten Farbschichten und eingelagerte Papierschnipsel ausdrücklich hinten an.

Dass sich Momente der Leere auch in Skulpturen kundtun, wird in einem zweiten, ungleich größeren Raum deutlich. Wie die schmutzigen Schneehaufen, die im Moment Berlins winterliche Gehwege säumen, sieht das aus, was Thomas Rentmeister hier in einer Ecke aufgeschüttet hat. Sein „dreckiger“ Minimalismus besteht aber nicht aus Schnee-, sondern aus Zuckerkristallen, die vermengt mit Asche und Staub grau gesprenkelt sind. Verunreinigt deuten sie auf die Schädlichkeit des Nahrungs- und Genussmittels hin, wobei sie als „profaner“ Haufen auch die Grenze des Skulpturalen erkunden. Auch „Calypso“ (2009), wie Rentmeister sein zartes weißes Floß in Anlehnung an das gleichnamige Forschungsschiff von Jacques-Yves Cousteau gewichtig nennt, ist nicht „rein“. Mit Pattexspuren versehen, die gelblich zwischen den aneinander geklebten Tampons hervorquellen, schwebt es ästhetisch an der Grenze zum Ekel. So etwas wie die Minimal Art eines Donald Judd, die mit ihrer Vorstellung vom wertneutralen Material die reine Oberfläche fetischisiert, nimmt er hier ganz offensichtlich hops.

Was aussieht, als wäre es beinahe nichts, hat mehr zu sagen, als man denkt. Das ist der Schlüssel dieser wohl durchdachten Schau. In der Schlichtheit steckt die Üppigkeit. Der Leerstellenfokus macht den Subtext sichtbar, bzw. deutet überhaupt darauf hin, dass es einen solchen gibt. Wie fruchtbar das Konzept sein kann, zeigt auch der durchsichtige Kubus von Pia Linz. Hier ist die Leerstelle förmlich eingebaut. Aus dem Innenraum heraus hat die Künstlerin den Anblick ihres Berliner Hinterhofs dokumentiert. Täglich ist sie in das Acrylglasgehäuse geschlüpft, um auf die Innenseite der transparenten Wände ein Bild von dem, was sie umgibt, zu zeichnen. Für uns ist das Innere, also der Ort der Bildentstehung, zwar einsehbar, jedoch bietet die Außenseite die eigentliche Hauptansicht. Zwar folgt Linz den Gesetzmäßigkeiten der Wahrnehmung und damit auch der Zentralperspektive, wir stehen als Betrachter aber nicht mehr im Zentrum dieser Welt. Vielmehr verlieren wir uns unaufhörlich in vielfältigen Durch-Sichten und das hat weit reichende Folgen: Dem historischen Blickregime Europas stellt Linz’ Konzept der Leerstelle ihren subjektiven Blickwinkel entgegen.

„Hardly Anything“
upstairs berlin
Zimmerstraße 90/91
10117 Berlin
07.11.2009 – 16.01.2010

Nathalie Czech „Depot 1326“ (Ausschnitt), 2007–2008 (© Natalie Czech, Courtesy upstairs berlin, Berlin)
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