Referenzkacke

Martin Gostner vor der Neuen Nationalgalerie

2012:Aug // Andreas Schlaegel

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08-2012

















„Geht es eigentlich noch pubertärer?“ war eine Reaktion. Eine andere die Frage: „Is dit ooch Kunst?“, auf das weißgesprenkelte Pollockmuster deutend, das Vögel auf der Terrasse der Neuen Nationalgalerie hinterlassen haben könnten.
Höhöhö. Sie sehen wirklich erstaunlich echt aus, diese in Kunststoff abgegossenen Pferdeäpfel, trotz ihrem künstlich wirkenden, dunkelblauen Indigoton, der im Kontrast zu den anderen Skulpturen hier steht, dem rostroten „Broken Obelisk“ von Barnett Newman oder der matt-braunen Bronze des „Vater Staat“ von Thomas Schütte. Die aus Kunststoff perfekt abgegossenen Pferdeäpfel erinnerten mich auch an eine Edition, die Schütte vor zwanzig Jahren herausbrachte – kleine, birnenförmige Keramiken, die „Blaue Frucht (gegen Furcht)“.  Ich zerbrach mir den Kopf über diesen Satz, aber die Lösung lag nahe: die blaue Frucht, die gegen Furcht hilft, ist natürlich die blaue Birne. In anderen Worten: reichlich alkoholisiert lässt sich Angst besser aushalten.

Das mag für Schütte gelten oder gegolten haben und wohl auch für den einen oder anderen sonst. Aber Martin Gostners Arbeit ist weit weniger idiosynkratisch angelegt: „Der Erker der blauen Pferde (Erker 7)“ ist nur auf der Oberfläche eine „drop sculpture“ als betont respektlose Replik auf die darum versammelten Meisterwerke der Skulptur des zwanzigsten Jahrhunderts. Vielmehr bezieht sich Gostner konkret auf die Nationalgalerie selbst. Wichtiger als die vorhandenen Arbeiten ist ihm ein Werk, das seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs verschollen ist: Franz Marcs „Der Turm der blauen Pferde“ von 1913. Es war sechs Jahre nach seiner Entstehung von der Nationalgalerie angekauft worden, wurde 1937 von den Nazis konfisziert und dann im Rahmen der Schmähausstellung „Entartete Kunst“ gezeigt, bis „eine Offiziersvereinigung protestierte, weil Franz Marc 1916 im Ersten Weltkrieg bei Verdun gefallen war“. Danach sicherte sich Hermann Göring das Bild, das seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges unauffindbar blieb, obwohl zahlreiche Sachverständige danach suchten. Zuletzt wurde das Gemälde unmittelbar nach dem Kriege im Haus am Waldsee gesehen und kurz darauf, bereits stark beschädigt, in einem Zehlendorfer Jugendlager. Danach fehlt jede weitere Spur.

Aber hier geht es nicht nur um ein verschollenes Gemälde. Der feinsinnige Tiermaler, dessen Kunstverständnis an Wilhelm Worringers Schrift „Abstraktion und Einfühlung“ geschult war, der eine „pantheistische Einfühlung“ und eine „humanisierende“ Darstellung der Natur anstrebte, die das „zitternde Tierleben“ fühlbar machen würde, fiel der Kriegseuphorie seiner Zeit zum Opfer. Der Künstler hatte sich wie viele andere, beispielsweise Max Beckmann, freiwillig zum Kriegsdienst gemeldet. Obwohl der enge Malerfreund August Macke kaum fünf Wochen nachdem er eingezogen worden war, fiel, hielt sich die Begeisterung bei Marc noch bis in das nächste Kriegsjahr, erst dann erkannte er seine Verblendung und die Sinnlosigkeit des industrialisierten Massensterbens. Als er 1916 in die Liste bedeutender Künstler aufgenommen und damit vom Kriegsdienst befreit wurde, war er bereit, den Heimweg anzutreten. Bei seinem letzten Einsatz, einem Erkundungsritt bei Verdun, wurde er von Granatsplittern tödlich getroffen.

Zehn Tage später schoss der junge Jagdflieger Hermann Göring einen feindlichen Bomber ab und erwarb sich damit den Ruf eines Fliegerasses. Diese Reputation wusste Göring für seinen Aufstieg zur Nr. 2 des Nationalsozialismus geschickt auszunützen.
Mit seiner „Erkerkultur“, unangekündigten, diskreten Interventionen, gelingt es Martin Gostner immer wieder, unter Ausnutzung des genius loci für den Betrachter Breschen in die kanonisierte Wahrnehmung historischer Ereignisse zu schlagen. Die Vorstellung, dass die Pferde sich aus dem Bild befreit hätten und für einen Moment als lebendige Organismen aufgetaucht wären, hat etwas von der Leichtigkeit und dem Geheimnis der Natur, wie sie in den berühmten Tiergemälden Marcs aufscheint.
Je länger man sich in die damit verbundene Geschichte vertieft, desto mehr wird die märchenhafte Lebendigkeit konterkariert durch eine Narrative von unzähligen Morden, Raub und Gräueltaten, die sich der Geschichte dieses Gemäldes angelagert haben.
Kein Wunder, dass die „urban dictionary“ zum Stichwort „blue shit“ folgendes  ausspuckt: „Clearly being the worst of the worst. Not only is it bad, but it is distinguishable among other shit for being so bad.“ Die Geschichte bleibt grausam. Mögen uns die blauen Pferde ohne Herrenreiter auf dem Weg zum Horizont noch viele blaue Haufen hinterlassen.

Martin Gostner, „Der Erker der blauen Pferde (Erker 7)“, Neue Nationalgalerie, Potsdamer Straße 50, 10785 Berlin, 
ab 31.5.2012 s
Martin Gostner „Der Erker der blauen Pferde (Erker 7)“, 2012, Installationsansicht, Courtesy of the artist und Neue Nationalgalerie (© Foto: Andreas Schlaegel)
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