Realität und Fiktion

Villa Schöningen

2013:Dec // Niele Büchner

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12-2013
















Realität und Fiktion
/ Schwelende Realitäten in der Villa Schöningen

Die Villa Schöningen in Potsdam ist kein neutraler Ort: entscheidet man sich als Künstler oder Kurator für eine Ausstellung vor Ort, hat man es automatisch mit den Eigentümern Matthias Döpfner (Springer-Chef) und Leonhard Fischer (Vorstandsvorsitzender eines Finanzinvestors) zu tun. Hier ist weniger Innovation als solide deutsche Männerkunst gefragt, geht es weniger um Experimente als um strategisches Positionieren und Kontakten. Wie direkt diese Verbindungen fruchten können, war in den zahlreichen Ankündigungen und Rezensionen nachzuvollziehen, die in der Springer-Presse über die Ausstellung „Realität und Fiktion“ erschienen. Darüber hinaus war der Zeitschrift Monopol, für die Friedrich von Borries – der Kurator der Ausstellung – regelmäßig schreibt, eine Zeitungsbeilage beigefügt. Soviel schon mal zur Realität.
Thema der Ausstellung sind die „Spannungsfelder zwischen Realität und Fiktion, Bericht und Erfindung, Verschweigen und Offenlegen“ (von Borries), wobei die Künstler dieses Thema auf unterschiedlichste Weise aufgreifen: Mal wird das Medium Fotografie manipuliert, mal werden Identitäten vorgetäuscht oder Designertaschen „gehackt“. Im Vordergrund stehen weniger die Werke, als die Praktiken und Strategien des Täuschens, wie Manipulationen, fiktive Identitäten und Reenactments – und die Reaktionen, die sie hervorrufen. Von Borries scheint von den Möglichkeiten der Manipulation und Fälschung fasziniert zu sein, die sowohl Selbstzweck sein können, wenn es vornehmlich um die eigenen Identität geht, als auch politische Intentionen verfolgen, wenn sie z.B. der Aufdeckung intransparenter Strukturen dienen. Es handelt sich um Intervention der Kunst/der Fiktion in die „Realität“, deren Wirksamkeit anhand von direkten medialen Reaktionen oder Kaufangeboten relativ einfach nachzuvollziehen ist.
So wie bei Ora-Ïto: Aus dem Produktdesign kommend, entwarf er 1999 Taschen, die Logos und Muster bekannter Firmen wie Apple und Louis Vuitton plagiierten. Die Taschen wurden jedoch nie produziert, sondern waren lediglich Computer-Renderings, die Ora-Ïto auf seiner Seite bewarb. Nichtsdestotrotz waren sie so erfolgreich, dass sie dem Designer Folgeaufträge verschafften. Ebenfalls Produktfälschung betreibt der dänische Künstler Jakob Boeskov. Als Vertreter eines fiktiven Unternehmens reiste er zu einer Waffenmesse nach China um den „ID Sniper“ vorzustellen – einer Waffe, die scheinbar GPS-Chips auf Leute schießen kann, um diese später zu orten. Auch Boeskov stellte sich so geschickt an, dass ihm zahlreiches Interesse entgegen gebracht wurde. Dies gilt auch für The Yes Men. Ihnen gelingt es immer wieder mit gefälschten Websites, Zeitungen oder performativen Auftritten für Verwirrung zu sorgen und unter dem Deckmantel des höchst Offiziellen subversive Botschaften und Nachrichten unterzubringen. Jeremy Deller wiederum stellt keine Produkte her, sondern lässt historische Ereignisse nachspielen. In Potsdam ist sein Video „Battle of Orgreave“ zu sehen, indem gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Bergarbeitern und Polizisten in Orgreave nachgestellt werden. Durch das Einfügen von Originalaufnahmen aus dem Jahr 1984 entsteht ein dokumentarischer Charakter, verfließen die Grenzen zwischen und Realität und Inszenierung.
Einen anderen Ansatz verfolgen die fotografischen Positionen von Beate Gütschow, Thomas Demand und Julian Rosefeldt. Sie hinterfragen auf je unterschiedliche Weise den Glauben an die „Wahrheit der Fotografie“. Gütschow, indem sie ihre Fotografien digital bearbeitet und zusammengesetzte Landschaften erschafft, deren Künstlichkeit erst beim Blick aufs Detail offensichtlich wird. Rosefeldt, indem er Stills aus dem Film „American Night“ ausstellt, auf denen sich klassische Westernmotive mit Filmhandlungen und Medienbildern überlagern und so eine irritierende Gleichzeitigkeit verschiedener Zeiten und Motive schaffen. Demand, indem er „Tatortfotografien“ – in diesem Fall handelt es sich um den Hoteltisch, an dem Whitney Houston ihr letztes Mahl einnahm – durch die Verwendung von Papiernachbauten ihrer „Realität“ beraubt.
Neben den fotografischen Manipulationen gibt es einen dritten Strang durch die Ausstellung mit Arbeiten, bei denen es um fiktive Identitäten geht, die von fiktiven Personen geschaffen wurden. So tritt Walid Raad, der in der Ausstellung mit uneindeutigen Fotografien von Lichtreflexionen vertreten ist, auch als Urheber der Atlas Group in Erscheinung – einer fiktiven Gruppe. Damit geht er ähnlich vor wie Dirk Dietrich Hennig alias George Cup & Steve Elliot und Nat Tate alias William Boyd: beide geben sich als andere aus oder erfinden Personen. Auch Mikael Mikael ist ein Pseudonym. In der Beilage steht, dass er bis 2009 einen anderen Namen trug und im Roman „1 WTC“ von Friedrich von Borries auftaucht. Es scheint nahe zu liegen, dass es sich bei diesem Künstler um den Kurator selbst handelt, der in der Ausstellung mit der Posteraktion „Show you are not afraid“ vertreten ist. So viel zur Fiktion.
Noch einmal zurück zur Realität: Thomas Demand ist ein Kollege von Friedrich von Borries. Christoph Kellers Arbeit war schon in der Ausstellung „Klimakapseln“ im Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg zu sehen – auch von Borries kuratiert. Die Arbeit von Iñigo Manglano-Ovalle war im Original vor kurzem in den Kunst Werken ausgestellt, Julian Rosefeldt hatte eine Einzelausstellung in der Berlinischen Galerie. Von Borries zeigt keine neuen Arbeiten oder Positionen – abgesehen von seinen eigenen. Auch das Thema ist nicht neu – wird hier aber immerhin aus neuen Perspektiven beleuchtet: Produktdesign trifft auf Fotografie trifft auf Hackingstrategien. Diese interdisziplinäre Mischung kann erfrischend sein, aber sie birgt die Gefahr von Unschärfen und ausufernden Rändern. Betrachtet man die Einflusszonen, derer sich von Borries bedient, genauer, wirkt die Auswahl noch subjektiver und durchschaubarer. Gewagt scheint jedoch die Entscheidung, die meisten Wände mit einer eigens entworfenen Tapete zu verkleiden. Aber auch hier entpuppt sich die aufmüpfige Geste bei näherer Betrachtung als genau kalkuliert: die Tapete ist demnächst als Sonderedition käuflich zu erwerben.

„Realität und Fiktion“, kuratiert von Friedrich von ­Borries mit Jakob Boeskov, Jeremy Deller, Thomas Demand,
Beate ­Gütschow, Dirk Dietrich Hennig, Christoph Keller,
Iñigo Manglano-Ovalle, Mikael Mikael, Ora-Ïto, Walid Raad,
Julian Rosefeldt, Nat Tate, The Yes Men
Villa Schöningen, Berliner Straße 86, 14467 Potsdam,
2.5.–20.10. 2013

ID Sniper, 2002 (© Jakob Boeskov, Kristian Von Bengtson)
Show you are not afraid, Poster (© Mikael Mikael)
Realität und Fiktion, Beilage der Zeitschrift Monopol (© )
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