Nicole Eisenman

Barbara Weiss

2008:Nov // Andreas Schlaegel

Startseite > Archiv > 10-2008 > Nicole Eisenman

10-2008
















Das Erleben von Kunst hat auch etwas mit guter Laune zu tun. Bei mir zumindest gibt es Tage, an denen ich beispielsweise das Gefühl bekomme, Kunstwerken körperlich unterlegen zu sein; zu alt, zu schwabbelig, zu klein, um dem Kunstwerk adäquat gegenübertreten zu können. Da hilft eine Eintrittskarte, eine Straßenkarte, irgendein Mittel, das einem Orientierung auf allen Ebenen, einen Standpunkt jenseits der eigenen Unzulänglichkeit verschafft.

Diesen Umstand fand ich reflektiert, als zu Nicole Eisenmans Ausstellung in Los Angeles bei Susanne Vielmetter 2007 statt einer Presseerklärung eine Zeichnung beigelegt wurde. Deren Überschrift lautete verheißungsvoll: „This explains everything“ – dies erklärt alles, freute ich mich. Ich habe nämlich viele Fragen und Unsicherheiten. Aber leider bot die Zeichnung nur Erklärungen zu den Zusammenhängen ihrer Gemälde und reflektierte persönliche und gesellschaftliche Interessenfelder. Diese waren dargestellt durch vier Kreise und die untereinander gebildeten Schnittmengen, von „europäischer Geschichte“, mit den Zusätzen „Familiengeschichte“ und „Germany“ bis hin zu „Midlife Crisis“. Dazu gab es ein Tortendiagramm, das den State of Mind der Künstlerin darstellte, danach war sie zu einem Drittel müde, zu einem weiteren Drittel mit „global warming & political turmoil“ beschäftigt, während sich das letzte Drittel in „George (the baby)“, Essen, Trinken und Kunst auffächerte. Und der Midlife-Crisis-Kreis war um eine Tabelle ergänzt, die auf der x-Achse Lebensalter und auf der y-Achse das exponentielle Wachstum der Angst zeigte, die sich im Alter von 42 Jahren zum Maximum heraufgeschraubt hatte.

Essen, Trinken, Kunst – eigentlich war ich über die Künstlerin gestolpert, weil ich bei einem Freund in der Küche das Plakat für die Ausstellung „5000 JAHRE MODERNE KUNST - Painting, Smoking, Eating“ in der Villa Merkel in Esslingen gesehen hatte. Eine Referenz an den Titel des legendären Philip-Guston-Bildes aus dem Jahr 1973. Guston wandte sich Ende der 1960er Jahre als herausragender abstrakter Expressionist und quasi als Herold der de-Kooning-Schule mit einem Mal von der reinen abstrakten Lehre ab, um sich unvermittelt auf eine comichafte Figuration zurückzuziehen, sehr zum allgemeinen Entsetzen. Hier schien sich jemand über die gerade eben mühsam und langwierig durchgesetzten Errungenschaften lustig zu machen.  Guston ist eine sehr hohe Messlatte für Nicole Eisenman, die seit Mitte der 90er Jahre ebenso konzentriert konstruierte und etwas bemüht wirkende Gemälde, wie sie auch wilde, aggressive und emotional herausgeschleuderten Katastrophenschinken, echte ‚Bad-Girl-Paintings‘ produzieren konnte, oft inszeniert in spielerischen und wütenden Installationen, die mit bösartigem Witz und scharfer Intelligenz die Verhältnisse aufs Korn nehmen, und dabei die eigenen, auch ökonomischen Verwicklungen als Künstlerin nicht aussparten. Diesen Geist atmete diese Zeichnung mit der Darstellung des Wachstums von Angst in Abhängigkeit zur Lebenszeit.

In ihrer aktuellen Ausstellung gab es keine solche Roadmap, vielmehr zeigte die Künstlerin ein Potpurri von Strategien zur Bewältigung von Trauer. Dabei kommen Weinende nicht zu kurz, eine Serie von dreißig Monografien zeigen Gesichter weinender Figuren, bzw. zeigen wie ihre Tränen die Gesichter verdecken, und sie so zu Trauermasken reduzieren. Aber auch ein „Brooklyn Biergarten II“, erwartungsgemäß von zahlreichem Bier trinkendem Publikum bevölkert, und an Kinderbuch-Wimmelbild-Illustrationen erinnernd, läuft hier als Reflektion von Freizeitverhalten. „Das sind Orte, wo wir hingehen, um soziale Kontakte zu pflegen, um uns gegenseitig zu bemitleiden, wie die Welt ein beschissener Ort ist, und über die Obsession unserer Kultur mit Glück. Die Gemälde stellen hoffentlich so etwas wie einen Ballast zu dieser Obsession dar. Es ist gesund das Traurige in der Welt und in einem selbst zu betrachten, und etwas darüber nachzudenken“ sagte die Künstlerin. Damit setzt sie die Katastrophe als gegeben voraus, und teilt über die depressive Qualität ihrer Bilder eine grundsätzlichere Empfindung zur Weltlage mit.

Aber kaufen wir ihr das ab? Drei Arbeiten aus gespritztem bunten Hartschaum unterminieren in ihrer Pseudo Art-Brut-Ästhetik die sorgfältig konstruierten und ökonomisch ‚schön‘ gemalten Bilder, durch die penetrante Ästhetik von quellenden Schaumwürste, die u.a. eine nackte Frau, mit aus dem Bild hängenden erschlafften Hartschaum-Brüsten zeigen („Saggy Titties“). Dieser grobe Benny-Hill-Slapstick ist ebenso bösartig wie treffend, denn wer weint nicht über seine aus dem Rahmen des Erträglichen hängenden (Bier-) Titten.

Nicole Eisenman, „Coping“
Galerie Barbara Weiss
Zimmerstraße 88–91
6.9.–18.10.2008 
Nicole Eisenman „Saggy Titties“, 2007 (© Foto: Jens Ziehe, Courtesy Galerie Barbara Weiss)
Microtime für Seitenaufbau: 1.23950123787