Eugène Atget

Martin-Gropius-Bau

2008:Feb // Naoko Kaltschmidt

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02-2008
















Seit 2004 befindet sich in Berlin ein Museum, das sich ganz der Fotografie verschrieben hat, trotzdem war es in den letzten Jahren eine andere Institution, die die großen Ausstellungen zu wesentlichen Positionen ebenso historischer wie zeitgenössischer Fotografen im Programm hatte: der Martin-Gropius-Bau. Keineswegs soll an dieser Stelle allzu euphorisch Werbung betrieben werden, ließe sich dieses doch im Grunde bequeme, zugleich freilich erfolgversprechende Konzept der vielbetriebenen Übernahme durchaus sorgfältig kuratierter Retrospektiven anderer Häuser sehr leicht als wenig risikofreudig kritisieren. Bei der aktuellen, anlässlich des 150. Geburtstags des Künstlers ausgerichteten Schau von Eugène Atget, der neben Blossfeldt oder Sander zur fotografischen Avantgarde gezählt wird, ist man gerne bereit, derartige Unmutsäußerungen hinten an zu stellen.

„Man kann ohne jeden Zweifel behaupten, dass niemand anderes eine größere Rolle gespielt hat, um die Tradition in der Fotografie zu begründen und den Beweis zu erbringen, dass Fotografie eine Kunst ist“, so äußerte sich die Fotografin Berenice Abbott über Atget, dessen Berühmtheit nicht unwesentlich dieser Frau zu verdanken ist. Sie hatte ihn und sein Werk durch Man Ray kennengelernt, der wiederum Atgets Bilder in den Zirkel der Surrealisten schleuste, welche besonders die Ästhetik der Alltagswelt in der Serie „Paris Pittoresque“ zu schätzen verstanden. So fügt es sich trefflich, dass die Anhängerin der „Straight Photography“ nicht nur nach seinem Ableben 1929 sein hinterlassenes Werk betreute, sondern auch ‚das‘ Porträt von Atget anfertigen durfte. Es zeigt einen gealterten Mann, dessen Blick trotz der introvertierten Haltung eines Einzelgängers von jener Neugierde zeugt, die sich in Atgets Art zu fotografieren wieder findet.

Als ehemaliger Schauspieler nimmt er nun zweifellos die Rolle des „Metteur en scène“ ein, wenn er als suchender Flaneur gleichsam die Physiognomie des alten Paris einzufangen und zugleich dem archivarischen Impetus eines manischen Sammlers zu folgen versucht: Oberflächen, Baustrukturen, Abnutzungen, Arrangements werden also nicht bloß registriert, sondern wie mit Morellischer Aufmerksamkeit für das unscheinbare Detail als Beleg für die Authentizität dieser Orte festgehalten. Dabei emanzipiert sich die Stadt wie in Victor Hugos „Notre Dame de Paris“ regelrecht als Protagonistin, was nicht unwesentlich der Mitte des 19. Jahrhunderts einsetzenden Haussmannisierung, also dem rigiden Eingriff in urbane (Lebens-)Räume geschuldet ist. Sie sollte dem Stadtbild neue Akzente verschaffen, wofür freilich andere Charakterzüge, ja ganze Viertel eliminiert wurden. Der oftmals verklärende Blick auf die atmosphärischen Darstellungen jenes Paris ist also nicht bloß der gegenwärtig unsrige, sondern rührt tatsächlich von einer melancholischen Nostalgie, die sich damals angesichts der allzu absehbaren Endlichkeit der aufgenommenen Realität über dieses ca. 1895 bis 1927 entstandene Bilderkonglomerat legte. Wie ein memento mori erscheinen da die Schichten der markanten Reklameplakate, die häufig an den Häuserwänden zu erkennen sind.

Die Ordnung der Berliner Ausstellung geht weitgehend motivisch vor, was sich durch die serielle Arbeit des Fotografen erklärt: Nach dem Prinzip der Ähnlichkeit schuf er Alben in erster Linie für historische Sammlungen, ebenso nutzten zeitgenössische Illustratoren die Bilder von stimmungsvollen Straßenwinkeln, idyllischen Parkansichten oder auch ornamentalen Details als Vorlage. Aus der Reihe fallen am ehesten die Interieurfotografien, in denen Atget – wie in den auch sonst überwiegend menschenleeren Szenerien – anhand der Ausstattung ein nur implizit ersichtliches Individuum zur Geltung bringt (auch seine eigenen Wohn- und Arbeitsräume sind zu sehen, die er jedoch nicht also solche auszeichnet). Im letzten Kämmerchen schließlich gelangt man zu den wohl berühmtesten Fotografien jener eingangs erwähnten Serie, die sich den (auch im übertragenen Sinne Spiegelbilder liefernden) Schaufenstern und deren teils skurril anmutenden Warenästhetik sowie dem Jahrmarktstreiben oder der Welt des Boudoirs widmet. Angesichts dieser faszinierenden Impressionen des Gewöhnlich-Entlegenen diagnostizierte Walter Benjamin nicht nur eine „heilsame Entfremdung zwischen Umwelt und Mensch“, sondern ließ sich auch zu folgender Aussage bewegen: „Die photographischen Aufnahmen beginnen bei Atget, Beweisstücke im historischen Prozess zu werden. Das macht ihre verborgene politische Bedeutung aus.“

Eugène Atget – Retrospektive
Martin-Gropius-Bau
Niederkirchnerstraße 7
28.9.2007–6.1.2008
Porträt Eugène Atget, 1927 (© © Berenice Abbott / Commerce Graphics, NYC)
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