wo ich war

2013:Dec // Esther Ernst

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12-2013














MACHT KUNST                        8. April 2013
Deutsche Bank Kunsthalle, Berlin

+ boah, das sieht ja schlimm aus hier, ich piss mich ein. Und denke sogleich, warum ist der Unterschied zu einer Ausstellung der anonymen Zeichner so riesig? Denn eigentlich ist es ein ähnliches Projekt: die Kunstabteilung der Deutschen Bank rief Berliner Laienkünstler wie Profis dazu auf, ihre Werke für eine 24-Stunden-Schau abzugeben. Unter grauseligen Bedingungen (ob so ein Aufruf wohl über den ewigen Entdeckungstraum funktioniert?). Anscheinend musste man sich stundenlang in die Schlange stellen, um einen Hängeplatz zu ergattern. René Block hat dann über Nacht die scheussliche Ansammlung möglichst platzsparend arrangiert. Liegt das nun an dem Medium Malerei, welches in mittelgrossen Formaten und in Petersburger Hängung so prall und laut und kitschig daherkommt und leider einfach nur scheisse aussieht? Oder hängt Anke Becker ihre 800 Zeichnungen sehr viel sensibler und legt mehr Wert auf die Präsentation. Oder ist Zeichnung das viel verzeihendere Medium, weil es in sich zurückhaltender ist? Oder liegt’s bloss an der Formatbeschränkung?


KWADE ALICJA                     4. Mai 2013
Nach Osten
Johann König, St. Agnes Kirche, Berlin

+ Mein Mann erklärt mit das Foucault’sche Pendel folgendermassen: Während wir die Weltumdrehungen nicht merken, macht das Foucalaut’sche Pendel sie insofern sichtbar, weil das Pendel über Stunden die Richtung ändert. Respektive wir ändern die Richtung, erkennen dies aber im Pendel. Kwade hat das Pendel nun übersetzt. Anstelle von Gewicht hängt sie eine Glühbirne am Ende eines 20 Meter (?) langen Drahts. Angetrieben von einem Motor schwingt die Birne nun durch den abgedunkelten Kirchenraum. Vier Lautsprecher übertragen das Schwinggeräusch. Es ist ein bisschen unheimlich, monumental, schön und einfach zugleich. Und ich finds schon beeindruckend, wie Kwade mit so wenig Material einen ganzen Raum füllt. Da ist Licht (und Schatten), Bewegung (und Zeit) und eine soundgefüllte Kirche. Und dieses Staunen im Raum wird dann wiederum aufgefangen im darüber Nachdenken über das Foucault’sche Experiment von 1851.


FRICKE ADIB                        Mai/Juni 2013
Bedeutungslabor.com
Schöneberg, Berlin

+ von weitem gesehen: Plakat mit nur einem kurzen Satz in grosser Schrift. Der Velofahrer vor mir dreht sich auch um. Dann gelesen: du denkst niemals dasselbe und umgehend gedacht: stimmt doch nicht, ich doch leider dauernd... Dann überlegt: ist wahrscheinlich wissenschaftlich bewiesen, weil die Kontexte immer andere sind. Dann mich darüber gefreut, dass solche wunderlichen Behauptungssätze sofort zum Abschweifen und leichtfüssigem Grübeln verhelfen. Und dass das ein schöner Zustand ist, mitten in der Stadt, auf dem Fahrrad sitzend. Und dann gerätselt: für wen oder was das Plakat wohl wirbt und dass bestimmt ein zweiter Teil der Werbung folgt und dass ich mich schon auf dem WerbeLeim befinde. – Später erreicht mich Adib Frickes Mailankündigung zu seiner Plakatwandausstellung. Schön. Mag ich. Funktioniert auch bestens. Erst viel später klick ich auf das Bedeutungslabor und entdecke schöne Antworttexte.


FINSTERBUSCH-TRIO                   2. Juni 2013
Bach
Konzerthaus, Berlin

+ Jörg hat mir das Konzert zum Geburtstag geschenkt, weil das Finsterbusch-Trio die Bach-Busoni Bearbeitung Ich ruf zu dir, Herr Jesu Christ ankündigte. Und das spielten sie auch ganz toll, mit ohne Wiederholungen und so nüchtern wie sonst kaum gehört. Und nach gefühlten zwanzig Sekunden wars auch schon wieder vorbei.
Davor haben die noch zwei Sätze aus der Kunst der Fuge (umwerfend, geht einfach immer, und mit kaum Vibrato, herrlich!) und Bachs Triosonate in C-Dur (wahnsinnig fröhlich der erste Satz, dann ein unglaublich schwer getragener Mittelteil und dann ein tanzorientierter Schluss mit Fuge: was ist das?) gespielt.
Und nach der Pause führte das Tauthaus-Ensemble Max Regers 2. Klavierquartett auf. Und ich verstehe das nicht, aber das macht nix. Livehören ist immer schön. Ich hätt manchmal gern jemand, der’s mir erklärt, warum das so klingt, wie es klingt...


DELL MATTHIAS                    17. Juni 2013
Heinz Drache hat das Stück noch gelesen.
HAU3, Berlin

+ Johannes von Weizsäcker ist Frontmann der Band The Chap und tritt als Vorgruppe auf. Höchstwahrscheinlich ist er aufgeregt und vertuscht seine Unsicherheit mit extra übertriebenen Gesten und Kommentaren (ja-ja, ich weiss, das soll so sein). Er spielt öde Trashmusik und Jörg und ich sind wohl die einzigen im Publikum, die The Chap weder kennen, noch lustig finden.
Matthias Dell ist wahrscheinlich auch nervös und spricht deshalb so rasend schnell, präsentiert sich aber gewollt locker als Theaterwissenschaftler und Tatortkolumnenschreiber. Er hat Filmausschnitte von früher mitgebracht und erklärt stetig abgehetzt, warum und wieso die aufs Theater bezogenen Krimimitschnitte toll oder grottig sind. Dell ist ohne Bühne wahrscheinlich viel amüsanter und seine Gedankengänge fein. Er mag Pollesch und sein einziger aktueller Ausschnitt aus dem letztjährigen Münchner Tatort mit Hinrichs hat mich zwischendurch wieder milde gestimmt. Aber warum hat keiner mit ihm das Vortragen geübt? Oder spielt das einfach alles keine Rolle?


WAITING ROOM                    22. Juni 2013
Performanceprojekt von Agullo, Paranyushkin, Layes, Stamer und Gästen
Agora Collective, Neukölln

+ Am Empfang musste ich als erstes meinen Ausweis vorgelegen, mich in irgend ne Liste eintragen und dann warten. Noch während ich mit Fragebogen ausfüllen beschäftigt war, wurde ich in ein Beratungszimmer geleitet. Dort forderte mich eine Architektin zu einem lustigen Raumzeichnungsexperiment heraus, um dafür einen Stempel zu erhalten und wieder im Warteraum Platz zu nehmen und weitere Listen zu erhalten und noch mehr Fragebögen auszufüllen, respektive zu warten. Bei der darauf folgenden Beratung, zog sich die Beraterin aus, drapierte sich auf ein Bett und sprach mit mir über Gender, während ich versuchte einen Akt von ihr zu zeichnen. – Waiting Room dauert in Gänze circa vier Stunden. Insgesamt kriegt man zehn intime Performances geboten (ziemlich exklusiv), wartet, kommt ins Gespräch mit anderen Wartenden und füllt fake-Zettel aus. Wofür? Wesickochnich. Ist ein sympathisches Mitmach-Projekt. Bissel zu viel Hippie für meinen Kunstgeschmack.


LIVING ARCHIVE                    23. Juni 2013
Kunstwerke Berlin

+ künstlerische Werke, die sich mit bereits vorhandenen künstlerischen Werken auseinander setzen, sind meist Königsdisziplin für den Betrachter, weil sie doppelt viel voraussetzen. Nämlich die Kenntnis über das vorausgehende Werk und dann die Durchdringung der neuen Arbeit.
Living Archive ist eine wahnsinnig anstrengende Ausstellung und ich bin nirgends wirklich eingestiegen. 20(?) Künstler haben sich mit dem Archivmaterial des Arsenalkinos auseinandergesetzt und daraus neue Arbeiten entwickelt. Wie grossartig, dachte ich, als ich davon las.
Vielleicht liegt es bloss am Filmmedium, welches in sich schon so viel Zeit speichert und ich mich deshalb so nachholbedürftig fühle, aber mir ist es bei schier keiner Arbeit gelungen, den Link zum Ausgangswerk herzustellen. Geschweige davon, in die daraus folgende Arbeit einzutauchen. Und zwar trotz kurzen Textinfos. Echt deprimierend.


URBANITÄT MAL ANDERS                17. Aug. 2013
Galerie im Körnerpark, Berlin

+ Dorothee Bienert hat eine feine Ausstellung zur Wahrnehmung und Verzeichnung von Welt zusammengestellt. Die Künstler Birgit Auf der Lauer und Caspar Pauli, Larissa Fassler, Heimo Lattner, Pia Linz und Lisa Premke zeigen trotz relativ weniger Exponate ihre ausufernden Kosmen. Darin verdeutlicht sich ganz wunderbar die gemeinsame Gründlichkeit: Plätze, Orte oder zurück gelegte Wege, sowie Gedanken und Beobachtungen werden übereinander geschichtet und aufnotiert. Durch diese langatmige, präzise und subjektive kartographische Arbeitsweise entstehen dann aber ganz unterschiedliche Zeichnungen. Da hüpft mein Herz, wenn ich Larissas Materialsammlung mit ihren vielfältigen Skizzen zu touristischen Verhaltensaufzeichnungen zu dem Schlossplatz neben Pia Linz’s multiperspektivischen Panoramazeichnungen der Schillerpromenade in klassischen Stil hängen sehe. Beide Künstlerinnen vermessen den Raum mit ihrem Körper. Beide übertragen ihre Zeichnungen auf Prints. Beide Zeichnungen sind feingliedrig dicht und könnten dennoch kaum unterschiedlicher sein. Herrlich.


MUSEUM DER DINGE                    18. Aug. 2013
Berlin

+ Eigentlich interessiert mich an diesem Museum seit langem die Ding-Sprechstunde. Da kann man sich nämlich tatsächlich unerklärliche Dinge begutachten und bewerten lassen (Luise, wir hätten mit dem versilberten Champagner-Quirler Deiner Mutter dahin gehen sollen...). Paradiesisch. Und ein Gespräch mit einem Ding-Erklärer stell ich mir wahnsinnig aufschlussreich und grossartig vor.
Nun, ich war ohne Ding dort und fühlte mich von der Schausammlung gleichermassen erschlagen wie verwundert darüber, dass es doch von allem viel mehr geben müsste. Dass die Dingsammlung ja wahnsinnig lückenhaft ist... Und dass das logischerweise ja ein Fass ohne Boden und so weiter... Aber die winzige Abteilung für Geschmacksverirrungen (definiert durch G. E. Pazarek) mit Schundwaren und Hausgräuel, Detailfehlern und sonstigen Missbildungen ist sehr amüsant und für mich kaum von manchen stilvollen Dingen zu unterscheiden.
15_MACHT KUNST, 8. April 2013.JPG (© Esther Ernst)
15_KWADE ALICJA, 4. Mai 2013.JPG (© Esther Ernst)
15 FRICKE ADIB Mai_Juni 2013.JPG (© Esther Ernst)
15 FINSTERBUSCH_TRIO, 2. Juni 2013.JPG (© Esther Ernst)
15_DELL MATTHIAS, 17. Juni 2013 .JPG (© Esther Ernst)
15_WAITING ROOM, 22. Juni 2013.JPG (© Esther Ernst)
15_LIVING ARCHIVE, 23. Juni 2013.JPG (© Esther Ernst)
15 URBANITAET MAL ANDERS17. Aug. 2013.JPG (© Esther Ernst)
15 MUSEUM DER DINGE, 18. Aug. 2013.JPG (© Esther Ernst)
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