Christoph Kellers Æther im Pariser Centre Pompidou

/ Ich fühle Luft (von anderem Planeten)

2011:Aug // Nikolai Franke

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07-2011
















Vom 16.2. bis zum 7.3. fand im Pariser Centre Pompidou die vom Berliner Künstler Christoph Keller kuratierte Veranstaltungsreihe und Ausstellung „Æther. De la cosmologie à la conscience“ (Von der Kosmologie zum Bewusstsein) statt, bestehend aus Vorträgen, Filmvorführungen und einer Ausstellung, die neben sieben Videos Drucke, Zeichnungen und Photographien zeigte. Zur Veranstaltung gehörte außerdem eine ausdrückliche These und Fragestellung – ausdrücklich in den Vorträgen (u.a. im Gespräch Keller / Blistène, zu finden unter dailymotion.com) und im Programmheft –, nach der die Zurückweisung des Æthers als physikalische Wirklichkeit „… – Folge der Relativitätstheorie – den Moment bezeichnet, da die Physik sich vom Okkultismus, allgegenwärtig noch in den Forschungen des 19.Jh.s, befreit. Dies von der Wissenschaft nun verlassene Gebiet ist von den Künsten rasch neu besetzt worden. Dem Fall des Æthers entspricht der Aufstieg der Wissenschaftsverfasstheit der Moderne und ihrer rationalen Weltsicht, insofern der neue Begriff wissenschaftlicher Objektivität ihr Gegenstück in der künstlerischen Subjektivität und in der sublimatorischen Funktion findet, die dem kulturellen Ausdruck zugewiesen wird. Der Tod des Æthers ist die Geburt der modernen Kunst… “ Dieser Gedanke umfasst nicht den ganzen Sinn der Ausstellung; ich wähle ihn trotzdem, um ihm als erstem nachzugehen. Denn er erstaunt zunächst: Ist die Physik nicht seit Newton, die Wissenschaft spätestens seit der Aufklärung rational? Und hat nicht schon die Romantik gegenüber der Aufklärung jene Rolle übernommen, die hier der Kunst der Moderne zufallen soll?

Die voreinsteinsche Physik hat im Æther einen Begriff, der sich von anderen, auch von denen der Elektrizität und des Magnetismus unterscheidet, indem er sich auf eine Substanz bezieht, deren Vorhandensein ausschließlich mittelbar, als Erklärung für Wahrnehmbares erschlossen, selbst aber aller Wahrnehmung entzogen ist. Zugleich ist er alles durchdringendes, alles verbindendes Medium, so geheimnisvoll wie unbestritten, und damit besser noch als Magnetismus und Elektrizität zum Stoff verborgener Wesen und Welten einem Okkultismus geeignet, der sich der halbierten Aufklärung unterstellt, um sich ihrer anderen Hälfte zu entziehen. Deren Grundgedanke war, nur gelten zu lassen, was sich aus Vernunft und sinnlicher Wahrnehmung allen mit beidem Begabten gleichermaßen erschließt. In der Theorie zwar gilt demnach nicht etwa die stoffliche Außenwelt, sondern gelten im Gegenteil die Vernunftbedingungen selbst, und die Wahrnehmungen nur als Wahrnehmungen für sicher, so dass der nachfolgende Idealismus die Unterscheidung von Bewusstsein und Außenwelt als selbst gründungsbedürftige Grundlage zurückweisen, und unter Geist nun das verstehen konnte, was beide erst hervorbringt und sozusagen außerhalb der Ordnung des Seienden steht. Gegenüber der voraufklärerischen Auffassung ist die idealistische Ordnung des Wissens umgekehrt: nicht zuerst eine Auffassung von der Ordnung der Wirklichkeit, in der auch der Gedanke – der Geist – dieser Wirklichkeit seinen Platz bekommt, sondern umgekehrt; grundlegend unterschieden also vom Geistbegriff noch bei Descartes, dessen dualistische Ontologie zwei gleichermaßen substanzielle Sphären sieht, die materielle und die geistige. In der breiteren Aufnahme des Aufklärungsgedankens – oder aber in einer ihr voraufgehenden Annahme – bleibt eine einfache Ordnung der Wirklichkeit: Wirklich sind die Gegenstände der Physik, alles andere ist im Kopf – voraufgehende Annahme, nicht Folge der Aufklärung, denn hätte etwa Descartes’ Substanzendualismus noch gegolten, so hätte man die Erkenntnisformen und also Geltungsbedingungen anders fassen müssen. So aber bot sich der Wissenschaft des Verborgenen, wo sie zwar nicht die erkenntniskritische Norm der Aufklärung, wohl aber das trivialaufklärerische Wirklichkeitsverständnis teilt und doch die verborgenen Wesenheiten nicht als bloße Bewusstseinssachen auffassen (und noch weniger den komplizierten Weg des Idealismus beschreiten) will, im Æther der Ort, der, was sie sucht, glaubhaft und selbst der Physik anschlussfähig macht.

Dem Okkultismus gegenüber steht die Romantik. Wie jener bleibt sie im Rahmen der Aufklärung, aufgespannt allerdings zwischen Trivialontologie und Idealismus. Anders als er aber sucht sie den verlorenen Sinn nicht in einer noch geheimnisvollen Physik, sondern im Bewusstsein, oder weist sie die Unterscheidung von Sein und Bewusstsein im Sinne des Idealismus zurück; nie aber, selbst in ihren Rekatholisierungen, meint sie im voraufklärerischen Sinne die eigenständige Wirklichkeit einer Geister- und Götterwelt. Die Gespenster des von der Aufklärung untersagten Göttlichen wandern in die beiden Sphären, die sie übriglässt, in die physikalische oder paraphysikalische im Okkultismus, ins Bewusstsein oder ins Geistige in der Romantik.

Diese gerät hier in den Blick, weil die im Eingangszitat beschriebene Bewegung, von der Rolle des Æthers abgesehen, auf sie mindestens so sehr wie auf die Moderne zutrifft. Die rationale Verfasstheit der Wissenschaften ist mit der Aufklärung in den Hauptzügen abgeschlossen; die Methode, unbeobachtbare physikalische Größen anzunehmen, um mit ihnen Beobachtungen zu erklären, teilt sie mit der nacheinsteinschen Physik und kann also ihre Arationalität nicht bedeuten. Aufklärung, jedenfalls in ihrer ontologischen Variante, bedeutet, ein eigenständiges Sein des Göttlichen zu bestreiten. Was sich vordem im Reich des Göttlich-Übernatürlichen gefunden hat, ist von den Künsten aufgenommen worden. Romantik ist der Schritt von der Kosmologie zum Bewusstsein.

Über die Besonderheiten des zu Beginn des 20. Jh.s verbannten Æthers im Unterschied zur gegen Ende des 18. verbannten eigentlichen Religion teilt die Ausstellung wenig mit. Ablesbar dagegen wird an den Gemeinsamkeiten der Ausstellungsstücke ein scharfer und über den offensichtlichen hinausgehender Unterschied der modernen zur Kunst der Romantik, was zugleich eine Seite der Moderne vor Augen führt, die in ihren kanonischen Fassungen nicht im Mittelpunkt steht. Zwar nämlich bilden einige der Arbeiten außergewöhnliche Bewusstseinszustände – von außen Brassaïs „phénomène de l’extase“, Gisele Freunds „Medium“, von innen Henri Micheaux’ „dessins mescaliens“, und vielleicht in einer Zwischenstellung Bourgeois’ „états modifiés“, – oder magische Einrichtungen ab – in Guillaume Désanges so einfachen wie mehrdeutigen Collagen, in Joachim Koesters „Magic Mirror of John Dee“, schließlich in Wallace Bermans „Radio/Aeter Series“. Fast allen gemein ist dagegen, Aufzeichnungsapparaturen zu entstammen, die zwar als Apparaturen eingerichtet, beherrscht und gezielt werden können, sich aber auf etwas richten, das dem Einrichtenden, dem Künstlersubjekt, weder entspringt noch entspricht. Ungegenständliche Photographien und Photogramme, die Keller selbst bei Photographinnen und Photographen aufspürt, die sonst fast immer Gebautes und Menschliches zeigen – Emeric Feher, Willy Kessels, Hannes Beckmann, Anneliese Hager, und als jüngster Armando Salas Portugal (aus dessen Serie „fotografia des pensamiento“), zudem Man Rays „Fireworks“, von Wolfgang Tillmans „Paper Drops“ einer, in dem Papier und Hintergrund unkenntlich werden, und ein Sternenhimmel Ruffs.

Gerade die Photogramme, in denen, allemal bei einer so erfahrenen Künstlerin wie Hager, die größte Abstraktion sich mit der größten Beherrschbarkeit, der größten Nähe zur Malerei trifft, wirken wie die zufälligsten Spuren unbekannten Ursprungs. Keine Photographie, aber auf andere Weise ebenfalls eine Aufzeichnungsapparatur, stellen viele Arbeiten Bruce Conners dar; hier der Zufall aufreißender Flächen chinesischer Tinte. In mehreren Schichten Aufzeichnung ist Evariste Richers „democritus / aristarchus “, zwei Photographien, eine von einer Photokopie aus einem leeren Kopiergerät bei offenem, die andere von einer bei geschlossenem Deckel. Nur wenige Arbeiten, Bourgeois und Michaux, entspringen vollständig – wenn auch nur unbewusster Gestaltung; sofern sie aber Unbewusstem, oder sonst „anderen Zuständen“ entstammen, entziehen auch sie sich dem einstimmigen Subjekt.

Diese Neigung zum Ungestalteten zeigt sich in vielen Momenten der Moderne, vom Funktionalismus der Architektur, der seine Formen ausschließlich aus den physikalischen Bedingungen von Mensch und Material, also aus dem Subjektlosen am Subjekt gewinnen soll, bis zur Abstraktion selbst, deren eine Seite es ist, dem Innersten des Subjekts ganz entsprechen zu wollen, deren andere aber ein Bilderverbot, das seinen Sinn gerade in der Berührung mit dem Nichtmenschlichen hat. Dafür steht die Liedzeile – ich fühle Luft von anderem Planeten – an gerade der Stelle, da in Schönbergs zweitem Quartett die Musik sich von tonaler Bindung löst. Auf andere Weise der Einbezug des Zufalls, in der Architektur der zufälligen Spur; auf andere Weise bei Conner und Berman, die den Alltags der us-amerikanischen Städte und Siedlungen, der Werbung und des Fernsehens ansehen und deren Abbildungen sammeln und zusammenschneiden und dabei gerade das Unzusammenhängende stehenlassen, in dem die teils gestalteten, teils technischen oder Marktgesetzen folgenden Einzelteile ungestaltete und offene Flächen erzeugen, anstatt, wie die Photographien der kanonischen Moderne, Ausschnitte zu wählen, die wiederum eine klassische Komposition, Geschlossenheit der Form und Bedeutung abgeben. Und aus noch einer Richtung wird die Neigung zu Subjektferne bemerkbar. Nämlich wären weit mehr Arbeiten verfügbar gewesen, auch von Ausgestellten (Tomaselli beispielsweise), die, wie die ausgestellten Rotoreliefs von Duchamp, unmittelbar zur Wirkung aufs Bewusstsein genutzt werden sollen und also sich aufs Bewusstsein einstellen.

Das alles ist offensichtlich und zurecht nur ein Aspekt dessen, was hier zum Interesse an anderen Zuständen, anderen Wirklichkeiten, dem ausgelassenen Rest und übersehenem Anderen versammelt ist. Vielleicht weil er weniger ausdrücklich ist, ist er hier besprochen.

Weitere Daten unter centrepompidou.fr

Christoph Keller „Æther. De la cosmologie à la conscience“, 2011, Ausstellungsansicht Centre Pompidou, Paris (© the authors)
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