David Rickard, Tommy Støckel

LoBe

2012:Dec // Julia Gwendolyn Schneider

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12-2012

















Klebebandkreuze und Dielenspaltstoppel
/ David Rickard und Tommy Støckel bei LoBe

Ein bunter Haufen aufgewirbelter Papierwaren: das ist die erste Assoziation beim Anblick von Tommy Støckels installativer Arbeit im Weddinger Ausstellungsraum LoBe. Verschiedenfarbige Papier- und Pappkartonbögen, wie sie gewöhnlich als Künstlerbedarf zu kaufen sind, liegen lose auf dem Fußboden verteilt. Sie bilden eine beiläufig wirkende Anordnung aus Rohmaterialien. Das zumindest ist der Eindruck, den die ineinandergeschobenen und übereinandergelegten größeren und kleineren Pappen erzeugen. Aber die Ansammlung hat etwas Anziehendes und ihre Wahrnehmung verändert sich beim näheren Betrachten.
Einige Blätter werden von bunten Klebestreifen zusammengehalten und lassen schöne Kontraste entstehen, etwa zwischen einem Kobaltblau und einem Neonpink, andere sind in der Mitte gefaltet und stehen oder liegen aufgeklappt da. Fast im Zentrum ruht eine zusammengeknüllte Papierkugel in Türkis, schräg gegenüber davon liegt ein Zeichenblock mit orangefarbenem Deckblatt. Das alles sind Details, die schon weniger willkürlich wirken. Außerdem ist das Arrangement von weißen Klebebandkreuzen durchzogen, die auf dem grauen Fußboden eine angedeutete Gitterstruktur erzeugen – ein beliebtes Instrument der Minimal Art, um Zufälligkeiten aufzuheben. Ein weiterer Teil der Arbeit ist eine Fotografie (35 × 60 cm), die neben dem bunten Papierfeld an der Wand hängt und ziemlich exakt eben jene Formation dokumentiert, die sich auf dem Foto aber im vorderen und nicht im hinteren Ausstellungsraum befindet. Spätestens in dem Moment wird klar: Das Sammelsurium unterliegt einem streng durchdachten System.
In „Proportional Material Arrangement for Two Rooms“ (2012) bildete die erste, jetzt nur noch als Dokumentation existierende Installation das Skript für die zweite. Støckel spielt geschickt mit den Größenverhältnissen der beiden Ausstellungsräume von LoBe, die sich auf die DIN-Normen für Papier übertragen lassen; die Bodenfläche des größeren vorderen Raums ergibt gefaltet ziemlich genau die des kleineren hinteren. Vor diesem Hintergrund hat Støckel für seine Kompositionen in beiden Räumen dieselben Materialien verwendet, nur zum Beispiel einmal in Din A4 und dann entsprechend in Din A5, und so weiter. Er hat zwei aufeinander basierende Schemata kreiert, die sich einzig durch die Variation im Maßstab unterscheiden, von denen wir aber nur das eine tatsächlich live sehen.
So wie Støckels Arbeit für und mit den beiden Räumen entstanden ist, bilden diese auch den Ausgangspunkt für David Rickards Werke. In der Ausstellung zeigen beide Künstler ihre Exponate aber jeweils nur in einem Raum. Im vorderen, wo der erste Teil von Støckels Installation platziert war, befindet sich jetzt Rickards „Stoppelfeld.“ Wie ein solches sehen die dünnen Kupferstäbe aus, die auf einer Fläche – die etwa dem hinteren, kleineren Raum entspricht – in langen Reihen aus dem Fußboden hervorstehen. In der Höhe stark variierend, reichen sie von knapp über dem Boden bis etwa zur Länge eines Unterarms. „Soundings“ (2012), wie die eindrucksvolle Arbeit heißt, bezieht sich auf eine historische Methode der Tiefenmessung in der Seefahrt, bei der eine Leine mit einem Bleigewicht zum Grund gelassen wurde. Äquivalent messen die schmalen Stäbe die Tiefe der offenen Dielenzwischenräume und geben durch ihre sichtbare Länge deren Reichweite bekannt. Wir sehen eine Spiegelung dessen, was wir eigentlich nicht sehen können. Rickard deckt die Untiefen des Fußbodens auf. Ähnlich wie Støckel hat er dazu die Parameter festgelegt; er führt seine „Bohrungen“ im Rahmen einer bestimmten Fläche aus, darüber hinaus entsteht das Werk aber aus dem Zufall heraus. Tatsächlich stört am Ende eine quadratische Fläche die Ordnung der sonst parallel verlaufenden Stäbchen und bringt ein eingesetztes Stück Fußboden zum Vorschein, das zuvor gar nicht beachtet wurde.
„Disruption Pattern“ (2012), eine andere Arbeit von Rickard, sieht aus der Entfernung aus wie ein Wasserfleck. Von Nahem aber wird eine sehr sorgsam ausgeführte Bleistiftzeichnung sichtbar, die alle Unebenheiten auf der Wand innerhalb eines ausgewählten Bereichs mit je einem Strahlenkranz aus lang gezogenen Strichen schmückt. Der Fokus auf Unvollkommenheiten, die verdeutlichen, dass Räume keine „reinen“ Container sind, gilt auch für Rickards dritten Beitrag. „Outer Limits“ (2012) zeigt eine Reihe kleiner, quadratisch zugeschnittener Fotografien, deren Abbildungen sich auf den hinteren Raum beziehen und seine Grenzen beleuchten: sämtliche Ecken wurden ins Visier genommen. In der Vergrößerung geben sie den Blick auf Mikroräume frei, die aus kaum wahrnehmbaren Einbuchtungen bestehen und in einer Ecke sogar fast ein Loch bilden. Es sind eben solche Stellen, an denen der Raum sich fortsetzt und über seinen eigentlichen Rahmen hinausgeht, die Rickard faszinieren.
Mit ihren unterschiedlichen räumlichen Verschiebungen und dem Blick auf verborgene Strukturen ist es Støckel und Rickard auf eine sehr stimmige Art gelungen, im Zuge ihrer gemeinsamen vierwöchigen Residenz bei LoBe eine wunderbar ortsbezogene Ausstellung zu kreieren.

David Rickard und Tommy Støckel, LoBe,
Schererstraße 7, 13347 Berlin, 12.– 28. 10. 2012

 
David Rickards "soundings", 2012 (© )
Tommy Støckel „Proportional Material Arrangement for Two Rooms“, 2012, Courtesy LoBe (© )
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