Gespräch mit Wolfgang Müller

2009:Feb // Ludwig Seyfarth

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02-2009












Ludwig Seyfarth  /  Dein neues Projekt trägt den Titel „Séance Vocibus Avium“, also übersetzt eine Séance mit Vogelstimmen. Es sind die Stimmen von elf ausgestorbenen Vogelarten. Ist das dein Beitrag zum Darwin-Jahr?

Wolfgang Müller  /  Nein, es ist eher zufällig, dass das gleichnamige Hörspiel für den Bayerischen Rundfunk 2 und die Ausstellung im Neuen Aachener Kunstverein gerade jetzt stattfanden.

Seyfarth  /  Reiner Zufall?

Müller  /  Der Zufall hat ja viel mit Darwin zu tun, oder? Ursprünglich hatte ich bereits 1992 die Lautäußerungen des einzigen, in Europa restlos ausgerotteten Vogels, nämlich die Riesenalken (alka impennis), in Reykjavík rekonstruiert. Das geschah im Hörspielstudio des dortigen Rundfunks. Ich versuche, die Gesänge der Vögel nach den vorhandenen, wissenschaftlichen Beschreibungen möglichst naturalistisch rekonstruieren zu lassen. Also, ich sagte den Musikern und Künstlern: Bitte keine Musik, keine Klangkunst oder Originalität! Bitte setzt das, was ihr über den jeweiligen Vogel lest, so um, dass sich das Ergebnis wie eine Vogelstimme und nicht wie ein Kunstprojekt anhört. Ich glaube, das ist mir auch gelungen.

Seyfarth  /  Und wieso wurde der Riesenalk ausgerottet?

Müller  /  Es waren drei isländische Fischer, die das letzte Paar – sie brüteten gerade – auf der südisländischen Felseninsel Eldey erschlugen. Ein reicher Vogelbalgsammler aus Dänemark wollte dringend auch noch ein Exemplar für seine Sammlung und bot viel Geld. Island war damals eines der ärmsten europäischen Länder.

Seyfarth  /  Und das war Dein Ausgangspunkt für Deine künstlerische Auseinandersetzung?

Müller  /  In einer kapitalistischen und pseudo-individualisierten Gesellschaft brauchen wir eigentlich keine Künstler, die beweisen, dass sie eine individuelle Handschrift tragen oder die postmoderne Beliebigkeit affimieren, indem sie Begriffe und Slogans wild durcheinander werfen. Nach dem Motto: Alles ist das gleiche, es bedeutet nichts, ich kenne keine Grenzen, ich bin grenzenlos.  Seyfarth  /  Da denkst Du sicher an Jonathan Meese und Christoph Schlingensief. Müller  /  Inzwischen bin ich mehr als dreißig Mal, auch für längere Zeit, in Island gewesen. Aber es hätte geschehen können, dass man von Island nichts Essentielles mitbekommt, wenn man im Rahmen eines von der späteren Pleitebank Klink og Bank finanzierten Kulturprojektes lediglich „Heil Hitler“-rufend, über den Wohnort von Wagners Ring der Nibelungen-Königin Brünhilde stolpert. Dafür erhält man dann vielleicht den Kulturpreis der BILD-Schwester BZ, wie Meese 2007 und Schlingensief nun im Januar 2009. Ein sehr mageres Resultat.

Seyfarth  /  Und was könnte eine Alternative sein?

Müller  /  Zumindest sollte ein Künstler in Erfahrung bringen, dass Hitler von den Isländern „Hjalti“ genannt worden ist, das ist ein ganz ‚normaler‘, unspezifischer isländischer Vorname; also zunächst: „Heil Hjalti!“ rufen, beispielsweise. Auf diese Weise konnten Isländer, Studenten und andere im damals besetzten Dänemark sicher sein, beim Erzählen von Witzen über Hitler nicht verhaftet zu werden. Und es wäre ja auch möglich, die private Reise von Eva Braun nach Island im Jahr 1939 zu rekonstruieren. Es gibt sogar Filmaufnahmen davon. Und, was kaum bekannt ist: es gab auch zwei ins KZ verschleppte Isländer.

Seyfarth  /  In Deinem 2007 erschienenen Buch „Neues von der Elfenfront – Die Wahrheit über Island“ übst Du eine direkte Kapitalismuskritik aus, betitelt: „Die Ökonomie des Kauens“. Hast Du den isländischen Bankencrash vorausgesehen?

Müller  /  Die isländische Krone ist die kleinste Währungseinheit der Welt! Bei meiner Buchpräsentation und Ausstellungseröffnung in der Galerie Dörrie Priess in Berlin 2007 äußerte der isländische Botschafter Ólafur Davidsson, dass er meine Kapitalismuskritik für etwas überzogen halte. Neben mir saß währenddessen der isländische Queer-Anarchist und Aktivist Hrafnkell Brynjarsson, der meine Kritik an der gesamten Entwicklung in Island eher viel zu mild fand. Da ich nicht neutral bin oder sein möchte, war ich anschließend erst einmal völlig verwirrt. Als ich im August 2008 in Reykjavik ankam, bekam ich plötzlich für einen Euro bereits ein Drittel mehr isländische Kronen. Das passte zu einem Kunstwerk mit dem Titel „Kleine Spende für die isländische Kunst“, das ich einige Monate zuvor in einer Diskussion von Hrafnkell Brynjarsson, dem isländischen Anarchisten herstellen lies. Du hast die Arbeit ja im ZKM in Karlsruhe ausgestellt. (In der Ausstellung „Streng verdaulich“ im Rahmen von „Vertrautes Terrain – Kunst in und über Deutschland“).

Seyfarth  /  Von der Finanzkrise war da noch gar nicht die Rede?

Müller  /  Überhaupt nicht. Im Gegenteil. Zwei „BILD – Finanzexperten“ schüttelten noch im September 2008 in einem Artikel fassungslos den Kopf über deutsche Anleger, die sich die hohen Zinsen der isländischen Kauping Bank entgehen ließen: über fünf Prozent!  Bei meiner Arbeit „Kleine Spende für die isländischer Kunst“ sind vom Wert der Münzen und Scheine allerdings zeitweise bis zu 75 % verschwunden, spurlos. Die Arbeit wirkt zudem plötzlich fast zynisch, was mir gar nicht gefällt. Aber so wird die Abhängigkeit der Kunst vom Kapital und der Gesellschaft sehr deutlich, das gefällt mir.
 
Seyfarth  /  Und was ist mit der isländischen Kunst?

Müller  /  Der Aktivist Hrafnkell Brynjarsson sagte mir, dass ein riesiges Bauprojekt um ein Kunstwerk von Ólafur Eliasson in Reykjavík plötzlich unfinanzierbar geworden sei. Du weißt, er hat mehr Assistenten als der gesamte Berliner Hamburger Bahnhof….Nun ragen da riesige Kräne bewegungslos in den isländischen Himmel, alles ist halbfertig. Eine Ruine sozusagen, die von der überraschenden Entwicklung und Krise kündet …

Seyfarth  /  Was bedeutet das für deine Kunst?

Müller  /  Man könnte doch eher fragen: Was bedeutet die Kunst für die Krise? Viele Leute erwarten eine Analyse unserer Wahrnehmungsstrukturen mit Hilfe der Kunst und eine intensivere Konzentration auf relevante Inhalte. Dafür trete ich, auch in Kooperation mit anderen Künstlern, schon seit Jahren ein. So kämpfe ich zusammen mit Françoise Cactus darum, dass ihre Topflappenhäkelpuppe „Wollita“, die vor einigen Jahren als „Kinderpornokunst“ über mehrere Wochen von BZ und BILD übel denunziert wurde, als Entschädigung für diese Schweinerei den BZ-Kulturpreis erhält. Ein Objekt wird zum Subjekt. Bislang sind wir mit der Vergabe des BZ-Kulturpreises an „Wollita“ gescheitert, aber was bedeutet das eigentlich? Wir haben nun selber einen Preis ins Leben gerufen, den „Ich-Sehe-Was-Was-Du-Nicht-Siehst“-Preis, auch „Wollita-Preis“ genannt. Seyfarth  /  Den „Wollita-Preis“ habt ihr bereits an Barbara Kalender und Jörg Schröder vom März-Verlag und an den Künstler Ming Wong aus Singapur verliehen.

Müller  /  Ja, die Kunst sollte unsichtbare Qualitäten aufspüren und daraus Substanz gewinnen. Diese Preisträger gehören zu diesem Kreis, wo Substanz sichtbar wird. 
Wolfgang Müller „Hawaii-Krausschwanz/ 7“, 2008 (© Courtesy Galerie Dörie * Priess, Berlin/Hamburg)
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