Thomas Kilpper

MfS

2009:Nov // Christoph Bannat

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11-2009
















Eine gute Nachricht: Thomas Kilpper hat das Ministerium für Staatssicherheit geknackt. Er hat den Linoleumboden im Speisesaal des ehemaligen Ministeriums für Staatsicherheit in einem begehbaren 800 m2 großen Druckstock verwandelt. Und zwei Stockwerke höher, im Multifunktionssaal, ebenfalls auf 800 m2, sind über 60 seiner, bis zu acht Meter langen, auf Fahnenstoffe gedruckte Motive, zu einem luftigen 3D-Labyrinth zusammengestellt. Wer beide Räume im MfS, sowie den Gesamtabzug des Speisesaalbodens als Vorhang an der Außenfassade des MfS gesehen hat, ist zunächst von diesem logistischen Kraftakt beeindruckt. Ein Kraftakt, der dem komplexen Thema der inneren und äußeren Staatssicherheit des BND, des antifaschistischen Widerstands, der RAF, der Stasi und der CIA – auf seine Weise gerecht wird. Gleichzeitig, und auch das ist Thomas Kilpper hoch anzurechnen, enttäuscht er. Er enttäuschte jene, die das MfS-Gebäude mit einem wohligen Schauer der Bedrohung betraten, in Erwartung hier, im Lichte der Kultur, die dunkle Macht des Staatsicherheitsapparats in Augenschein nehmen zu können. Dieses exotische Erlebnis blieb aus. Zurück blieb jene heilsame Enttäuschung. Der Besucher wurde mit allseits bekannten, bereits verinnerlichten Fotomotiven des kollektiven Bildgedächtnis konfrontiert. Die Drucke zeigen Portraits und dokumentierte Tatorte aus aller Welt, die im Zusammenhang mit Geheimdiensten standen: Von Patrice Lumumba über Rosa Luxemburg, zu Horst Herold, Erich Mielke, Wolfgang Schäuble oder Wolfgang Grams. Die Personen sind auf der Außenfassade, auf einer Bildebene mit Waterboarding-Szenen, MfS-Geruchsproben und WK2 Massenerschießungen in Polen zu sehen. Dabei gelingt Thomas Kilpper jedoch nicht der ganz große Wurf. Das was Martin Kippenberger u.a. mit „Bekannt durch Film, Funk, Fernsehen und Polizeirufsäulen“ in einem Akt „zynischen Vernunft“ gelang; oder Sigmar Polke mit der Verbildlichung von Walter Benjamins „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“, indem er die zuvor projizierten Rasterpunkte nachmalte; oder Gerhard Richter, der die Poesie der Aufklärung anhand unscharfer Bilder thematisierte; oder Luc Tuymans, indem er malerisch Fotografien, im Prozess des Entstehens oder Verschwindens, fixierte. Solch eine künstlerische Intelligenz entwickeln die Linoleumschnitten von Thomas Kilpper nicht. Seine Arbeiten vermitteln sich eher über die Geste, die hier zur Metapher wird, anstatt über das Endprodukt. Monate lang bearbeitete Thomas Kilpper mit wechselnden Helfern den Boden des Speisesaals im leerstehenden MfS. Den heroischen Guinness-Buch-verdächtigen Akt der Selbstaufopferung verteilte er im MfS auf mehrere Körper, die sich den Licht- und Schattenwürfen der Overheadprojektion unterwarfen. Man kann es als eine Unterwerfung unter die mimetische Geste der Reproduktion gedruckter Fotos und als eine Möglichkeit der Aneignung von Welt sehen. Hinzu kommen die Gesten der Hängung im Multifunktionssaal und an der Außenfassade des MfS. Summiert man diese Setzungen zu einem Handlungsstrang, erscheint sie als eine einzige Metapher. Eine Metapher mit hohem symbolischen Gehalt. Das heißt: Kilpper greift den Boden des belasteten Gebäudes an. Er sticht in die Fundamente, auf denen der Besucher sich bewegt. Er hinterlässt bildhafte Spuren und legt Schichten frei. Er schwärzt den Boden im Positiv- und Negativ- und macht diese Schichten sichtbar im Schwarz-Weiß-Verfahren. Er hängt den Abdruck des Bodens an die Wand, so dass der Besucher Abstand vom Boden nehmen und sich einen Überblick verschaffen kann. Er führt den Betrachter ins labyrinthische Bildarchiv seiner Erinnerung. Er legt Schichten geschichteter Geschichte offen. Er veröffentlicht das (Druck-) Geschehen im Inneren (des Apparats der Staatssicherheit), indem er es an der Außenfassade, der Grenze zwischen öffentlichem und privatem Raum, erscheinen lässt. Er legt die Druckverhältnisse offen, indem der den fest eingebundenen Druckstock zum Werkbestandteil erklärt und mit beweglichen Bildern auf Fahnenstoff kontrastiert. Er thematisiert die Halbwertszeit massenmedialer Bilder, indem er sie in Kunstbilder übersetzt, denen traditionell eine längere Halbwertszeit zugeschrieben wird. Das sind für mich gestische Setzungen. Die Geste erscheint hier als Metapher, die das Wesen der MfS- Aktion ausmacht und die zum feuilletonistischen Assoziieren einlädt. Das „Was“ und das „Wie“ gehen in der Kunst, wenn’s gut läuft, eine komplexe Komplizenschaft ein. Wenn man die Linoldrucke als Sachtatbestände unter stilistischen Geschichtspunkten betrachtet und das ihnen angehangene Anekdotenwerk abzieht, dann bleibt es ein handwerkliches, nach fotografischer Vorlage, vergrößertes, insgesamt naives Druckprodukt. Ein Produkt, bei dem die fotogestützte Zentralperspektive mit der handwerklichen Übersetzung auf unproduktive, halbgare und unterentwickelte Weise miteinander konkurrieren. Ein Produkt aus dem sich keine formalen Versprechen ableiten lassen. Formale Versprechen sind in der Kunst aber auch immer inhaltliche Versprechen. Das Versprechen, dass man etwas nicht nur machen, sondern nur exakt so machen kann.

Gleichzeitig zeigt die Kilpper’schen Geste aber auch, dass man eine solche (vielleicht) nur im Milieu der Kunst machen kann, was wiederum von deren Notwendigkeit zeugt. Einmal davon abgesehen, dass es notwendig ist das Licht der Aufklärung (auch so eine Metapher) ins Dunkel der staatlichen Apparate, scheinen zu lassen. Eine Aufforderung in der ich einen weiteren Verdienst Thomas Kilppers sehe. Schade, dass die Macher der aktuellen Ausstellung „Kunst und Kalter Krieg, 1945–1989“ im Deutschen Historischen Museum nicht den Mut zur künstlerischen Freiheit hatten. Dass sie es nicht wagten, die Ost/West-Dualität und die vermeintliche sichere Folgerichtigkeit einer chronologisch organisierten Ausstellung zu verlassen um Thomas Kilppers MfS-Arbeit einzubeziehen.
#Christoph Bannat

Thomas Kilpper „State of Control“, Ehemaliges Ministerium für Staatssicherheit der DDR (MfS) Normannenstraße 19

10365 Berlin ausgerichtet vom n.b.k., Chausseestraße 128/129, 10115 Berlin, 20.06.–26.07.09
Thomas Kilpper „Willy Brandt und Günter Guillaume“, 2009 (© Foto: Neuer Berliner Kunstverein/Jens Ziehe)
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