Steven Pippin

daadgalerie

2014:Jul // Andreas Koch

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07-2014
















Der Tod der Kamera

Die Ausstellung „in Camera“ von Steven Pippin in der daadgalerie ist eigentlich langweilig. Es hängen nämlich Fotografien an der Wand und Ausstellungen mit Fotografien geraten in den letzten Jahren oft eher fade. Dafür können die Bilder nichts. Aber unser aller Rezeptionsverhalten änderte sich bekanntermaßen stark. Jeder von uns konsumiert täglich eine Unzahl an fotografisch hergestellten Bildern, fügt womöglich selbst noch eine beträchtliche Anzahl hinzu und macht diese wieder öffentlich. Trillionen von Fotografien existieren mittlerweile und auf die meisten wird, wenn überhaupt, nur ein Bruchteil von Sekunden geschaut. Da leidet die Fotografie im künstlerischen Kontext mit, sie befindet sich in einem Aufmerksamkeitstief, es sei denn, sie ist alt oder Becher-Schule. Auf der diesjährigen Art-Cologne waren kaum fotografische Werke zu sehen, Handgemachtes überwog deutlich.
Pippin selbst meinte einmal in einem Text von 2010/11, das Gewicht aller Fotografien übersteige möglicherweise die physische Masse der Erde. Anhand eines überbelichteten Eiffelturms, dessen größerer Teil in einem hellen Fleck unsichtbar bleibt, demonstriert Pippin während eines Vortrags zu seiner Ausstellung, wie Fotografie ihr Motiv förmlich totbelichten kann. Das eingefangene Licht landet dann meist ungesehen in zusammengerechnet exabytegroßen Speichergräbern.
Also machte sich Steven Pippin auf die Suche nach dem Ursprung der Fotografie und findet dort gleichsam ihr Ende vor. Seine aktuelle Ausstellung zeigt Fotografien, die ihren Herstellungsprozess dokumentieren, welcher in diesem Fall identisch mit dem Moment der Zerstörung des fotografischen Apparats ist.
In aufwendigen Versuchsreihen schießt Pippin mit einer Pistole in oder aus Großbildkameras, durch das Objektiv oder durch die Filmkassette. Er postiert dabei Spiegel um die Kamera, so dass die Kamera sich bei ihrer Zerstörung selbst fotografiert. Man sieht auf den so entstandenen Fotografien das Loch, durch das die Pistolenkugel geflogen ist und so Platz für Lichteinfall geschaffen hat – und in manchen Fällen auf dem gleichen Bild die Kamera mit der wieder austretenden Kugel. Da wo die Fotografie anfing, zum Beispiel bei Étienne-Jules Marey und Eadweard Muybridge, hört sie bei Pippin wieder auf. Deren ersten atemberaubenden Studien zu zuvor nie gesehenen Bewegungsabläufen setzt Steven Pippin selbstbezügliche, geschlossene Kreisläufe entgegen, um nichts weiter zu dokumentieren als das zerstörerische Licht, das seine Spuren auf den geretteten Negativen hinterlässt.
Merkwürdigerweise entstehen auf den Bildern Ähnlichkeiten mit anderen Urphänomenen und Perzeptionsmöglichkeiten des Lichts: Die Einschusslöcher bilden irisähnliche Erscheinungen, die sich vielorangefarben vom Rest absetzen. Zersprungene Augen schauen einen an, während drumherum kosmische Explosionsteilchen umherfliegen. Manche Bilder erinnern an Thomas Ruffs „Sternenhimmel“-Bilder. Während aber dort das Licht teils Jahrmillionen brauchte, um sich auf dem Negativ zu dokumentieren, zeigt Pippin nur einen winzigen Moment, der sich in der Kamera selbst ereignet. Eine Implosion mit zighundert aufleuchtenden Splittern vor dem unscharfen Schatten der in das System implementierten Schusswaffe.
Die Möglichkeit, mit der Kamera einen Moment einzufrieren und auf ewig zu konservieren, war vor 150 Jahren unerhört und nie gesehen. Die Belichtungszeiten waren damals zwar noch unendlich lang, aber man behalf sich mit abenteuerlichen Blitzanlagen, die Chemikalien entzündeten, rauchten und stanken.
Dieses infernalische Moment fehlt den heutigen Digicams völlig, die lautlos alles aufzeichnen, was sich ihnen in den Weg stellt. Außer dem Wort „schießen“ gibt es keine Verbindung mehr zu den kriegerisch anmutenden Urahnen, denen sich unsere menschlichen Vorfahren, sie mit starrem Blick fixierend, auslieferten. Bei einer Performance, die seinem Vortrag in der daadgalerie folgte, stellte er einen großen Spiegel vor die Kamera und überschüttete sie mit brennbarem Material. Im Zeitraum der Belichtung zündete er die Kamera an. Man wird nun ein Portrait der Kamera erhalten, auf dem sie starr ihrer eigenen Zerstörung beiwohnt.
Die Ausstellung von Steven Pippin ist also alles andere als langweilig. Man sollte nur aufpassen als Künstler, Betrachter und Rezensent, dass man sich nicht allzu sehr berauscht an den Metaphern vom Ende der Fotografie. Denn sie wird überleben und auch in der bildenden Kunst ihre Ecke behalten, aus der sie immer wieder kluge Kommentare zum Zustand der Welt liefern wird. Steven Pippins Fotografien gehören dazu.

Steven Pippin „in Camera“, daadgalerie, Zimmerstraße 90, 10117 Berlin, 29.3.–10.5. 2014
10 × 8 inch camera autoportrait (on fire), 2013 (© Steven Pippin)
Microtime für Seitenaufbau: 1.33285689354