Eve Sussman

Hamburger Bahnhof

2007:Mar // Stefan Stefanescu

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04-2007
















Die Kunst des Kinos und die Kunst der Kunstausstellungen – auch wenn sie filmisch ist – sind grundverschieden. Perfektes Studienobjekt für diese Differenz ist der Film „The Rape of The Sabine Women“ von Eve Sussman und der Rufus Corporation, der bis vor kurzem im Hamburger Bahnhof zu sehen war. Suss­man liefert mit ihrem Remake der altrömischen Gründungs-Saga eine Kombination beider „Medien“ – und ihr künstlerisches Scheitern ein Lehrstück über deren Eigenheiten.   Das in einer Einzelausstellung und mit bester Vorführtechnik gezeigte Werk beginnt als Video-Installation. Die ersten Bilder offerieren rudimentäre Kuriositäten der Videofilmerei: das Windrauschen am Kameramikrofon, den rasterartigen Effekt langer Belichtungszeiten bei zuwenig Licht, das Sprechen von Akteuren direkt in die Kamera. Sehr bald aber, nach den kinomäßig eingeschobenen Filmtiteln, entfaltet sich die ganze megalomanische Anlage des Projekts: Ständig wechselndes Filmmaterial präsentiert sich in der hochaufgelösten Projektion, dutzende, bisweilen gar hunderte Darsteller bespielen den Abbildungsraum und das offensichtliche Vorhandensein von Filmhandwerk (Beleuchtung, Maske usw.) lässt keinen Zweifel an den kinematographischen Ambitionen der Autoren. Oft per Steadycam aufgenommen, gelangen wir durch äußerst filmogene Drehorte: das Pergamonmuseum und den Flughafen Tempelhof in Berlin, in Athen die Fleischmarkthallen und das antike Herodion-Theater, eine modernistische Villa in mediterraner Landschaft. Es entsteht, jedenfalls ansatzweise, Kino-Ästhetik. Doch mit dieser Selbstbehauptung – »das ist Kino!« – manövriert sich das Werk ins Hochrisikogebiet der Kino-Rezeptionshaltung. Medium und Betrachter-Haltung mutieren: Aus dem notorisch geduldigen Museumsflaneur, der keine Ansprüche auf Entertainment und mediale Intensität haben sollte, wird ein Kinozuschauer – und der sieht schlechtes Kino.

Dass die erklärte Kino-Enthusiastin Sussman überhaupt vom Kunstbetrieb bzw. dem Modus „Videoinstallation“ aus operiert, erklärte sie 2005 dem Magazin „Believer“ damit, dass der Zuschauer hier mehr „patience and forgiveness“ mitbringe als bei Kino. Folge sei, dass „when you are entertained, you’re really pleasantly surprised.“ Dementsprechend wünscht sie sich „a foot in both worlds“. Sussman, so scheint es, versucht die Wirkungsmaschine Kino im Konventionsgehege der Kunst abzusichern, was im vorliegenden Fall aber in beidseitigem Scheitern mündet. So kann man zwar die gefühlte Dehnung der 80 Minuten Spieldauer und die reflexhaft eintretende emotionale Distanz zum Dargebotenen als im Kunstkontext gängige Effekte verbuchen. Für die daraus resultierende Gelegenheit zum Nachdenken – eine Situation, die gelungene Kunst gewinnbringend zu nutzen weiß – bietet Sussmans Film jedoch wenig mehr Stoff als die rezept- und versatzstückhaft aufgereihten Indizien ihrer Kinobegeisterung. Diese gilt offenbar vor allem jener Kino-Ära, in der genau die Verbindung mit der – modernen – Kunst gelungen war, an der auch sie sich versucht: den sechziger Jahren. „Große“, oft erfolgreiche Filmwerke hatten damals die autonome Entfaltung der medialen Form unter Verzicht auf narrative Repräsentation zelebriert (wie etwa Resnais’ Marienbad-Choreographie), die Auflösung tradierter Grundformen erreicht (wie Antonioni in seinen Dramaturgien ohne Anfang und Ende), das selbstreflektive Spiel mit dem Medium selbst und seinen Produktionsbedingungen betrieben (wie etwa Godards Le Mepris).

Sussmans rezepthaftem Remake dieser filmkünstlerischen Zutaten fehlt jedoch die Tragweite und Wirkung der Vorbilder, weil sie es nicht schafft, den fiktionalen Sog zu generieren, den jene durch ihre modernistischen Verfahren eher noch steigerten. Dass bei nahezu jeglicher Art von Schauspiel die Anweisungen der Regie (oder deren Fehlen) und der „monatelange Improvisationsprozess“ (Pressemitteilung) spürbar werden, mag mit der Hoffnung zu tun haben, der Kunstbetrieb möge dies genauso als anti-illusionistisch und „selbstreferenziell“ goutieren wie die demonstrative Integration von Kostümbildnern und Beleuchtern ins Filmbild. Mehr noch lässt sich daran aber lernen, dass die hochgeschätzte Moderne-Figur, das Medium durch das Medium zu bespiegeln, eine naiv platzierte Floskel werden kann, deren Wahrhaftigkeitseffekt kaum mehr offenbart als die Unbeholfenheit der Produzenten.

Am Ende ergibt Sussmans Kombinationsstrategie eine Melange der Schattenseiten von sowohl bildender als auch Kino-Kunst: Statt eines Kinos als Kunst der Führung und Verführung des Betrachters ein Theater vordergründiger Effekte, statt einer selbstreflektierten und aufgeklärten Kunst ein leerlaufender Apparat aus Konventionen und Betriebsreflexen. Die Produzenten, diesen Eindruck wird man beim Betrachten nicht los, waren von ihrer Aktion aber nachhaltig begeistert. Schließlich ist alles geworden wie Kino – fast jedenfalls.

Eve Sussman und die Rufus Corporation „The Rape of The Sabine Women“
Hamburger Bahnhof
16.1.–11.3.2007

Fotografischer Still aus „The Rape of the Sabine Women (Gomorrah)“, 2005 (© Eve Sussman and the Rufus Corporation)
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