Teil 4

2010:Jun // Various

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06-2010





Ein Strahlen ging über das Gesicht von Isabelle Graw. Zu Recht. Denn mit ihrem Auftritt als Model für die von Heimo Zobernig arrangierten Modenschau zum zwanzigjährigen Galeriejubiläum von Christian Nagel schien die Texte zur Kunst-Redakteurin ganz zu sich gefunden zu haben. Graw gilt unter Insidern als Fashion-Aficionada. Auf dem Laufsteg machte sie im dekonstruktiven Jäger-Chic von Jakob Lena Knebel und Markus Hausleitner eine entsprechend gute Figur. Als ob da jemand seinen Ort gefunden hätte.

Steht die Berliner Kunstszene vor ihrem Ausverkauf? Nur noch Nehmen ohne Geben? Für die Kuratorin Ellen Blumenstein etwa sind „Kunstgroupies“ zum erklärten Feindbild geworden. Veranstaltungen von Office und dem gerade neu gegründete Salon Populaire bieten da Halböffentlichkeit und privatere Räume als Gegenmodell. Leider kippte das Spiel mit dem Exklusiven bei der letzten Office-Veranstaltung dann doch in eine eher unglückliche Zweiteilung des Publikums. So hatte der erste zwar öffentlich angekündigte, aber nur für geladene Gäste vorgesehene Programmteil mit Dan Graham und Nicolas Guagnini zur Folge, dass entgegen aller Intention diese Diskrepanz in der anschließenden, für alle Interessenten offenen Diskussion nur schwer zu überbrücken war. Bleibt zu wünschen, dass der Salon seinem jetzigen Charakter die Treue wahrt und weiterhin den intellektuellen Freiraum und Austausch bietet, den die Tradition dieser Kultur verspricht.

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Graue Eminenzen. Eröffnung der neugestalteten Sammlungspräsentation in der Neuen Nationalgalerie. Stuhlreihen auf dem Teppich von Rudolf Stingel. Ich stehe und schaue auf lauter Grauköpfe und Glatzen. 1900–1945 ist nicht meine Peer Group. Aber die Kunst unten im Keller, die ist super. Und die Farbe an den heiligen Mies-Wänden auch. Nur über den Apricot-Ton, über den müssen wir noch einmal reden, Herr Kittelmann.

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Dreiviertel Stunde im Halbdunkel verbracht, muss nicht sein…Was tut man nicht für die Kunst! Aber zumindest den Ort der Veranstaltung gefunden, direkt an der Karl-Liebknecht-Strasse im HBC. Zu einem anderen Anlass am gleichen Ort war mir dieses Erfolgserlebnis nicht vergönnt, eine Ausstellung am selbigen Ort, aber nicht am gleichen Platz… Irgendwie steckt da der Wurm drin. Aber für mono kultur macht man sich gern auf den Weg und für Sissel Tolaas, die ich seit Jahren kenne und ab und zu im Fernseher sehe. Hier real und im Vortrag und im Gespräch, aber es bleibt mir unverständlich, dass man für diese Erfahrung weitgehend auf Licht verzichtete. Wurden unbegebetene Gäste erwartet oder wollte man die Zuhörer in Platons Höhle locken, damit sie die Gerüche noch besser wahrnehmen können? Vielleicht hätte ich doch besser zu Tilda Swinton gehen sollen, damals aus Anlass des Hefte von ihr/über sie in einer Gartenkolonie. Irgendwo habe ich noch Hefte von mono kultur… muss ich mal finden. Ist ein schöne Idee, aber was ist jetzt stereo kultur?

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Phänomenale Schau bei haubrokshows. „Monchrome Reflections“. Das ist für mich die konsequenteste Privatsammlung, die es zur Zeit in Berlin zu sehen gibt. Ohne Schnickschnack, super Ort, klasse Atmosphäre, freundliche Ansprache. Wenn ich das jetzt mal mit Olbricht vergleiche, ach nee, ist wie Gold mit Kacke vergleichen. Wie bei bisher allen haubrokshows auch diesmal eine absolut durchdachte Situation, in der glasklar die Haltung des Sammlers sichtbar wird und die ist ja bekanntermaßen streng. So etwas gibt es in Berlin wirklich kein zweites Mal. Da wiederhole ich mich gerne. Einziger Wermutstropfen: die Frauenquote!

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Gerücht: Der Kurator der Sammlung Olbricht ist seit kurzem mit Prinzessin Lillifee zusammen.


I had never been to the Weekend, but thought it fitting to accept the invitation of the LVBG to their 15-year anniversary atop the roof of the Sharp Tower so close to this year’s Gallery-Weekend. The weather, the view and the food were magnificent. But it is mighty strange how an association, apparently representing all of the roughly 470 Berlin galleries, can manage to not even attract one gallerist included in the Gallery-Weekend Berlin to their party at the Weekend. So much for a united Berlin!

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Sonntag am Mittag, endlich wieder Tischtennis beim Arkona-Platz, gleich hinter dem Flohmarkt. Christoph Keller spielt noch nicht Frühform, Jan Hammer dagegen solide wie meist. Im Doppel dann unterlegen: Die Schreiberzunft vertreten durch Stefan Römer und Stefan Heidenreich. Raimar Stange hadert später mit seiner Rückhand, Deborah Ligorio glänzt diesmal leider durch Abwesenheit. Auch Luca Cerizza ist wohl erst beim Nächstenmal dabei.

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Hat eigentlich jemand die Ausstellung „squatting“ in der Temporären Kunsthalle gesehen?

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Die Arbeit des US-amerikanischen Künstlerin Mary Heilmann umfasst ein weites Spektrum verschiedener Techniken. Formen des Aquarells und der Zeichnung verschmelzen mit den Mitteln der Ölmalerei. Die Suche nach Freiheit durch Rebellion, ihre Obsession für das Portrait und das Kleinformatige, die Verweigerung der Ästhetik und die Ästhetik der Verweigerung bestimmen ihr Werk, wobei Kunst als negative Kategorie unbedingt erhalten bleiben muss. Sie pflegt einen bewusst nachlässigen Stil bei gleichzeitiger technischer Brillanz. Durch die Beschränkung auf die Gattung Portrait distanziert Heilmann sich von vielen Künstlern, für die sich das Kunstschöne in Gedanklichkeit und Innovation ausdrückt und nicht vornehmlich in Form und Farbe. Sie steht in der Tradition der Portraitmalerei und füllt sie mit zeitgemäßem Inhalt, indem sie meist gesellschaftliche Größen unserer Zeit darstellt, diese aber formal nicht distanziert von Darstellungen ihrer Freunde. Als Vorlage dienen Heilmann Schnappschüsse.

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Olafur-Eliasson-Party im Weekend. Irgendwie treffen sich bei Eliassons Partys immer alle, das heißt die Erstligakünstler und -kuratoren und der Rest, also alle anderen Künstler und die Zuliefererkaste. Das sieht sehr demokratisch aus und ist auch besser, als wenn es getrennt ablaufen würde. Trotzdem trifft man sich auch wieder nicht, denn man bleibt klassenmäßig unter sich. Demand hängt am Ohr von Birnbaum und Koch steht bei Stange rum. Nur Eliasson begrüßt alle gleich herzlich….

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Nachts sind alle Katzen grau – „monochrome reflections“, wie gerade in den haubrokshows am Strausberger Platz zu sehen, sind eben öde. Auch wenn der Boden des Ausstellungsraumes so grau ist wie viele der gezeigten monochromen Arbeiten, gilt eben, dass rein formal ausgerichtete Konzepte noch den gelungesten Kunstwerken jeden Funken an Intelligenz nehmen. Diese Selbstverständlichkeit lässt sich in „monochrome reflections“ – eher um designtaugliche Spiegelungen als um gedankliche Reflektionen handelt es sich da – z.B. an eigentlich wunderbaren Arbeiten von Luc Tuymans oder Franz West ablesen.

Eine Preisfrage. Ein Spitzenangebot kommt rein: an einer Buchreihe mitarbeiten. Schönes Thema, guter Verlag, noch Fragen? Ja! Mein Honorar soll ich selber festlegen – dann schauen sie mal, ob ich billig genug bin (Wer sind meine Konkurrenten? Wieviel wollen die haben?) und melden sich wieder. Bis jetzt hat sich keiner mehr gemeldet. Bin ich etwa nicht billig genug?

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Moving Energies (abgekürzt: me) Collectors Room also, eine Art „Concept Show Room“ mit Gastro, Souvenirshop und 1300 qm Ausstellungsfläche eröffnete seine Pforten. In der Auguststraße neben den Kunstwerken. KW und me. Unentschlossen linse ich am Kassenbereich vorbei. Von einem Gemälde von Kehinde Wiley aus schaut mich Michael Jackson an, eine von Rubens inspirierte Auftragsarbeit des King of Pop – und schon mag ich kein Eintrittsgeld mehr zahlen. Die mich dort umgebenden Begriffe Artificialia, Naturalia, Scientifica, Exotica und Mirabilia erinnern mich zudem daran, dass ich noch in die Heidestraße wollte. Ein paar wissenschaftliche Instrumente und selten arrangierte Naturalien von Damien Hirst und Michael Joo anschauen. Wo?

Haunch of Venison. Die saftige Hirschkeule, die 2007 als Verkaufsgalerie des Christie’s Auktionshaus in London spektakulär verspeist wurde und nun einen Ableger in Berlin hat. Die fast 7m hohe Skulptur im Eingangsbereich, eine bunte Bronzearbeit eines anatomischen Körpermodells von Hirst heisst „Temple“. „Dieser Körper ist mein Haus und darin kenne ich mich aus.“ Die Ausstellung ist technisch perfekt, sie ist aufwendig, sie ist leicht zugänglich, sie ist monumental – sie ist voll Haunch of Penis’ Sons. Alles an ihr gefällt mir und nichts daran kann ich ernst nehmen. Simple as it is.


Seit den 90er Jahren arbeitet Pietro Roccasalva mit Zeichnungen, Videos und Photographien, mit denen er Sitten und Gebräuche hinterfragt und Beziehungen zwischen öffentlichem Raum, Macht und Geschlechterrollen untersucht.

Zu der hervorstechendsten Eigenschaft seiner Arbeiten zählt physische Präsenz, welche die Auseinandersetzung des Besuchers mit dem Ausstellungsraum bestimmt. Ein weiterer Aspekt im Werk des Künstlers ist die formale Auseinandersetzung mit Skulptur und deren ortsbezogener Installation. Dabei werden zuweilen die Grenzen zwischen öffentlich und privat bis zur Unkenntlichkeit verwischt. Seine schönen und oftmals bedrohlich wirkenden Installationen geben Antworten auf Reflektion über Geschlechterverhältnisse, oft gepaart mit beißendem Humor.

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Der übliche angestrengte Wir-durchdringen-die-Sache-mehr-
als-ihr-Käse in der Galerie Kamm. Schwummrige Beleuchtung. Dem Betrachter wird suggeriert: Hier geht es um was und nicht um nichts. Ein paar Filme und Bilder werden gezeigt. Tun wichtiger als sie sind. Um die Kunstwerke herum schleichen amerikanische Schwerer-Kunst-Diskurs-Typen. Dresscode: Berlin-Mitte-Uniform. Ich denke: Alles ist wie immer. Jeder macht halt seinen Brei. Beim Rausgehen komme ich an den doofen Gardinen vorbei. Würde ich am liebsten sofort abreißen oder in Brand setzen. Die Namen der Künstler habe ich vergessen.

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Sunday“, das Sonntagsevent der „jungen“ Galerien während des Gallery Weekensds: Auf vier Etagen in einem schmucken, noch unvollendeten Neubau am Rosa-Luxemburg-Platz wird Kunst gegeben, aber alles mehr oder weniger nach nur einem Rezept. Und dieses lautet: Man und frau nehme z.B. ein, zwei gebrauchte Socken und mache daraus eine Skulptur – selbstverständlich mit einer Referenz zu Ed Rusha, Sol LeWitt oder anderen us-amerikanischen Kunstgrößen. Bow, wie langweilig.

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Da bin ich also von Berlin nach Köln gereist, um mir nach Jahren mal wieder die Art Cologne, die Art Kolonje wie der Rheinländer sagt, anzuschauen und musste mit Erstaunen feststellen, dass es sich bei der Art Kolonje jetzt im engeren Sinne um eine Art Berlin handelt, denn nicht nur viele Berliner Künstlerinnen und Künstler waren da, was ja klar war, nein, auch sage und schreibe 46 Galerien aus Berlin waren angereist, was, wenn man bedenkt, dass auf dem Art Forum nur gefühlte 20 Berliner zugelassen sind, ein ziemlicher Hammer ist und jetzt ist es ja nicht nur so, dass kaum noch anständige Galerien in Köln existieren, nein, nun ist auch noch die Hohheit auf der eigenen Messe futsch, was sich für die Kölner Kulturpolitik doppelt mies anfühlen muss, aber wahrscheinlich hat die das noch gar nicht bemerkt, et kütt halt wie et kütt. Prösterchen.

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Sonntags traf man sich bei „Sunday“, dem eintägigen Event ausgewählter „junger“ Galerien am „Gallery-Weekend“. Da sah man dann z. B. Dan Rees bei der Galerie Tanya Leighton: Der Plattenteller eines Schallplattenspielers malte da scheinbar ein Bild. Aber: Schon 1985 malte Rob Scholte sein bekanntes, z.B. 1990 auf der Venedig Biennale gezeigtes Bild „Der Schrei“, in dem eine aufziehbare Spielzeugpuppe, ein Harlekin, ein Bild auf einer Staffelei malte. Das Bild zeigt den „Schrei“ von Munch und Menschen, die es betrachten. Wo, bitte schön, ist der Zugenwinn bei dem jungen Neo-Neo-Konzeptuellen Dan Rees?

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Ein „Mini“, das klassische Modell, steht da scheinbar unschuldig in der Galerie Podnar. Sich sentimental an das Ende des 20. Jahrhundert erinnernd, geht der Kunstfreund um den Wagen, aufgestellt von Ariel Schlesinger, herum – dann die Schrecksekunde: Plötzlich merkt er, dass zwei Gastanks mitten im „Mini“ liegen. Der Künstler ein Selbstmörder? Oder das Gefährt eine Autobombe, gar eine Gaskammer, wie Gustav Metzger in seiner Installation „Project Stockholm“, 1972, nahe legt? Auf jeden Fall strömt in dem „Mini“ das Gas aus einem kleinen Loch durch die Fensterscheibe an der Beifahrerseite hinaus und lässt eine kleine Flamme züngeln. So macht diese „Kerze“ deutlich, dass sich tatsächlich gefüllte Gastanks im Auto befinden. In der Skulptur „Car“, 2009, setzt Schlesinger die Strategie des „Umfunktionierens“ ein, um eine alltägliche Situation – ein stehendes Auto – mit einer ungewohnten (poetischen) Emotionalität aufzuladen, die auch Erkenntnis generiert, ist doch das Auto auf Grund seines CO-2 Ausstosses für unsere Umwelt von explosiver Brisanz.

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Eine Umfrage unter meinen Mitbesucherinnen der Eliasson-Ausstellung ergab folgendes Ranking:

Grasfläche vor dem Fenster — Spiegel vor dem Fenster — Hallenkaleidoskop — Strobo-Wasserschlauch — Gehwegplatten — gelbe Folie — Farbnebelraum — Spiegellaster — Vielschattenprojektion — Regenbogenprojektion — grün-magenta Projektion — Modelltisch — Kompass — Wandspiegel — Stecksystem — Lampen


Gerücht: Christian Nagel hat nach seinem Heimo-Zobernig-Auftritt Lunte gerochen und wird jetzt Best-Age-Model auf der nächsten Fashion-Week.

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Eröffnung Andreas Gursky bei Sprüth Magers: in dem Rummel fallen erst auf den zweiten Blick die schwarz gekleideten Männer auf, die für die Dauer von zwei Stunden unbewegt Aufstellung nehmen, von dem Wiener Installations- und Performancekünstler Manfred Grübl in orthogonaler Formation über den Raum verteilt. Je leerer der Raum gegen Ende wird, desto größer das Augenmerk auf diese unangekündigte Eroberung des Ortes und auf die räumliche Beziehung zwischen den Performern. Bei aller Irritation mehr friedliche Koexistenz als Konkurrenz: Gurskys Wohlwollen allerdings darf der angesprochene Performer nicht einmal mit einem Wimpernschlag quittieren.

Unerfreulicher Nachlauf: Andreas Sell, mit allzu vergleichbaren Performances Manfred Grübl um Jahre hinterher, verschickt Pressemitteilungen, in denen er die Urheberschaft an der Aktion behauptet. Im Gegensatz zu Grübls Performance: schwache Vorstellung, unterste Schublade.

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As per invitation, I arrived at the Sprüth Magers party at 11pm. Sadly, the bouncers would not let us in – when I say us, I mean also the editors-in-chief from one of Germany’s leading art magazine, based in Hamburg! Yet, finally when we were let in – at around midnight – the evening was saved by my teenage idol and lead-singer of German punk-rock legends Die Toten Hosen, Campino. I asked him what his relation was to Andreas Gursky, he replied that they didn’t understand what the other was doing, but they respected each other's work. His answers were more interesting when I quizzed him about the decline of the quality of their music since their 2001-album „Kauf Mich!”

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Gerücht: Bei den Gruppenausstellungen des Gallery-Weekends waren nur deshalb höchstens 20% Frauen beteiligt, weil sie einfach keine Lust hatten.

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Grande Dame. Im Strudel des Gallery-Weekends torkelte ich spät in die Galerie Barbara Thumm, ich hatte vergessen warum, nur weil die eben beim Rundgang nicht fehlen soll. Und war schockiert, in was war ich geraten – die Abschlussausstellung einer Malereiklasse der UdK? Assoziative Malerei, die auf den ersten Blick unausgegoren wirkt, genau die Sorte, voller surrealer Momente, verwegen gesetzter Unklarheiten und Schwelgereien in Technik, vor denen man Kunststudenten immer warnt. Aber bei Jo Baer ist das anders, und das sieht man auch: die Ökonomie der Mittel auch auf den größeren Formaten, entspannte Lässigkeit in der Zeichnung und Fingerspitzengefühl im Umgang mit ihrem Material, keine Angst vor Erotik. Natürlich ist es immer noch die heroische Geschichte der künstlerischen Unabhängigkeit, beinahe eines weiblichen Phil Guston. Aber das ist lange her, so gibt es hier weniger die Zurückeroberung einer subjektiven Bilderzählung zu entdecken, sondern das Werk einer Grande Dame zu bestaunen, die die Möglichkeiten der Malerei als poetischer Form erkundet, mit der Neugier eines jungen Hüpfers und der souveränen Technik eines alten Hasen.

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Bei manchen dauert es länger. Mary Heilmann, Jahrgang 1940, war vor einigen Jahren noch ein Geheimtipp. Mittlerweile avancierte sie immerhin zum Gütesiegel „Artist’s Artist“. In „Home Sweet Home“ ließe sich zunächst buchhalterisch bilanzieren, mit welchen Formen- und Zeichenapparaten Heilmanns visuelle Bildkonzeptionen verwoben sind: Vom abstrakten Expressionismus über geometrische Malerei bis hin zu diversen Lifestyle- und Designkulturen. Die gekonnt durchspielten Stil- und Farbkompositionen geben sich jedoch nicht als coole, bekennerhafte Formalismen. Es ist vielmehr so, als ob das abstrakte Farb- und Formenvokabular der Moderne sich in der Disko auf der Tanzfläche einfindet und dabei hier und dort über die Stränge schlägt: Die Nüchternheit der heroischen Moderne paart sich mit persönlichen Erinnerungsräumen und Ausdrucksformen. Die ästhetische Balance von analytischer Reflexion und eigenwilliger, expressiver Farbkomposition macht ungemein gute Laune. Der Ehrentitel kommt nicht von ungefähr.

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Beim Gallery-Weekend ist ein gefälliger, dekorativer, wohnraumtauglicher Grundtenor erkennbar. Behaupten die Künstler. Ganz im Sinne der Imagepflege einer Modemetropole – gemeinhin bekannt als die Stadt mit den am schlechtesten angezogenen Einwohnern. Behaupten einige Medien. Ich behaupte, dass die Konrad Fischer Galerie in der Lindenstraße sich, bewusst oder auch nicht, aus dem Einheitsschlick heraus erhebt. Peter Buggenhouts „The Broccoli Cycle 1“: Beim Klang des Titels muss ich an Blumenkohlohren denken. Bereits beim Eintreten des Galerieraumes rieche ich, dass hier keine unterdrückte Beschönigung sondern befreite Hingabe an eine eigene Interpretation von Skulptur passiert. Die Fenster sind geschlossen und der Duft von Staub, Abfall, Tierblut, Haaren, Eingeweiden liegt über den drei Exponaten, jedes Gebilde pures apokalyptisches Chaos. So stelle ich mir den süßen Duft von Anarchie vor. Ein dicker Deckmantel, eine Schicht von Staub liegt drüber. Es ist so ungewöhnlich an diesem Ort, so unerwartet wirken Überraschungen am besten.

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Sich Bücher nur nach der Farbe ihrer Umschläge aussuchen, womöglich nach der eigenen Lieblingsfarbe? Also wo käme man denn da hin? Wie geschaffen für einen Selbstversuch dieser Art ist der neu eröffnete Edition Suhrkamp Laden in der Linienstraße, einer Kooperation des Suhrkamp Verlags und der FÜRST & IVEN Autorenbuchhandlung Berlin. Denn hier sind über 1000 Nummern aus der bekannten, in den 48 Farben des Sonnenspektrums, die jährlich einen Regenbogens ergeben, eingebunden Buchreihe (Design: Willi Fleckhaus) großflächig ausgelegt (Display: Rafael Horzon). Dass das Design der Reihe, die mit ihren Erstausgaben aus Literatur und Theorie als wichtigste avantgardistische Buchreihe der BRD gilt, hier jedoch – passend zum Standort Mitte – vor der Vermittlung ihrer Inhalte steht, haben inzwischen auch schon die Betreiber des Ladens realisiert. An einer Lösung des Problems wird deshalb auch schon gearbeitet, wie aus dem Gespräch mit einem Verlagsmitarbeiter hervorging. Man darf gespannt sein, mit welchem Resultat. Auf jeden Fall lohnt sich ein Blick in das Veranstaltungsprogramm. Zuletzt sprach der Suhrkamp Autor Rainald Goetz. Eines seiner zentralen Themen war: „Die Ordnung des Ladens“.

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„Mixed“ im Brandenburgischen Kunstverein Potsdam ist ein kuratorisch „gemischtes Doppel“ zwischen Sven Drühl und Tanja Rochelmeyer bzw. Catalina Pabón und Jens Wolf. Die Schau ist so obsolet, wie sie sich auf dem Papier liest: „Gezeigt werden vier junge, individuelle Positionen zeitgenössischer Kunst, die sich durch ihre Positionierung jenseits des malerischen Mainstreams auszeichnen.“ Wir würden uns wünschen, Drühl, als Initiator auch dieser Schau, würde beim Verfassen solcher Sätze wenigstens erröten.

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Dass die Menschen gemein sind, ist ja nicht neu. Auch über Berlin fällt dieser Satz doch oft zurecht. Was allerdings beim diesjährigen Gallery-Weekend über die arme Elizabeth Peyton so alles geredet wurde, war ja nun besonders gemein: „Die kann ja wirklich gar nichts!“ „She simply can’t paint.“ „Dieses Portrait, also vom Riemschneider, ist ja wirklich besonders zum kotzen.“ „What, for that SHIT?“ „WAS!?“ „Also, für das Geld, da kriegste ja nen, sagen wir, Rauch dafür, eine mittelgroßen!“ „Also diese dumme Sau!“ „300.000, ne, das kann nich – na, poah, das kann doch nicht wahr sein.“ „Und, schon was verkauft?“ „Hööhöö, von dem Dreck?“ „So ein Geschmiere.“ „Das verkaufen die halt mal so mit!“ „Da fehlen mir die Worte.“ „Ist das nicht die, die auch sonst nur Portraits malt?“ „Ich find das so ein bisschen kindisch, vom Ausdruck her.“ „Oh, these simple strocks..!“ „Yeah, imagine how her studio must look like!“ „Wie von der Volkshochschule, ne wirklich jetzt.“

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Gerücht: Allen geht es besser, aber niemand traut sich drüber zu sprechen, weil keiner weiß, ob es stimmt.

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