Psycho minimal

/ Absalon in den KW

2011:May // Melanie Franke

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03-2011
















Die Arbeiten des israelischen Künstlers Absalon waren vom 28. November 2010 bis 6. März diesen Jahres in den Berliner kw im Rahmen einer ersten Retrospektive zu sehen. Von Seiten der Kritik wird das Schaffen dieses bereits im Alter von 28 Jahren (1993) verstorbenen Künstlers hoch geschätzt. Niklas Maak zählt ihn zu den wichtigsten Künstlern des zwanzigsten Jahrhunderts. Im Monopol stellt man ihn auf eine Stufe mit Bruce Nauman und Marina Abramovic. Philip Ursprung spricht in seinem Vortrag von einem ungelösten Problem, welches die Aktualität des Œuvres von Absalon über Jahrzehnte halte. Warum lösen die schlichten weißen, aus geometrischen Formen zusammengefügten Objekte solch Lobpreisungen aus? Was ist das faszinierende und ungelöste an dieser künstlerischen Position?

Zunächst ist es die Widerspenstigkeit der Arbeiten, die sich den gängigen Interpretationsmustern entzieht, gleichwohl sie den Anschein wecken, als könne man sie in der Tradition moderner Architektur wie Bauhaus und de Stijl oder aktueller alternativer Wohnmodelle einreihen.

Insgesamt sechs „Cellules (Prototypes)“ (1992) sind in der unteren Halle der KW zu einem Ensemble gruppiert, das vom Künstler so nicht intendiert war. Er hatte die Objekte als Zellen zum Wohnen für verschiedene Städte vorgesehen, doch keine Zelle befindet sich heute an dem für sie vorgesehenen Ort: „Cellule No. 1“ (Paris) befindet sich nun in London, „Cellule No. 2“ (Zürich) ist in Berlin, „Cellule No. 3“ (New York) in Saint-Etienne (Frankreich), „Cellule No. 4“ (Tel Aviv) steht in Marseille, „Cellule No. 5“ (Frankfurt/Main) ist in Liechtenstein, „Cellule No. 6“ (Tokyo) in Stockholm – sie sind allesamt in wichtigen öffentlichen Kunstsammlungen untergebracht. Für Absalon sollten sie im Leben, im urbanen Raum sein. „Die sechs Häuser müssen in Konfrontation mit einem urbanen Raum in Städten, die mit meiner Aktivität verbunden sind, gebaut werden.“ Sie sollten an zentralen Plätzen – öffentlich – aufgestellt werden und dem Künstler als Rückzugsort dienen. Absalon wollte in allen Zellen, einem zirkulierenden Lebensstil folgend, wohnen. Sein früher Tod hat dies verhindert und so wanderten die Zellen in die verschiedenen Sammlungen und können ihre Wirkung nur laborartig und nicht im eigentlichen Sinne entfalten. Ein weiterer, jedoch für ortsspezifische Arbeiten am unspezifischen Ort nicht ungewöhnlicher Widerspruch. Inmitten des öffentlichen Lebens wollte nur Absalon selbst darin leben. Im Innern sind sie räumlich auf das absolute Minimum an Einrichtung konzentriert, alles ist zudem nur modellhaft angedeutet: eine Schlafpritsche, eine Kochnische, eine Nasszelle, Toilette, Stauräume, ein Regal, eine Leiter, die aufs Dach führt – alles weiß und mit sterilem Neonlicht beleuchtet auf nur 4–8 qm, erdrückend eng. Absalon hatte die Zellen zwar für sich vorgesehen, doch mit dem feinen Unterschied, dass er nicht seine Körpergröße als Maßstab für die Häuser nahm, sondern 20 Zentimeter weniger, also 1,70 m zugrunde legte. Damit ist die Zelle auf ihn ausgerichtet und doch nicht auf ihn ausgerichtet, was paradox erscheint. Obwohl die Wohn-Zellen den Anschein von Funktionalität und Purismus wecken, sind sie das Gegenteil: dysfunktional.

Durch die Verknappung wird der Raum in Konfrontation mit dem Körper noch stärker spürbar. Die Formen weisen keinerlei persönliche Spuren auf, sind im schlichten Weiß gehalten und wirken nahezu anonym, so dass sich die Aufmerksamkeit auf die Geometrie konzentriert. Kein Raum für Konsum oder viele Dinge, die das Persönliche zum Ausdruck bringen. Über einen längeren Zeitraum darin zu leben, würde bedeuten, sehr mit sich konfrontiert zu sein, oder: eingesperrt zu sein. Kann man doch in einer Zelle nicht mehr als drei Schritte in eine Richtung machen. Man muss sich ständig bücken, kann sich kaum bewegen. Ob man diese Dichte des Raumes als klaustrophobisch eng oder frei von jeder Ablenkung, einem asketischen Ideal entsprechend, bezeichnen mag, liegt wohl an der eigenen Konstitution. Nach Absalon sind sie „(…) keine Lösungen für Isolierung. Sie sind gemacht, um das Soziale zu leben“. Inmitten belebter Städte, an Orten mit vielen Menschen, bieten sie dem Individuum einen unmittelbaren Schutzraum, für die Konfrontation mit sich selbst in der Gesellschaft. Wie Hochstände oder Trutzburgen erscheinen einige der Zellen und zeigen das Bedürfnis nach Sicherheit eines verletzlichen Individuums.

Die Architektur der „Cellules“ ist in erster Linie psychisch konstituiert. Sie provoziert zum einen Fragen nach den elementaren Bedürfnissen des Menschen sowie nach den Wechselwirkungen zwischen Gesellschaft und Individuum. Wie können wir leben ? Wie konditioniert der Raum die Lebensformen einzelner Menschen und wie die Gesellschaft? Es sind in diesem Sinne heterotopische Räume (Foucault). Umgekehrt reflektieren sie auch die Variabilität von Raum an sich, wie sie durch Migrationsprozesse ausgelöst wird. Weil das Individuum in einer Gesellschaft lebt, in der Migration aus politischen, kulturellen, sozialen oder ökonomischen Gründen aktuell ist, wird der Raum zur variablen Größe. Die Frage nach Heimat und Exil betrifft nicht nur politische Brennpunkte, auch für die Kunstszene der 1990er Jahre charakterisiert Nicolas Bourriaud das Prinzip der Relationalität. Es beschreibt einen Lebenszustand der Vernetzung, einen sozialen Raum, der sich global erstreckt und die Verbindung zwischen Orten und Menschen lockert und bisweilen austauschbar werden lässt.

Relational sind auch die Zellen von Absalon ausgerichtet, sie schaffen Verbindungen zwischen den Städten und ermöglichen ein Zuhausesein an vielen Orten. Wie die Werke von relationalen Künstlern, waren auch die Zellen von Absalon nicht zur Integration vorgesehen, weder in das lokale Leben, noch in die städtebauliche Struktur. Im Gegenteil: sie sollten wie Fremdkörper an zentralen Plätzen aufgestellt werden. Auf diese Weise, in Distanz zum sozialen Raum, lässt sich der mentale Raum des Einzelnen und der normative Raum der Gesellschaft reflektieren. Wie steuert der Raum das Individuum? Welche Bewegungen werden von der Architektur und dem sozialen Gefüge beeinflusst? „Die Zelle ist ein Mechanismus, der meine Bewegungen konditioniert. Mit der Zeit und Gewohnheit wird dieser Mechanismus zu meinem Komfort werden …“ (Absalon). In der Arbeit „Solutions“ (1992) führt Absalon die Möglichkeiten alltäglicher Bewegungen wie sitzen, stehen, liegen in einer Zelle auf. Die Bewegungen entstehen in Relation zu den Formen, die sie umgeben, der Körper passt sich in die Formen ein, ohne zu assimilieren. Dieses Spiel mit Körper und geometrischer Form erinnert an die „L-Beams“, die Robert Morris 1966 entwarf. Es sind flexible Körper, die man wie überdimensional große Ls im Raum setzen, stellen und legen kann. Morris entwickelte sie aus den elementaren Erfahrungen, die er mit seinem eigenen Körper in performativen Aktionen gewonnen hatte. Die geometrische Form wird zum abstrakten Körper. Anders als bei Absalon, wo die Formen wie Hüllen auf einen Körper warten, den sie konditionieren und in gewisser Weise formen können. Sie verdeutlichen bestimmte Wechselwirkungen, denen der Mensch im alltäglichen Leben ausgesetzt ist. Zeigen, wie sehr sich die Bewegungen im Modus der Nützlichkeit abspielen und dabei ihren konkreten Sinn zu verlieren drohen. Handlungen, die sich im normalen Leben über einen Tag erstrecken, erfolgen bei Absalon ohne Unterbrechung hintereinander, zwanghaft.

Vor allem in den Videoarbeiten „Bataille“ und „Bruits“ (beide 1993) wiederholt sich eine Bewegung oder ein Schrei, so in „Bruits“, monoton, in gleichbleibender Tonlage und Rhythmus. Frontal dem Betrachter zugewandt, schreit Absalon und diese Schreie hallen durch die Räume der KW und verleihen den neutralen Formen eben jenen beklemmenden Zug, den die „Cellules“ durch Enge körperlich erzeugen. Der Modus unmittelbarer Abfolge lässt die Bewegungen zwanghaft erscheinen. So erstaunt es nicht, dass die Gestalt des Sisyphos in der Ausstellung unprätentiös als Modell aus Lehm auftaucht. Mit dieser Referenz stellt Absalon Fragen nach der grundlegenden Sinnhaftigkeit des Lebens: Wie müssten die Handlungen eines Lebens beschaffen sein, die nicht in den Ka­tegorien von Alltäglichkeit und Nützlichkeit ihren Sinn verlieren, die gegen Langeweile und Überdruss immun sind?

In der Videoarbeit, die nach dem französischen Philosophen Georges Bataille benannt ist, zeigt sich das psychische Gefangensein im körperlichen Ausdruck, wie in keiner anderen Arbeit. Absalon läuft, einem eingesperrten Tier gleich, in einem Viereck vor und zurück, der Körper ist leicht nach vorne gebeugt und die Arme schlagen und rudern wie von Sinnen, als würde er gegen einen unsichtbaren Gegner kämpfen. Für Georges Bataille können Formen von Gewalt und deren Ausübung im hohen Maße schöpferisch sein. Seiner Auffassung zufolge lebt der Mensch in „Diskontinuität“ zur Welt. Er erlebt seine Subjektivität als „Getrennt-Sein“ und differenziert sich vom „Kontinuierlichen“ vom „Ungetrennt-Sein“ des Lebens. Weil dieser Zustand als Mangel erlebt wird, ist das Individuum bestrebt, den elementaren Zustand des Einsseins („Kontinuität“) zu erreichen. Im Ritus des Opfers sieht Bataille eine Möglichkeit, die Differenz zu überwinden und der Zerrissenheit von Trennung und Auflösung, von Tod und Leben zu entkommen. Die gleichnamige Arbeit von Absalon zeigt den Kampf des Menschen gegen den Zwiespalt, gegen das Getrenntsein, letztlich gegen sich selbst.

In diesen Arbeiten „Bataille“ und „Bruits“, beide aus dem Todesjahr des Künstlers, sind die geometrischen Formen verschwunden und Absalon zeigt den Schmerz über sein eigenes Verschwinden. Es scheint unausweichlich und wiederholt sich im Motiv des Kampfes wie im Schrei. Der Körper wird selbst zum Modell für das elementare Problem des Menschseins schlechthin.

Mit einfachen Mitteln ging Absalon den Fragen nach, was wir brauchen, was wir zu ertragen imstande sind, wie Raum die Handlungen des Lebens konditioniert und wie das Unzureichende uns einrichtet. Dabei richtet sich Absalon nicht an die Gesellschaft als gesamtes und entwirft kein utopisches Konzept, sondern geht eher von seiner individuellen psychischen Verfasstheit aus. Mentaler und sozialer Raum treffen in den Zellen aufeinander und reflektieren die Sinnwidrigkeit der Welt auf elementare und alltägliche Weise. Das Absurde ist nicht zu fassen, entzieht sich in seiner allgegenwärtigen Präsenz.

Absalon, KW, Auguststraße 69, 10117 Berlin 28.11.2010–06.03.2011

Absalon, Ausstellungsansicht (© KW)
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