Müllers Wut und Żmijewskis Beitrag

Debatte über die 7. Berlin Biennale

2012:Apr // Andreas Schlaegel

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04-2012
















„Unterirdisch“, „unterkomplex“! Das sind noch die sanfteren Adjektive mit denen Wolfgang Müller in seiner im März in der Berliner Gazette erschienenen Tirade über die Werke des Kurators der 7. Berlin Biennale, Artur Żmijewski, her zog (http://berlinergazette.de/artur-Żmijewski-npd/). Nach Veröffentlichungen in Jungle World und Junge Welt (http://www.jungewelt.de/2012/03-06/015.php) ist es bereits das dritte Mal, dass sich der Autor den Künstler unter dem Titel „Terror des Populismus: Die Grenzüberschreitungen der NPD und die Kunst des Artur Żmijewski“ vornimmt. Es ist bisher seine bösartigste Attacke. Aber warum ist Herr Müller so wütend?
Es ist schon infam, Żmijewski durch einen derart plakativen Titel in die Nähe der NPD zu rücken. Schon, wenn man an die „Entfernung“ seines Videos „Berek“ (deutsch: „Fangen“, 1999) aus der Ausstellung „Tür an Tür. Polen – Deutschland. 1000 Jahre Kunst und Geschichte“ denkt. Diese Arbeit, bereits mehrfach international (auch in Berlin) ausgestellt (und im Katalog der Ausstellung als bedeutendes Werk der polnischen Nachkriegskunst bezeichnet), wurde klammheimlich, nach der Eröffnung aus der Ausstellung entfernt, ohne den Künstler oder die Kuratorin Anda Rottenberg vorher zu informieren. Nachträglich vom Direktor Gereon Sievernich mit „Respekt vor den Opfern der Konzentrationslager und deren Nachfahren“ begründet, distanzierte sich selbst Hermann Simon, Direktor des Centrum Judaicum Berlin, dessen kritischer Brief zur Zensur führte: „ … jede Form von Zensur hätte ich strikt abgelehnt.“ Aber: „An meiner Kritik in der Sache ändert das nichts. Żmijewski hat hier eine Grenze überschritten, seine Arbeit ist respekt- und pietätlos.“ (http://www.welt.de/kultur/history/article13691556/Nacktes-Spiel-in-der-Gaskammer-zensiert.html)

Da kann man Herrn Simon schon zustimmen. Aber das ändert nichts an dem Skandal der Zensur. Eine der interessantesten Interpretationen zu diesem Vorgang stellt ein Blogeintrag von Florian Kemmelmeier (http://novinkiblog.wordpress.com/2012/01/11/kunst-und-gedachtnistheater/) dar. Kemmelmeier nimmt Bezug auf den in Berlin und Toronto lehrenden Soziologen Michal Bodemann und sein Buch „Gedächtnistheater. Die jüdische Gemeinschaft und ihre deutsche Erfindung“ von 1996. Er schreibt, dass Bodemanns Analyse einen Zusammenhang zwischen einer praktizierten Kultur von Gedenkzeremonien und ihrem identitätsstiftendem Beitrag zur„ideologischen Arbeit“ der Mehrheitsgesellschaft in der Bundesrepublik schaffe. Das Ziel dieser Arbeit bestehe darin, sich als Deutsche als fürsorgliche Beschützer einer besonders schwachen und schutzbedürftigen Minderheit darzustellen, und damit die Nachkriegs-Identität der „aus der Geschichte klug gewordenen Deutschen“ zu behaupten. Die Frage nach dem Verfallsdatum dieser relativ neuerworbenen Klugheit darf erlaubt sein, wenn man sich die unbestreitbar undemokratische Form der Zensur als gesellschaftliches Gestaltungsmittel an sich – und insbesondere von Erinnerungskultur vor Augen führt.
Wenn nun Wolfgang Müller schreibt, Żmijewski eröffne in seiner Arbeit eine „politische Grauzone, in der rechts und links ununterscheidbar wirken“, dann hat er damit möglicherweise sogar Recht. Aber wenn er dies mit der Frage verknüpft, ob der Künstler „vielleicht eher rechts“ sei, dann stellt sich der Verdacht ein, Müller möchte die oben erwähnte neudeutsche Klugheit für sich in Anspruch nehmen, beispielsweise anhand des Żmijewski Videos „80064“ aus dem Jahr 2004. Darin sieht man, wie der Künstler einen greisen, ehemaligen KZ-Häftling dazu überredet, sich die im KZ eintätowierte Häftlingsnummer nachstechen zu lassen.  „Ich habe den Mann genötigt und missbraucht. Ich wollte ihn noch mal zum Opfer machen, um diesen Moment zu beobachten, in dem er zustimmt, Opfer zu sein“ zitiert der Autor den Künstler, um daraus zu folgern, dass es wohl möglich sei, diese „coolen Sprüche des Künstlers von der Lust am Leiden anderer Menschen als hyperaffirmativ oder moralische Geste des Aufrüttelns zu deuten“, und betont den spekulativen Charakter der Arbeit. Der Gedankensprung des Autors von der Beobachtung der Zustimmung die Rolle des Opfers einzunehmen, von der der Künstler spricht, zum „Lust am Leiden“ ist bereits akrobatisch. Aber wieso dies „coole Sprüche“ seien und Hyperaffirmation darstellt, ist nicht nachvollziehbar. Da wird der Autor möglicherweise zum Opfer der eigenen Projektionsarbeit. 

Hätte er besser online nachgeschaut, denn bereits vor fünf Jahren hatte der Kollege Nikolai Franke genau hier, in der „von hundert“, genau diese Arbeit Żmijewskis anlässlich einer Ausstellung im nbk treffend analysiert (index.php?id=52): „Die scheinbare Affirmation eines Verbrechens, auch nur eines Missstandes, in der Kunst hält der Gesellschaft einen Spiegel vor, wenn sie einen Protest provoziert, der sich dann als falsch herausstellt, weil er als Kunst, also als öffentliches Bild angreift, was er in der Realität akzeptiert, und so ungewollt unter Beweis stellt, dass es ihm um die Abwehr, geradezu das Verbot des Bildes, also des Bewusstseins des Missstandes geht. Das Bewusstsein des Missstandes zu verdrängen schützt den Missstand.“ Und fast könnte man meinen, Franke spräche hier direkt Müllers Verwirrung an: „Żmijewski lässt seine Arbeit aussehen, als solle sie ein Bild für die Mechanismen der Unterordnung und davon geben, wie sie sich in der Wirklichkeit anfühlen. Viel höher aber ist hier das Gewicht des wirklichen Geschehens; es zum Bild zu instrumentalisieren, macht auch hier den eigentlichen Sinn der Arbeit aus. Zum Bild der Grausamkeit tritt ihre Wirklichkeit.“
Es scheint, als wolle Müller genau dieses Bild der Grausamkeit eben nicht sehen, oder er lasse sich durch deren oben erwähntes „Aussehen“ in die Irre führen. Dabei klingt Müller wie das kleinmütigere Echo Christoph Schlingensiefs, der auf Sierras heftig diskutierte Aktion „245 Kubikmeter“, die Luft in der Synagoge in Solms durch Autoabgase zu vergiften, und diese nur noch mit Gasmaske zugänglich zu machen, mit dem Vorschlag reagierte, die Abgase doch lieber in den Reichstag zu leiten (http://www.ksta.de/html/artikel/1141776725708.shtml), wenn er selbst die scheinbar heroischere Variante der Tätowierkunst vorbringt: „Wieso nicht das Wort ‚Unbestechlich‘ auf den ehemaligen Bundespräsidenten anbringen?“
Hier wird das Dilemma Müllers deutlich. Nehmen wir einmal an, dass Müller Wulff nicht als Opfer betrachtet, dann stellt sich doch die Frage, wie wirkungsvoll solch ein Angriff auf das Repräsentationszentrum der Macht wäre. Und wäre der Autor, in dem er die allgemeine Stimmung gegen Wulff ausbeutet, nicht genau das, was er Żmijewski vorwirft, und worin er die Ähnlichkeit zur NPD konstruiert, nämlich sehr populistisch?
Der Soziologe Dirk Baecker schrieb kürzlich im Tagesspiegel über „politisches Theater“, das Machthaber direkt kritisierte, dass es deren Bedeutungsmacht noch stärke, indem es eher einer Beruhigung diene, im Rahmen „eines kritischen Denkens bei durchaus einverstandenem Tun“. Und genau das ist es, was Żmijewski problematisiert: es geht nicht darum, was man sagt, es geht darum, was man tut, warum, mit welcher Legitimation und wer davon beeinflusst wird, wer dadurch zum Opfer gemacht wird. Noch einmal Baecker: „Jeder Machthaber kann nur die Macht ausüben, die diejenigen, die dieser Macht unterworfen sind, bereit sind zu akzeptieren. Das hängt davon ab, welche Ressourcen, guten Gründe oder auch physischen Zwangsmittel er zur Verfügung hat.“

Er führt aus: „Der eigentliche Witz wäre, den berechtigten negativen Begriff der Macht, also den einer Macht, die ausbeutet, unterdrückt und so weiter, mit einem positiven Begriff der Macht zu koppeln. Dann stellen sich Fragen danach, was eigentlich welche Leute mit welchen Ressourcen von Macht machen.“ (http://www.tagesspiegel.de/kultur/soziologie-der-
macht-wie-subversiv-ist-eigentlich-politisches-theater/6342270
-2.html)
Modellhaft erinnert dies an die Aktionsfelder, die Żmijewski in Arbeiten wie dem Re-enactment des Stanford-Prison-Experiments („Repetition“, 2005) oder seinem Documenta-12-
Beitrag „Them“ (2007) abstreckt, in denen er den Teilnehmern erlaubt, frei zu agieren und innerhalb dieser klar formulierten experimentellen Anordnungen beispielsweise soziale Konflikte auszutragen. Und wenn nun Müller von der Kunst eher eine „Forschung“ wünscht, die „das Unaussprechliche und Unübersetzbare gestaltet oder andeutet“, und der „eine Bewegung ins Offene“ gelingt, dann denkt er vielleicht eher an die „mystischen Wahrheiten“, die der „wahre Künstler“ laut Bruce Nauman enthüllt. Dies könnte man genauso gut von Żmijewski behaupten, wenn er unsichtbare, aber bequeme und alltäglich gelebte gesellschaftliche Normen und Arrangements als Ausdruck von Machtstrukturen sichtbar macht, und sei dies, wie bei „Repetition“, in der Form von wissenschaftlichen Szenarien zynischer Spiele, dem Betrug an deren Teilnehmern und der Instrumentalisierung von Menschen an sich.
So erscheinen die emotionalisierten Ausbrüche von Müller prototypisch für das, was Uwe Rada in der taz als „politisch korrekte Reflexkultur“ in Deutschland bezeichnete (http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2012%2F01%2F16%2Fa0126&cHash=9e75a56691), gerade aufgrund der emotionalen Komponente als überzeugender Beitrag zum Gedächtnistheater. Bei aller Zustimmung die er dafür kurzfristig erfahren mag, mit seiner Naivität wird sich Müller wohl eher selbst beschädigen, indem er sich die Grenzen zu eng steckt. Und dies ist zutiefst bedauerlich, weil gerade er als gesellschaftlich ambitionierter und öffentlich kommentierender Künstler zu denen gehört, die eigentlich dringend gebraucht werden, auch und gerade im Kontext der Biennale, und der Kritik, die sie dringend nötig hat. Aber Müller macht es sich hier zu einfach, und macht Debatten wie diese nötig, die aber von wesentlich wichtigeren Problemen der Biennale ablenken.
Denn deren grundlegendem Verständnis von Kunst als aktivem Teil einer politischen Kultur, die einem radikalen Prozess des Austauschs verpflichtet ist, kann man doch durchaus zustimmen. Auch wenn lokale Befindlichkeiten da schon einmal grundsätzlich in Frage gestellt werden und überdacht werden müssen. Und trotz der manchmal etwas schwerfällig oder umständlich wirkenden Versuche der Biennale-Kuratoren, eine kollektive kritische Auseinandersetzung mit diesen Strukturen sowie eine öffentliche Diskussion dazu anzuschieben. Teilweise wird diese ja (in mehr oder weniger begrenztem Rahmen) schon produktiv geführt, wie im Kontext von „Haben und Brauchen“, um nur das prominenteste Beispiel zu nennen.
Aber die drängenderen Fragen, die im Rahmen der 7. Berlin Biennale gestellt werden, entstehen aus dem Vorschlag, Kunst nicht nur zu politisieren, sondern auch in einem gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang in die Pflicht zu nehmen. Was passiert, wenn man die Autonomie der Kunst aufgibt? Wie soll das gehen? Schüttet man da nicht das Kind mit dem Bade aus? Welche Konsequenzen ergeben sich, wenn ästhetische Fragen grundsätzlich moralisch-ethische werden? Oder sind sie es nicht schon längst?
Der vorab veröffentlichte BB7-Reader „Forget Fear“ lässt immerhin erahnen, wohin die Reise gehen soll. Er mahnt den langen, mühsamen Weg aus der bürgerlichen Bigotterie an und fordert dazu auf die tatsächliche Distanz bzw. Nähe des Einzelnen zur Macht neu zu betrachten. Ergeben sich hier nicht wichtigere, lohnendere Fragen, denen Kulturschaffende sich heute und hier stellen sollten?
Konzentrieren wir uns doch auf die Biennale selbst, Herr Müller, ziehen keine voreiligen Schlüsse und beurteilen sie dann.    

7. Berlin Biennale, KW Institute for Contemporary Art, 
Auguststraße 69, Deutschlandhaus, Stresemannstraße 90, 
St. Elisabeth-Kirche, Invalidenstraße 3 und Akademie der Künste, Pariser Platz 4, 27. 4.–1.7. 2012

Birkenwald, Referenz auf das Berlin-Biennale-Projekt von Lukasz Surowiec „Berlin-Birkenau“ (© )
Artur Żmijewski „The Game of Tag“ (Fangen), 1999, Videostill, Courtesy der Künstler und Peter Kilchmann Galerie, Zürich (© )
Artur Żmijewski „80064“, 2004, Videostill, Courtesy der Künstler und Foksal Gallery Foundation, Warschau (© )
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