Sehnsucht nach Wahrhaftigkeit

Brutalismus-Symposium in der Akademie der Künste, Berlin

2012:Aug // Stephanie Kloss

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08-2012












Der Kenntnisstand der Baugeschichte zur Nachkriegsmoderne der 1950er-Jahre ist groß. Nun zeichnet sich parallel zur fortwährenden Historisierung der jüngeren Geschichte und in Abgrenzung zu Formalismus und Strukturalismus ein Forschungsbedarf zum Thema „Brutalismus“ ab. Das zweitägige Symposium nach einer Idee des leider verstorbenen Architektursoziologen Werner Sewing fand Mitte Mai mit zahlreichen Referenten in der Akademie der Künste statt.                    Das Symposium analysierte in Beiträgen berühmter Architekturtheoretiker den Forschungsstand. Ein wichtiges Anliegen war es, Kriterien und Maßstäbe zur Definition und Bewertung der brutalistischen Architektur zu erarbeiten, mit dem Ziel, noch rechtzeitig eine sensible Wahrnehmung für diese bedrohte Baukultur zu etablieren.
Der Begriff „Brutalismus“ wird auf die Architekten Alison und Peter Smithson und den Kritiker Reyner Baanham zurückgeführt, der 1955 mit einem Aufsatz in der „Architectural Review“ den Begriff lancierte und mit seinem Buch „New Brutalism“ (1966) einen großen publizistischen Erfolg hatte. Die Smithsons wandten sich im Generationenkonflikt der 1950er-Jahre gegen die formale Erstarrung der Vorkriegsmoderne mit der Absicht, dass das Bauen wieder künstlerisch, unmittelbar, echt im Umgang mit Material und Konstruktion sein sollte. Es kursierten Mythen, wie der Begriff Brutalismus überhaupt in Umlauf kam: Was war mit dem schwedischen Architekten Hans Asplund, den die Engländer besucht hatten und der schon vorher von Brutalismus sprach? Wie ist die Geschichte von der Mischung von Peter Smithsons Spitzname „Brutus“ und dem Vornamen „Alison“ zu bewerten? Welche Rolle spielt das französische Wort „brut“ als Charakterisierung von Beton?  Ein Begriff wie „béton brut“ meint nichts anderes, als dass der Beton materialgerecht eingesetzt wird – das deutsche „brutal“ und der Begriff „Brutalismus“ sind mit ganz anderen, negativen Werten besetzt. Heute wird der Begriff zum Schimpfwort und gibt Anlass zu ärgerlicher Verwirrung. Und mit dieser Verwirrung hatten die Referenten ihre liebe Not.

Gleich zu Anfang des Symposiums kritisiert der Kunst- und Architekturhistoriker Werner Oechslin (ETH Zürich) den ISMUS: Das Verhältnis zwischen Geschichte und Gegenwart und Geschichtsschreibung, zwischen Kunst und Architektur verändere sich nun mal, und zunächst müsse es für den Brutalismus darum gehen, einfach mal etwas Ordnung in seine eigene Geschichte zu bringen. Banhams Brutalismus-Buch-Untertitel: „Ethik und Ästhetik“ wären schließlich Voraussetzung für jeden Architekten, somit absolut nichts Charakteristisches. Technik schaffe niemals Stil, sondern nur der künstlerische Umgang damit. Das Label Brutalismus will nach den Katastrophen und Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs eine neue Geschichte schreiben. Schluss mit Form follows function. Everyday statt High Culture. Die Moderne sei aber laut Pevsners „Pioneers of Modern Design“ längst abgeschlossen. Die Erinnerbarkeit als Bild vermenge nun Struktur und Material. Deshalb zeigte Oechslin auch betont bewusst kein Bildmaterial.
Stanislaus von Moos (Yale University) präsentierte hingegen viele Bilder und zog die Malerei nach dem 2. Weltkrieg zur Begriffsklärung heran: erst die Ruinen mit ihren skulptural bizarren Formen, in denen Trümmerfrauen Brote backten, dann die Bunker als lebenserhaltende Gebäudeplastiken. Venturis Haus mit großem Schornstein von 1964 für seine Mutter: der warme Herd, die Architektur als Skulptur, als Kunst, als antikommunistisches Statement im Kalten Krieg. Darauf folgte Richard Hamiltons Collage: „Just What Is It That Makes Today’s Homes So Different, So Appealing?“ (1956) aus der legendären Ausstellung „This is tomorrow“ in der Whitechapel Gallery in London. Vielen Kunsthistorikern gilt es als erstes Werk der Pop Art. James Stirling rief dort das Ende der Skulptur durch die Architektur aus: Architektur sei Skulptur, sie kannibalisiere die Skulptur und schlucke sie. Hatte er damals schon seine Tortenbauten der Postmoderne im Sinn?                                                                                              

Pop Art, Brutalismus, vielleicht Betonismus, die Einordnung bleibt schwierig.
Auch Kenneth Frampton (Columbia University) erwähnte diese Ausstellung. Es war das letzte gemeinsame Ereignis der „Independent Group“, ein von befreundeten Künstlern gebildeter Kreis, der das Phänomen der Massenmedien und ihre Beziehung zur zeitgenössischen Kunst diskutierte. Die Smithsons hatten schon das „Team 10“ gegründet, eine Architektengruppe „junger Rebellen“, die aus dem Congrès International d’Architecture Moderne (CIAM) hervorging und die dogmatischen Vertreter der klassischen Moderne, vorneweg Le Corbusier, kritisierte. Ein zentraler Kritikpunkt war die Funktionstrennung von Wohnen, Arbeiten, Freizeit und Verkehr im Städtebau. Dem wurde eine Hierarchisierung in Haus, Straße, Stadtviertel und Stadt entgegengestellt. Im Laufe der Zeit experimentierten die Mitglieder mit neuartigen Raumsystemen von Gebäuden und Stadtvierteln.  

Brutalismus ist Städteplanung, lautete folgerichtig die These des nächsten Referenten Dirk van den Heuvel (TU Delft). Er sei keine revolutionäre, sondern eine evolutionäre Entwicklung. „Smithson Time“, ein Interview aus dem Jahr 2000 mit Peter Smithson und Hans Ulrich Obrist wird zitiert.  Danach werden „brutalistische“ Gebäude von unterschiedlichen Referenten in Ländern wie Tschechien, Italien, Deutschland, Schweiz, Japan oder von der interessanten Gruppe „atbat“ im Maghreb etc. vorgestellt. In den Panels blieb der Begriff weiter diffus.
Allen Referenten gemeinsam ist jedoch das Bestreben, diese in der Öffentlichkeit als hässlich betrachteten Gebäude denkmalschutzgerecht zu erhalten. Viele befinden sich heute in einem bedauernswerten Zustand, oft schon zum Abriss preisgegeben wie z. B. der Komplex „Robin Hood Gardens“. Der poetische Titel führt im Londoner Norden direkt zu zwei grauen Wohnblöcken aus Beton. Man muss schon genau hinschauen, um in den beiden verwahrlosten Gebäuden ein Stück Architekturgeschichte von Alison und Peter Smithson zu erkennen: „Robin Hood bestahl die Reichen und beschenkte die Armen, aber ich bin mir sicher, dass er nie vorgeschlagen hat, die Armen danach im Namen der modernen Architektur wie Batteriehühner in Sozialwohnungsblöcke einzupferchen, bis sie schließlich in einem einsamen Treppenhaus erstochen würden“, polemisierte eine Befürworterin des Abrisses. Eine Kampagne zur Rettung des Smithson-Baus wurde initiiert, unterstützt von prominenten Architekten wie Zaha Hadid und Richard Rogers. Leider ohne Erfolg.
„Architekturen zwischen Alltag, Poesie und Theorie“ hieß der Untertitel des Symposiums.
Skulpturale Betongebilde werden auch in Berlin durch vorgeklebte Investorenscheußlichkeiten ersetzt. Die St. Agnes Kirche in Kreuzberg von Düttmann, ein Beispiel brutalistischer Achitektur in Berlin, bleibt uns zum Glück dank Johann König erhalten.   

Brutalismus, Symposium in der Akademie der Künste,
Hanseatenweg 10, 10557 Berlin, 10–11.5.2012

Ministerium für Straßenbau von Georgien, Tiflis, Architektur: George Chakhava und Zurab Jalaghania (© )
St. Agnes Kirche, Architektur: Werner Düttmann (© Foto: Regani (Wikipedia))
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