Im Bann des falschen Zauberers

/ Merlin Carpenter bei MD 72

2011:May // Barbara Buchmaier und Christine Woditschka

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03-2011
















Wir spielen Karten mit Merlin, mit seinen Karten, einem Gadget zur Einzelausstellung „Heroes“ bei MD 72. Mau-Mau? Nein, wir spielen Krieg. Wer die höhere Zahl legt, bekommt beide Karten. Dann Schafkopf, Poker. Eiskalte Kalkulation ist hier die Basis, nicht scharfsinniges Kombinieren. Wir wissen, nur einer wird das Spiel gewinnen. 52er Blatt, 2 Joker. Der Hofnarr und Held für einen Tag – hier ist es odd-eyed David Bowie. Sein Song „Heroes“ (1977) lief auch während der Performance Carpenters am Rosa-Luxemburg-Denkmal im Tiergarten. Ach ja, Rosa Luxemburg…, die ist ebenso im Spiel. Und mit ihr war es ihr Text „Die proletarische Frau“ (1914). Er kam vom Band während der Performance, die so zur Lesung wurde.

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„I am the giggling nobgoblin, with one eye brown, one eye blue“, schreibt Merlin Carpenter in seinem schalkhaft ulkigen Rätselgedicht, in dem in der Ausstellung und online bereitstehenden Pressetext. Der kichernde Kobold der besseren Leute mit Iris-Heterochromie? „I’m a laughing gnome and you can’t catch me.“ (David Bowie, 1967)

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Mit dieser Frage fängt alles an: „WHO AM I?“. Charles Manson, Jolyon, der Zimmermann, Sohn, der fette Loser, der Mann ohne Gurke? Wer ist diese Person? Nestbeschmutzer? „An utter swine“? „PiG“ (Susan Atkins, 08. Aug. 1968)? Ich tötete und beschrieb Bilder mit Blut.

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„You’re only as weird as the person you feel, or the banana you peel. Or both.“ (Merlin Carpenter, ebd.): Eine Readymade-Persönlichkeit, eine Style-Identität, auf die alles projizierbar ist und die alles projiziert. Ein aufgeladener Fetisch. Erzengel, glamouröser Satan, Luke Skywalker… Als Hiob teilte er uns bereits 2008 mit: …it is our group […] on an axis Berlin-London-York, the gallery blocks Reena Spaulings/Greene Naftali and Nagel/Buchholz, and the complementary inflight magazines Artforum and Texte zur Kunst that this new power system is delineated. We are the Clement Greenbergs of our own meta-management operations, our secret political groupings become sinister and paranoid strategy planning meetings to exclude anyone younger than ourselves. (Merlin Carpenter: „The Tail that Wags the Dog“, 2008, www.merlincarpenter.com/tail)

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Die mythische Existenz und das Powersystem speisen ihren Glamour aus der Unzugänglichkeit. Ganz nach dem Motto: Kryptisierung gegen Banalisierung. Die Angst gilt dabei wohl weniger der enthüllenden und erhellenden Entschlüsselung, als der Leichenfledderei, der Ausplünderung auf dem Schlachtfeld. Kannibalismus – Zombies brauchen Frischfleisch.

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Fast illustrativ scheint sich der Künstler bei MD 72 an dieses Rätselspiel-Prinzip zu halten. In assoziativer Manier, die Genialität behauptet, wirft er das Kartenspiel, auf dem die Porträts der Helden gedruckt sind, und den inhaltlich korrespondierenden Gedichttext in die Runde. Pro Strophe ein Hero.

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Ein virtuoses Spiel mit oberflächlichen Referenzen entspinnt sich. Ein „Must“ oder einfach Mist? Frauen, die als Mann auftreten (George Sand), der schwarze Schwermetaller (Katon W. de Pena), Randy Newman und die zu kleine Kate Moss, Fat Loser (Craig Scanlon), Widerstandskämpfer (Auguste Blanqui), glamourös gescheitert? Stefano Pilati mag ausnahmsweise auch Frauen in Männerklamotten, Paul Drapers Ruhm steigt auf wie eine dem zerplatzenden Untergang geweihte Seifenblase, die Kriegerin Boadicea verlor die Schlacht. FAIL FOREVER. Figuren, die sich einsetzen, die durch Verweigerung Kraft evozieren. Ja – das Leben einsetzen – dieses Spiel hieße Risiko, wären die Helden nicht zwischen deutsche Anführungszeichen gesetzt („Heroes“).

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Am Ende der Performance am Rosa-Luxemburg-Denkmal: Helden im Kanal versenkt, nur unser Matador macht weiter und lädt in die Beletage der oben genannten, angesagten Kunstinstitution: Glamour und Kunst, das alte Paar. Der lange Flur wird zum Laufsteg, zur Bühne – man drängt sich, wird Statist neben bezahltem Fake-Sicherheitspersonal. “Traditional sites of display such as galleries and kunsthalles are treated as sites of primary production – theatrical stages with players, props, and gestures wherein rehearsal begins only once the curtain has risen.” (Caroline Busta in: Artforum, Dezember 2007, über Carpenter und seine Ausstellung bei Reena Spaulings ). Die echten Ölbilder, die ausgewählten Journalisten in der ersten Presseankündigung und daraufhin auch in der BZ versprochen wurden, sind für die Besucher der Eröffnung nicht zu sehen. Angeblich hängen sie weggeschlossen hinter den drei bewachten Türen, dort, wo sonst die Ausstellungen sind. Auf Anschlägen an den Türen steht: „Eintritt € 5,000“ [sic]. Im Büro gibt es ein Kreditkartenlesegerät.

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Abspeisung? Spott? Ottonormalverbraucher sehen die Bilder nur über Werbematerial. Und das gilt bis zum Ende der Schau. Allein die zahlungsfähigen Kunden bekommen die Originale zu Gesicht, sogar in persönlicher Begleitung Carpenters. Die 5.000,00 Euro werden bei Nichtgefallen nicht zurückgezahlt, funktionieren also als Anzahlung. Angeheizter Liebesreflex generiert Kauflust. Auf ordinärste und zynische Weise wird uns dieser Wertschöpfungsritus vorgeführt. „Pantomime der Unmöglichkeit von Protest“, nannte Mike Sperlinger diese Art der Inszenierung treffend in seinem Text „Holy Terror“ über Carpenters Ausstellung „The Opening“ in London (siehe: Texte zur Kunst, Heft 74, Juni 2009).

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Und war denn jemand jetzt schon drin? Alles, was wir wissen, sind Gerüchte: EUR 20.000,00 Verkaufspreis pro Bild; die Motive der Ölbilder stimmen mit denen der Spielkarten überein. Ist MD 72 jetzt also doch eine Galerie? Virtuoses Turnen am Gerüchtegerüst. Clapping Hands.

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Zynisch oder Ausweg? Aber war da nicht noch was, Herr Carpenter? [Psychoanlaysis] is not about uncovering key events and thereby understanding yourself in order to perform better. Its contribution is to speak what is currently actively repressed in order to inaugurate a struggle, through a specific transference with the analyst. And not make you happy, prepare you for work or make you better. The result would be a non-result, a non-market discourse. Not transparency of content, but system transparency? Not networks but what I tentatively would call “affinity networks”, against co-opted collectives or friendships. How to speak the unwritten: “shatter discourse in order to bring forth speech” (Lacan). (Merlin Carpenter: “The Tail that Wags the Dog”, 2008, www.merlincarpenter.com/tail)

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Hier wackelt nicht der Schwanz mit dem Hund, hier beißt sich der Hund in den Schwanz. „Affinity networks“, verstanden als auf Anziehung und Wesensverwandschaft basierende Beziehungen, und „co-opted collectives or friendships“ als strategische Allianzen, sind und bleiben ununterscheidbar. Was da eben noch für unsere Ohren euphorisch und wie eine reale Alternative klang, verliert sich in der Praxis. Denn der Diskurs auf dem Markt ist die Sprache der Strategen, und die sind auch in „echten“ Freundschaften omnipräsent. Es bleibt also die Frage nach demjenigen, der den Diskurs zerstören kann. Als einziger Autor bleibt Merlin, der den Trumpf nie aus der Hand gegeben hat. Er ist der Gewinner. Als kühner Ikarus ist er auf dem Weg zur Sonne.

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“Some conspirators dance closer than others.” (Julian Assange in: “State and Terrorist Conspiracies”, 2006)

Merlin Carpenter „Heroes“, MD 72, Mehringdamm 72, 13. 2.–26. 03. 2011

Merlin Carpenter, Ausstellungsansicht md 72 (© Barbara Buchmaier)
Merlin Carpenter „Heroes“, 2011, Kartenspiel, erschienen bei Walther König (© Galerie Neu, Foto: Barbara Buchmaier)
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