Andrzej Tobis

Polnisches Institut

2008:Jul // Stefanie Peter

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07-2008
















Im Jahr 2007 hat Andrzej Tobis aus Kattowitz seine Leidenschaft fürs Jagen und Sammeln entdeckt. Bewaffnet mit einer digitalen Kamera durchstreift er das oberschlesische Industriegebiet, seine Brachen, Zwischenzonen und ‚terrains vagues‘, immer auf der Suche nach Trophäen. Kommt ihm eine vor die Linse, wird sie fotografiert, entwickelt, abgezogen und mit deutschen und polnischen Beschriftungen in in einem Schaukasten ausgestellt. Trophäe kann im Grunde alles sein: Menschen, Situationen, Gegenstände oder Orte. Sie muss sich nur eignen, eines von mehreren Tausenden Stichwörtern im „Bildwörterbuch Deutsch und Polnisch“ zu illustrieren. Dieses kleine, längst vergessene Nachschlage­werk erschien 1954 in Leipzig und sollte damals die linien­treue Verständigung zwischen den Bürgern der DDR und ihres östlichen Nachbarlands Polen gewährleisten. Es enthält zahlreiche in Schwarzweiß und Farbe gezeichnete Bildtafeln. Mit dem universellen Anspruch einer Enzyklopädie werden darin alle Lebensbereiche der sozialistischen Ge­sellschaft von den „Parteien und Organisationen“ über „Volksbildung“, „Land- und Forstwirtschaft“, „Körperkultur“, „Tiere“, „Raum, Zahl, Zeit“, etc. erfasst und fügen sich so zu einem Idealbild des sozialistischen „Neuen Menschens“, seiner Umwelt, Sprache und Ästhetik. Nun ist aber das Inventar dieses Büchleins längst von der Wirklichkeit überholt worden. Wörter wie „Stahlmatratze“, „Blech­mantel“, „Handbesen“, „Vorschlaghammer“, „Wahlhelfer“, „Rutsch­bahn“, „Rote Fahne“ mögen zwar vereinzelt noch Bestandteil unseres Sprachregisters sein, die Vorstellungen aber, die wir mit diesen Begriffen verbinden, sind längst nicht mehr dieselben wie in den fünfziger Jahren. So kam Andrzej Tobis auf die Idee, das Büchlein zu aktualisieren, hinauszugehen, um neue Bilder zu suchen, die er mit der Kamera einfangen und dann den Wörtern zuordnen kann. Ein Lebensthema, ein Langzeitprojekt, dessen Abschluss nicht in Sicht ist. Inzwischen sind über zweihundert Fotografien zusammen gekommen, von denen 26 unter dem Titel „A–Z. Schaukästen als Bildungseinrichtung“ im Ausstellungsraum des Polnischen Instituts Berlin zu sehen sind – ein Highlight unter den vielen kleinen Satelliten im Programm der diesjährigen Berlin Biennale. Kuratiert hat die Ausstellung Sebastian Cichocki, der 2007 den polnischen Pavillon in Venedig mit dem verdrehten schwarzen Stahlgerüst von Monika Sosnowska fast aus den Nähten platzen ließ, seit kurzem am neu entstehenden „Museum für moderne Kunst“ in Warschau arbeitet und davor einige Jahre Leiter der Galerie für zeitgenössische Kunst „Kronika“ in der schrumpfenden oberschlesischen Stadt Bytom war. Dort wurde Cichocki auf Andrzej Tobis aufmerksam und richtete dem Ex-Maler eine erste größere Schau aus. Als „Konzeptkunst mit menschlichem Antlitz“ bezeichnet der Künstler sein Vorhaben und hat dabei vielleicht auch den großen polnischen Konzeptualisten Edward Krasinski vor Augen, der über viele Jahrzehnte seine Umwelt mit einem blauen Scotch-Klebeband markierte. Dass sich der Witz, der in einem solchen Konzept steckt, auch in jeder seiner Fotografien wiederfindet, liegt nicht nur daran, dass Tobis so ein begnadeter Jäger-Fotograf ist. Er beweist auch großes Gespür, wenn es darum geht, ein Wort, einen Begriff, mit einem passenden Bild zu kombinieren. Tobis findet die Begriffe ja gleichsam in ihrer „natürlichen Umgebung“ vor. Anstatt sie aber aus ihrem Kontext heraus zu lösen, indem er die Aufnahme beschneidet (was sich ja für Illustrationszwecke durchaus anböte) setzt er die Pointe erst durch die Bildunterschrift. Als Reporter möchte er nicht bezeichnet werden, obwohl er die portraitierten Menschen häufig per­sönlich kennenlernt und in seinem Blog „Das Letzte Wort“ zu fast jeden Bild eine passende Anekdote parathat. Ihn interessiert allein die sichtbare Seite der Welt, nicht die Geschichten dahinter. In der Gesamtschau ergeben die Resultate der fotografischen Streifzüge dieses Künstlers einen eigenartigen Kosmos von Motiven, eine Erzählung über die Veränderungen einer großen Industrieregion (Oberschlesien) und den Wandel eines gesellschaftlichen, ökonomischen und sprachlichen Systems. Die Arbeiten sind manchmal melancholisch, doch dank ihrer subversiven Note weit entfernt vom Kitsch und der Nostalgie, die anderen Werken auf dem Feld von Memoria, Archiv und „Deep Storage“ anhaftet.

Andrzej Tobis „A–Z (Schaukästen als Bildungseinrichtung)“
Galerie des Polnischen Instituts Berlin
Burgstraße 27
3.4.–15.6.2008
Andrzej Tobis „Der Traktor“ (© www.ultramaryna.pl/ostatnieslowo)
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