The Great Repair

Akademie der Künste

2023:November // Joachim Bessing

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11-2023


Macht ganz, was Euch kaputt macht!

Man muss nicht viel verstehen vom Ausstellungsmachen, um zu wissen, dass es aufgrund einer Vielzahl von entscheidenden Faktoren selten nur, sehr selten überhaupt gelingen kann, eine Ausstellung genau dann zu eröffnen, wenn sie den sogenannten Nerv treffen kann. The Great Repair , bis zum 14. Januar des nächsten Jahres in der Akademie der Künste zu besuchen, ist eines dieser exotischen Exemplare.

Die beste Installation in dieser sehr guten Ausstellung befindet sich derweil nicht in dem immer wieder aufs neue überzeugenden Ausstellungsgebäude am Rande des Berliner Hansaviertels, sondern auf dessen Vorplatz: Dort mauerten Kathrin Dörfler, Julia Ohlmeyer und Lidia Atanasova eine schlichte Sitzbank aus Ziegelsteinen, die sich geschmeidig in den historischen Kontext der Architektur von Sabine Schumann und Werner Düttmann einfügt. Frau Ohlmeyer ist Maurerin, Frau Dörfler ist Professorin für „Digital Fabrication“ an der Technischen Universität München, wo auch Atanasova arbeitet. Der geschlechtslose Assistent der drei hat keinen Namen. Seine Typenbezeichnung lautet Robot AB, die Firma Robotnik. Und mit zu einem Drittel traditionell handwerklich zu Werke gehend, zu einem Drittel akademisch und im Übrigen dann technologisch, ist das Gesamtkonzept dieser Schau so umfassend wie bündig vorgestellt, bevor man auch nur die Tür zur Akademie durchschritten hätte, die übrigens – no pun intended – am Tag der Vorbesichtigung, als das Fundament der Sitzbank gerade noch im Werden begriffen war, gerade tatsächlich repariert wurde von den allzu menschlichen Handwerkern eines Berliner Handwerksbetriebes.

Im Inneren verteilen sich die zu Installationsinseln zusammengestellten Ausstellungsstücke auf drei Hallen. Im gegenwärtigen Jargon handelt es sich freilich um Positionen oder um Interventionen, aber wenn man diese Begrifflichkeiten fortließe, ändert das faktisch nichts. Denn beinahe jede dieser Inseln hat etwas Interessantes zu bieten. Und wo es von der gedanklichen Vorleistung her nicht ganz so interessant scheint, nimmt einen immer die Ästhetik ein. The Great Repair ist visually pleasing. Nur wer eine unüberwindliche Abneigung gegen säuberlich in Vitrinen Arrangiertes, grafisch appetitlich an die Wände Gepinntes, gegen dekorativ über dem Stirnholzparkett arrangierte Artefakte und Faksimiles allgemein verspürt, dürfte sich dem Reiz dieser Ausstellung entziehen können.
Auch Freunde des Humors werden fündig bei den Arbeiten des 2019 verstorbenen Fotografen Michael Wolf, der in asiatischen Großstädten die improvisierten Stühle und andere Alltagsobjekte der Bewohner dokumentierte. Teilweise erinnern diese Behelfsmöbel, -werkzeuge und -waffen an einen der Sternschnuppentrends des 21. Jahrhunderts, das sogenannte Frankenfurniture von Martino Gamper et al.: Also um Möbelstücke, die aus Fragmenten diverser Möbelstücke aus diversen Stilepochen zusammengesetzt wurden, nach dem unter Tierpräparatoren geläufigen Prinzip sogenannter Wolpertinger.

Die Präsentation in den klassischen Räumen, üppig um einen vom Regen tropfnassen, bodentief verglasten Patio gelegen, tut ein Übriges, um im Angesicht der Notbehelfe weniger gut gestellter Klassen, einen ästhetischen Snack-Hunger geweckt zu empfinden – es gibt ja Mitglieder der Berliner Kunst-Society, die wohnen privat nicht unweit des Düttmannschen Akademiegebäudes in einem recht ähnlichen Setting.

Wie skrupulös, und hier durchaus mit der Arbeit der künstlerischen Restauration vergleichbar, bei der Renovierung und Instandsetzung unserer neuzeitlichen Denkmäler zu Werke geschritten werden kann, führen die Einblicke in die Prozesse von Brenner Architekten vor Augen. Das Büro war beispielsweise auch 2009 für die Aufarbeitung der Kunstakademie selbst verantwortlich, in der nun wiederum eine kleine Dokumentation der Arbeitsschritte gezeigt werden kann. Auf elegante, weil selbstreferenzielle Weise wird hier das große Thema der Ausstellung mit beinahe musikalischen Mitteln eingeführt: Wir haben von allem längst genug, wir müssen den Bestand lediglich an unsere veränderten Bedürfnisse anpassen.

Etwas bemüht wirkt die Bemerkung eines Kurators, dass es sich bei der Holzkonstruktion eines mit Topinambur bepflanzten Folientunnels restlos um wiederverwendete Teile der vergangenen Ausstellung über die Architektur des Nationalsozialismus handelt. Man geht durch den Tunnel und – ja: Es ist Holz. Aber nun, durch die Bemerkung wird es moralisch aufgeladen. Brings us to the fact: Wer etwas gegen die Grey Energy unternehmen will, wie man die von der Bauindustrie verursachte Umweltzerstörung jetzt nennt – denn immerhin werden an die 50% der schädlichen CO2-Belastung durch die Baubranche, insbesondere durch das Betonieren verursacht –, was ist denn überhaupt los mit dem analog als White Energy zu bezeichenden Energieaufwand, der weltweit zur Veranstaltung von Ausstellungen, zur Produktion von Kunst benötigt wird? Ist diese White Energy überflüssig? Wenn nicht ganz, dann in Teilen? Kann sie weggelassen werden, reduziert, vermindert? Wer kümmert sich darum? Was kann jeder einzelne Künstler, jeder Galerist, Sammler auch: Was können wir tun? Brauchen wir ein Kunstmoratorium?

Mit Recyclen und Reparieren allein wird es beim Great Repair der Welt natürlich nicht getan sein. Einen anderen recht bald wieder abgetauchten Trend mit dem Oberbegriff „Hack The Building“ hat man ja noch vage vor Augen. Damals, um 2014, führte der Büroflächenleerstand nach der Weltwirtschaftskrise zu einer Aufbruchstimmung à la: Wir könnten doch aus den alten Bürohäusern der sechziger und siebziger Jahre lauter Großraumbüroflächen gewinnen. Mittlerweile, seit Covid-19, haben wir andere Sorgen. Wer Büroflächenvermieter ist, beispielsweise: Woher kriege ich meine Mieter?

Ob sich das spätkapitalistische System indes tatsächlich reparieren lässt oder ob es sich, um hier bei den Autobauern anzuleihen: um ein Montagsmodell handelt, dürfte zu den wichtigen Fragen gehören, die The Great Repair aufwirft. Da es sich um eine Ausstellung handelt, die in Kooperation von Arch+ mit der Akademie der Künste Berlin mit dem Department für Geografie und Raumplanung der Universität Luxemburg und der ETH Zürich handelt, untermalt diese politische Fragestellung die architektonischen Positionen. Der Prototyp des mauernden Roboters vor der ­Akademietür wurde an der ETH entwickelt, die eine exzellente Abteilung für Robotik ermöglicht. Aber was konkret lässt sich an unserer Welt mit Zukunftstechnik reparieren, wenn in derselben Zeit und Sphäre noch immer die Kriege mit der Kalaschnikov entschieden werden?

Rührend mit den Mitteln der Architektur wirkt hier die Dokumentation einer älteren Arbeit von Manuel Herz Architects: ein Mahnmal für die Opfer des Judenmordes von Babyn Jar. Das buchformige Holzgebäude einer Synagoge, das sich auch öffnen und schließen lässt wie ein Buch, steht seit April 2021 in unmittelbarer Nähe der Schlucht von ­Babyn Jar. Beziehungsweise: Mittlerweile weiß man es nicht mehr so genau, denn der Aufstellungsort der Installation von Manuel Herz befindet sich ebenfalls unweit von Kiew. Seine Synagoge wurde absichtlich so konstruiert, dass sie in einem hohen Maße gewartet werden soll. Das Bauwerk ist zwar für die Ewigkeit geplant, von seinem Wesen her aber heavy maintenance. Diese Beschäftigung mit dem Mahnmal kann derzeit aus den sattsam bekannten Gründen nicht mehr gewährleistet werden. Ob es einst Reparatur bedarf oder von Neuem errichtet werden müsste, ja: Ob man dann vielleicht noch andere Mahnmale brauchen wird – es ist nicht vorhersagbar.

Am Ausgang der Ausstellung hängen nicht bloß deswegen zwei formschöne und in Rottönen bedruckte Blöcke mit Abreißpamphleten. Gefordert wird ein „Abrissmoratorium“. Es soll, idealerweise, überhaupt nichts Neues mehr gebaut werden. Als simple, aber krass wirksame Visualisierung des großen Problems, auf das The Great Repair es schafft aufmerksam zu machen, ist an dieser Wand neben den Abrissmoratoriumsblöcken ein Umriss des Berliner Stadtgebietes aufschabloniert. In der Mitte dieses Umrisses prangt ein fetter grauer Punkt. Der diesen Teil der Führung moderierende Architekt hatte seine Studenten gebeten, sämtliche im Stadtgebiet dem Parken von Kraftfahrzeugen gewidmeten Flächen zu diesem grauen Punkt zusammenzucollagieren. Maßstabsgetreu selbstverständlich. Der Punkt wurde im Endeffekt so groß, dass er in dieser Grafik die historische Mitte der Stadt überlappend verdeckt.

Das ist der Moment, da sich eine Frau aus dem Tross der ersten Besucher meldet und eine Frage stellt: „Wo sollen die Autos denn dann hin?“ Die Antwort kann man sich denken. Die Miene der Frau freilich auch.
Es bleibt also spannend, wie es heutzutage heißt.


The Great Repair, eine Ausstellung der Arch+ in Kooperation mit dem Departement für Architektur, ETH Zürich; der Faculté des Sciences Humaines, Universität Luxemburg und der Akademie der Künste, Hanseatenweg 10, 10557 Berlin,
14. 10. 2023–14.1. 2024
The Great Repair, Ausstellungsansicht, Vordergrund: Assemble, Methods of Assembly, seit 2020. Foto: David von Becker
The Great Repair, Ausstellungsansicht, Lidia Atanasova/Kathrin Dörfler/Julia Ohlmeyer, Diversifying Construction, 2022–2023. Foto: David von Becker