Vanity Fairytales

Das fiele mir im Raum nicht ein!

2024:Mai // Elke Bohn

Startseite > 05-2024 > Vanity Fairytales

05-2024

Sam Bardaouil und Till Fellrath, die mit wesentlich mehr als mit lediglich oder gar nur an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit einer der glücklicheren Glücksfälle für Berlin in den vergangenen Jahren sind und waren, schenken der Stadt einen vierten Teil ihrer per se Trilogie von „The Architecture of“.
Diese Ausgabe, oder Zugabe, startet en gros im eigenen Laden, dem Hamburger Bahnhof. Dort gaben sie die Halle in die Hände einer Premiere; eine Kollaboration zwischen Rosa Barba und Jan Werner, in der Auditives und Visuelles versuchen, beides zu sein und eins zu werden.
Jan Werner hat den Raumklang von Rosa Barbas Ausstellung in Rotterdam aufgenommen. Dann wurde mit diesem Sound, und dem, mit dem er in Venedig im größeren Bild des deutschen Pavillons zu hören war, eine Lichtanlage aktiviert, durch deren Zutun nun Film belichtet ward. Raum wird und ist Klang und Körper, Ton wird Bild, Zufall ist Material, Technik übersetzt, Geste ist Algorithmus. Aus den typisch skulptural verteilten Schallwandlern dringt der Raum in Rotterdam, gemischt mit Venedig; die Projektoren lassen das Licht davon und dazu in die Welt. Auch sie verstecken ihr technisches Wesen nicht und beschränken sich nicht auf etwaige Leinwände, sondern bespielen Decke, Wände und Boden. Ohne Präferenz.
Auch die Neue Nationalgalerie ist Teil der Schau, genau. Dort bekommt keine Geringere als Rachel Whiteread die große Bühne. Mit ihrem Beitrag sendet sie eine Hommage an den Autor dieses Museums, indem sie die Modelle, die für den Museumsbau entworfen von Ludwig the Great, vorab gebaut worden sind, in der für sie typischen Formensprache erstellt. Neu in ihrem Œuvre ist, dass sie sich eines 3-D-Druckers bedient und diese Werke an ihren Kanten das gesamte Lichtspektrum reflektieren. So sehen wir, besonders früh und ab dem Nachmittag ein zielloses Regenbogenfeuerwerk, Licht durchflutet Licht, heraus aus der Genealogie von Entwurf zu Raum.
Sie ist nicht die einzige Großkünstlerin der Ausstellung. Auch Olafur Eliasson ist geladen. Und er macht mit. Allerdings nicht im Museum, oder so. Eigentlich auch gar nicht wirklich in der Ausstellung, sagen viele. Was nicht falsch ist, zu kurz gegriffen dennoch formuliert. Olafur hat eine subtile Intervention entworfen, versteckt in einem LED-Panel. Dieses modifizierte Panel verteilt er in „all den immanenten Räumen“, wie er sie nennt. Praxen von Ärzten, der Agentur für Arbeit, Behörden und wie auch immer wir alle diese Liste fortsetzen. In den Panels sind Sensoren und Prozessoren und dergleichen klassische Technik, die es vermag, nicht etwa Gedanken zu lesen, sondern die Stimmung zu spiegeln. Stimmfrequenzen, Körperwärme, sicher auch Lautstärke und so weiter. Klassiker, so zu sagen. In Anlehnung an Eliassons Arbeiten mit dem grünen Wasser, eine Serie aus den späten Neunzigern und frühen Nullerjahren, sendet das Panel ein beruhigendes grünes Licht, dessen Frequenz und Intensität Ruhe und Hoffnung fast schon garantiert. Doch da muss man hinkommen, dafür muss die Konversation in der Erreichweite des Panels funktionieren, dialogisch sein und Dynamik beinhalten. Wird einseitig verklärt, ohne Ziel zerspahnt oder sich immens verzahnt, so leuchtet das Panel feurig, schaurig und schwarz-flammig lodernd.
Den wahrscheinlich immateriellsten Beitrag hat Tino Sehgal erdacht. Und nicht alle Besuchenden werden seiner gewahr. Für die Ausstellung „Unendliche Landschaften“ von Caspar David Friedrich in der Alten Nationalgalerie hat der Künstler das Aufsichts- und Vermittlungspersonal durch durchweg professionell Schauspielende ersetzt. Verbringen die Besuchenden keine kontemplative Zeitspanne in den einzelnen Ausstellungsräumen (besser informierte Kreise meinen zu wissen, dass die beiden Kuratoren den Künstler hier von zwölf auf sieben Minuten heruntergehandelt haben), werden sie vom Sehgalschen Personal zurückgehalten, die Räume schon wieder zu verlassen. Gefällt natürlich nicht allen. Doch zu wem das süße Gerücht durchdrang, selbst Teil eines Kunstwerks geworden zu sein, freut sich meist schon. Natürlich ist es sehr einfach zu sagen, dass die meisten Arbeiten von Tino Sehgal in Räumen stattfinden. Doch dieses Werk, „Read the Room“, betritt den sonst sehr unüblichen Raum der subjektiven Bewertung, ab wann man Kunst wahrnimmt und bis wohin man sich nur von ihr unterhalten lässt. Vielleicht bis wahrscheinlich thematisiert es den weiten Raum präzise wie wohl selten zuvor.
Scheint es hier nun sonderbar, dass es mir obliegt, Raum zu füllen, den es sonst nicht gibt? Frequent wird mir hier Raum gegeben, Raum zu bauen und zu schenken, mich und alle uns nicht mit Echtheit zu beschränken. Oftmals sei der Weg das Ziel, ist vielerorts zu lesen und zu hören. Doch ist auch der sehr oft ein Raum. Pragmatisch gar ein Zahlenraum. 6.000 Zeichen dürfens sein. Mal drunter oder drüber auch. Am besten jedoch genau und irgendwo in der Mitte. Somit werd ich Raum im Raum. Ein Text im Heft mit vielen drumherum. Textraum, Weißraum, Bildraum. Wollen zusammen Inhalt sein und ein großes Stück vom Kuchen, derer die von hundert lesen.