Kirstin Burckhardt, Nicole Wendel

Gespräch

2024:November // Anna-Lena Wenzel

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11-2024

„Wenn das mal keine Liebeserklärung ist!“

Im Rahmen der Ausstellung in Wolfsburg sind die Künstlerinnen Kirstin Burckhardt und Nicole Wendel eingeladen, am 30. August 2023 eine Performance aufzuführen. Die beiden Künstlerinnen arbeiten schon länger zum Thema Freundschaft – zu ihrer Freundschaft –, weswegen ich sie zu einem Gespräch über ihre Praxis und ihr Verständnis von Freundschaft bei mir zu Hause einlade. In ihren Performances bewegen sich die beiden aufeinander zu, umeinander herum, gehen in die Begegnung und ­wenden sich wieder voneinander ab. Es ist ein Ausloten dessen, was Freundschaft sein kann: Fürsorge, Berührung, Autonomie.


Anna Lena Wenzel: Mein Interesse an eurer Arbeit kommt daher, dass ich gerade zum Thema Freundschaft arbeite und auf der Suche bin nach alternativen Formen von Beziehungen. Ihr macht in eurer künstlerischen Arbeit eure Freundschaft zum Thema. Im August 2023 habt ihr im Kunstmuseum Wolfsburg performt. Wie war es?
Nicole Wendel: Für uns war es toll, dass wir die Gelegenheit bekommen haben, nach unserer Ausstellung bei HAUNT/Frontviews in Berlin 2022 unsere Weiterentwicklung zu zeigen. Es war eine tolle Erfahrung, zu merken, dass wir uns beide auf die räumliche Situation einlassen konnten und vor allem auf die Menschen, die da waren.
Das Thema „Freundschaft“ wurde wie ein Echoraum erfahren, jede und jeder hat mit seiner und ihrer Brille von „Freundschaft“ auf unsere Arbeit geschaut. Freundschaft ist eine grundlegende Erfahrung, die alle kennen und die uns prägt. In unserer Performance teilen wir diese miteinander. Ich hatte den Eindruck, dass das viele berührt hat. Es gab danach ein großes Mitteilungsbedürfnis, auch von unserer Seite.
Kirstin Burckhardt: Die Rückmeldung von den Anwesenden war, dass das wirklich berührt und mitgenommen hat. Es waren nicht nur zwei Personen, die sich in ihren Kokon zurückgezogen haben, vielmehr hat sich ein Zelt aufgespannt.
ALW: Ich stelle mir das sehr anspruchsvoll vor: Ihr geht sehr intensiv in eure Begegnung rein, dann gibt es einen Raum und ein Publikum, mit dem ihr interagiert. Es gilt, die Konzentration in die intime Begegnung zu lenken und gleichzeitig mit dem Außen zu korrespondieren. Wie händelt ihr dieses Spannungsfeld?
KB: Es gilt alles miteinzuladen – in die Körperwahrnehmung. Das heißt in Verbindung mit meinem Körper zu sein, mit deinem und dann mit all den anderen Körpern, die auch im Raum sind. Jeder Körper spricht eine unterschiedliche Einladung aus, z.B. will ich mich dem Körper annähern oder nicht? Alle Körper halten etwas, haben unterschiedliche Energien. Das Besondere an Performance ist, dass ich in eine Art „Zone“ komme, wo ich das Gefühl habe, dass ich mich sehr weit aufmache, um möglichst viel wahrzunehmen und durch mich durch fließen zu lassen. Diese Körperwahrnehmung bringe ich dann wieder in den Raum zurück, wo sie Gestalt annehmen kann.
Die größte Herausforderung ist für mich, wie ich das Intime bewahren kann, wenn Nicole fünf Meter weit weg ist. Es gibt einen vorderen Korpus, das Herzzentrum, das sich öffnet und in die Suchbewegung geht. Gleichzeitig habe ich eine Rückenwahrnehmung und spüre die Wand, die uns hält und die Situation begrenzt. Was uns verbindet, ist ein sehr feiner Strang.
ALW: Habt ihr eine Dramaturgie?
NW: Im Grunde sind es genau die Felder, die du beschrieben hast: Körper, Raum, Publikum, die sich während der Performance miteinander verweben und gleichzeitig verschiedene Fokusmomente im Bogen des Ablaufes erfahren. Wir sind zwei Körper im Raum, deren Verbindungsmomente wir erforschen. Zum Einstieg sinken wir tief hinein in unsere eigene Architektur, die Knochenstruktur, und konzentrieren uns auf die Gelenke. Joints [dt. Gelenke] sind Verbindungen von zwei Aspekten, woraus Bewegung entsteht.
ALW: Es beginnt mit einem Abtasten und geht weiter mit Halten und Kräfte austauschen …
NW: … Gewicht nehmen, Gewicht geben. Es ist wie in etwas Freies reinzugehen und loszulassen. Das macht es zu einer real-time-composition. Das ist schon sehr intensiv. Wir sind dabei in unserer ganzen Kraft und verhandeln sowohl Zärtlichkeit als auch Radikalität und Konfliktfähigkeit.
KB: Wir haben eine Basis, auf der wir handeln, aber es ist lebendig. Da findet ein permanenter Aushandlungsprozess statt. Wir fragen uns immer wieder: Wo bist du? Wo halten wir uns? Wo verlassen wir uns?
Wir haben durch die Arbeit mit der Tänzerin Sigal Zouk viel am Ankommen gearbeitet. Es ist ein Moment, wo schon etwas da ist und nicht neu produziert werden muss. Wo man sich in die eigene Haut zurücklehnen darf und in den Boden, der trägt. Um aus dem heraus genauer hinzuhören: Was möchte sich zeigen? und daraufhin zu handeln.
NW: Es ist eine Form, die sich ständig neu generiert und findet. Wann steigen wir da ein? Wo bin ich mit meinem Körper in Beziehung zu Kirstin und wo geschieht das Hineingehen in diese zweite Haut oder in den Freundschaftskörper. Was macht das dann mit uns?
Zusätzlich zu unseren Körpern hatten wir eine neongelbe Schnur und Stoff-Objekte von Michiel Keuper, einem Performer, die als Verstärker funktionieren. Mal entsteht aus ihrem Einsatz ein total verspielter Moment und wir wirbeln mit ihnen herum, dann gab es eine Situation, wo es sich anstrengend anfühlte und verhedderte. Einmal fühlte es sich richtig festlich an mit dem Umhang. Dabei habe ich Kirstin gesagt, wie gut er ihr steht.
ALW: Das heißt, ihr sprecht auch?
NW: Ja. Wir nennen dieses Aus-dem-Moment-heraus-Sprechen „Poetisieren“. Es hat verschiedene Aspekte: Sowohl unsere Kommunikation miteinander als auch die mit dem Publikum.
KB: Manchmal haben wir die Anwesenden tatsächlich direkt angesprochen. Durch Blicke und durch die Objekte, die wie eine semi-permeable Membran waren. Wir haben sie sehr vorsichtig fragend involviert. Es sind ja alles unbekannte Menschen!
Gestern schlug eine Tänzerin bei einer Veranstaltung vor, das Publikum nicht mehr als richtendes oder bewertendes zu sehen, sondern als eines, das vor allem erst mal da ist. Sie sagte, es gehe darum, wie ich den Anwesenden einen Raum bieten kann, in dem sie sich ein bisschen entspannen oder lösen dürfen. Das ist eine andere Perspektive auf die anwesenden Personen. Im HAUNT hatten wir bereits ein Format entwickelt, das diese Intimsphäre auf eine Spitze getrieben hat. Wir haben es „Performative Begegnungen“ genannt: Man konnte als Einzelperson oder zu zweit einen Slot von einer Stunde buchen, um mit uns 45 Minuten im Gespräch und 15 Minuten zeichnend zusammen zu sein.
ALW: Und wann war die Performance in Wolfsburg zu Ende?
NW: Ungefähr nach 45 min geht es darum, den Punkt zu finden, wo wir zu einem Ende kommen. Dazu setzen wir unsere Stimme ein. Wir fangen an, Harmonien und Dissonanzen zu erzeugen, bis wir das Gefühl haben, jetzt ist es ein Endton.
ALW: Als du vorhin eure Bewegungen beschrieben hast, fand ich es auffällig, wie du deine Arme benutzt hast. Es war spürbar, dass der andere Körper ein Widerstand, aber auch ein Verstärker ist. Übertragen auf Freundschaft heißt das, ein Gegenüber kann beides sein: eine Reibung und ein Halt.
KB: Es macht einen Unterschied in Performances, wenn Freundschaft mit im Spiel ist, denn diese bringt noch mal eine emotionale Komponente rein. Die Menschen, die da sind – also wir –, haben eine Beziehung, die über dieses Feld hinaus reicht. Diese beiden Körper kommen zusammen und stellen infrage, was man üblicherweise als Freundschaft versteht. Es ist eine sehr intime und zärtliche Beziehung. Wir stellen mit dieser Arbeit immer wieder die Frage, wo die Grenze zu einer Liebes- oder einer sexuellen Beziehung verläuft. Das Besondere unserer Arbeit ist, dass wir Freundschaft so körperlich leben. Dabei fragen wir uns in letzter Zeit oft, was diese künstlerische Arbeit für unseren privaten Umgang bedeutet. Wie schützen wir den? Was machen wir öffentlich und zur Arbeit und was halten wir zurück?
ALW: Ich habe mich das auch schon gefragt: Steht bei den Performances eure Begegnung im Vordergrund oder geht es darum, eure Begegnung mit einem Außen zu teilen? Das sind zwei unterschiedliche Richtungen, in die man agiert. Könnt ihr sagen, was und wohin ihr mit und in den Performances wollt? Wollt ihr etwas herausfinden oder teilen?
NW: Wir begegnen uns als Kirstin und Nicole, aber auch als professionelle Künstlerinnen. Daraus generieren wir Material und eine Form. Wenn wir unsere Freundschaft in unserer Arbeit verhandeln, dann heißt das, wir begegnen uns über unsere Werkzeuge und unsere Sprache. Das hat wunderschöne Momente generiert. Weil wir uns darin neu begegnet sind. Gerade in den Anfängen war das ein Tasten. Da wussten wir noch nicht, was wir heute machen würden. Oft kam eine Idee, ein neuer Impuls, und dann ging es organisch über in neue Erfahrungsfelder. Im Anschluss haben wir reflektiert, was passiert ist. Was für Aspekte werden in der Begegnung deutlich? Sehr viel ging es um Unterstützung, um das Verstärken, sich stärken. Mit dem Aufsetzen der Freundschafts-Brille spielten auch andere Freundschaften eine größere Rolle. Es war eine Art Sensibilisierung für dieses Erfahrungsfeld. Mit dem Schritt in die Öffentlichkeit änderte sich für mich auch die Frage, ob Freundschaft öffentlich sein kann. Gerade die Resonanz in Wolfsburg hat klar gezeigt, dass das geht. Gleichzeitig ist es eine ständige Prozessarbeit, die „professionelle Seite“ in unsere Freundschaft zu integrieren. Deshalb ist es gut, dass es jetzt ein bisschen Pause gibt, um alles zu verdauen und der Freundschaft wieder mehr Platz zu geben, sich im „Privaten“ wiederzufinden. Interessant ist die Beobachtung, dass es in der Ausstellung in Wolfsburg viele Beispiele für freundschaftliche Kollaborationen gab, die sich zerstritten haben – ich glaube, es sind 90%!
KB: Ja, oder sie arbeiten nebeneinander oder reagieren aufeinander. Es ist selten, das man etwas gemeinsam entwickelt und den Prozess selbst zum Thema oder zum Material macht, also das verhandelt, was man gerade bearbeitet. Es ist das Material, das sich im Entstehen formt. Das ist eine komplexe Schlaufe, die man da macht. Aber genau das macht es auch zu etwas Künstlerischem.
NW: Es gibt für diesen Weg – die Frage, wie eine gute Freundschaft läuft – kein Rezept. Wir können da nur immer wieder neu schauen und uns entscheiden, es zu nähren und sich ihm wieder zu widmen. Es ist nicht unser Anliegen zu zeigen, wir sind nur harmonisch miteinander. Es ist vielmehr spannend zu gucken, wie weit wir gehen können. Wir halten den Raum für uns selbst und für die andere und brechen den Kontakt nicht ab in dem Wissen, dass da ganz viel Potenzial und Halt da ist. Wenn der Kontakt abbricht, ist es das Ende einer Freundschaft.
ALW: Wenn das Zueinanderschauen als Impuls aufhört?
NW: Ja. Das finde ich im übertragenen Sinne eine extrem wichtige Frage für unsere Zeit. Hanne Loreck hat in ihrem Text über unsere Arbeit genau das wunderbar aufgeblättert – sie hat unsere Zusammenarbeit mit dem Begriff der Brüderlichkeit verglichen und betrachtet unsere Zusammenarbeit als Erneuerung und Erweiterung dessen, indem sie sie als Schwesterlichkeit bzw. Freundinnenschaft bezeichnet.
Durch unsere individuelle Arbeit, die wir mit uns selbst tun, bringen wir eine Fähigkeit zur Resilienz in unsere Freundschaft ein, sie befähigt uns bestimmten herausfordernden Situationen, wo z. B. Konkurrenz auftauchen könnte, zu begegnen und diese zu integrieren. Ich betrachte diesen Vorgang für mich als Chance und glaube, dass diese Erfahrung ein ganz wichtiger Punkt ist, den wir gesellschaftlich brauchen. Wo bleibe ich am Tisch sitzen und schau mir an, was da liegt – was nicht unbedingt leicht ist. Ich nehme mein Paket zu mir, bearbeitete es, und dann sortieren wir gemeinsam, was ich, was du und was wir tragen können.
KB: Wie schön du das ausgedrückt hast – etwas auf den Tisch zu legen. Die Bereitschaft dafür zu haben und nicht wegzugehen. Das ist ein wichtiger Punkt, den auch Hanne stark gemacht hat: Dass es bei uns um einen Mikrokosmos geht, in dem wir exemplarisch Dinge verhandeln, die auch auf der Makroebene wichtig sind. In Anerkennung der Verbundenheit, dass wir nicht alle vereinzelt durch die Gegend stapfen, sondern in größere Zusammenhänge eingebunden sind. Es gilt, die Möglichkeiten des Gesprächs auszuloten und an einem Tisch zu bleiben.
NW: Für mich ist das der Schlüssel, den ich auch in anderen Beziehungen empfinde. Und welchen ich als sehr kostbar finde, mit Kirstin zu teilen. Wir sind in all den Jahren schon durch mehrere Dynamiken gegangen. Das ist ein ganz relevanter Aspekt für Freundschaft. Was trauen wir uns zu? Und genau dort hinzugehen und zu sagen, wir arbeiten zusammen daran und wagen uns in dieses neue Format.
ALW: Das Besondere finde ich dabei, dass ihr Freundschaft auf verschiedenen Ebenen auslebt. Ihr gebt eurer Freundschaft eine andere Form – eine körperliche, non-verbale –und macht sie zu eurer künstlerischen Praxis. Diese Form der Zusammenarbeit sticht heraus, weil es doch oft darum geht, eine eigene Handschrift zu entwickeln. Es birgt ein gewisses Risiko – nicht dass ich das so denken würde, aber es gibt eine starke Narration, die um diese Individualität bangt.
NW: Ja, darüber haben wir uns auch viele Gedanken gemacht. Es ist nicht unser Anliegen, die eigene Handschrift aufzulösen. Ich finde interessant zu fragen, vor was ich da eigentlich Angst habe. Davor mein Ich zu verlieren? Oder zu verschwinden? Es ist eine Frage der Perspektive, denn gleichzeitig bekomme ich durch diese Erfahrung auch sehr viel, es vermehrt sich etwas.
KB: Ich höre dir so gerne zu, Nicole. Und ich glaube, das ist ein wichtiger Aspekt. Wenn die andere Person spricht, dann zeigt sie sich. Dieses permanente Entschälen und Sichtbarmachen, auch von Dingen, die man selber gar nicht sehen möchte, bildet für mich den Freundschaftsraum. Ein Ort, wo man etwas nach außen bringt und es eine Zeugschaft gibt, die das gut aufnimmt. Das ist eine wichtige Erfahrung, dass da jemand ist, der mich nicht wegstößt, sondern der mich wohlwollend sehen möchte. Gleichzeitig hat dieses „Zeig dich mir; werde diejenige, zu der ich so viel Vertrauen habe, der ich mich nah fühle“ auch eine Kehrseite – je emotionaler die Beziehung wird, desto mehr sind da Projektionen und unausgesprochene Wünsche. Die Bereitschaft und die Lust, die andere sehen zu wollen, ist die Basis für Freundschaft.
Wir haben viel über pleasure [frz. ausgesprochen] gesprochen [lachen].
ALW: Ich hätte das jetzt in Begehren übersetzt und würde gerne noch mal auf diesen Grenzraum zwischen Freundschaft und Beziehung, Zartheit und Sexualität zu sprechen kommen. Weil die Freude, dem anderen zuzuhören, ergänzt werden kann, um die Freude, sich anzuschauen. Ich kann mir vorstellen, dass das in euren Performances fühlbar wird, diese Lust.
KB: Es ist sehr interessant, dass das In-Beziehung-Stellen zu Erotik- oder Liebesbeziehungen beim Thema Freundschaft immer dazugehört. Wir werden das immer wieder gefragt, obwohl es keine Hauptsache ist, die wir ansprechen. Da gefällt mir der Grenzraum-Begriff, den du im zweiten Artist-Talk bei HAUNT eingebracht hast, so gut, Anna. Wo der Grenzbereich nicht mehr nur eine Linie ist, sondern sich zu einem Feld, wo Bewegung stattfindet, öffnet.
Für uns ist dieses Körperliche ganz explizit mit dem Freundschaftsbegriff verbunden. Es gibt die Lust, den anderen Körper zu berühren, ihn zu spüren. Ich kann sehr genau sagen, ob das Nicoles Körper ist und habe eine Vorstellung davon, wie sich dein Hinterkopf anfühlt. Meine Hände kennen den Abdruck von Nicoles Körper. Ist das Erotik? Bestimmt! Ist das wichtig zu wissen? Ich war schon lange von polyamourösen Beziehungsmodellen ­fasziniert und habe irgendwann gemerkt, dass ich quasi in einer poly­amourösen Situation bin, ohne den anderen davon Bescheid zu geben [lacht]. Ich habe einen emotionalen und sexuellen Partner, den ich sehr liebe, und das ist auch der, mit dem ich meine Zukunft aktiv plane und gestalte. Gleichzeitig spielt die Intensität, mit der ich Freundschafts-Beziehungen führe, eine große Rolle in meinem Bereich des emotionalen Befindens. Sind das jetzt Liebesbeziehungen? Ja, ganz sicherlich! Aber ab wann changiert das wohin? Es gab schon Momente, wo wir in einer performativen Situation waren und ich gesagt habe, ich bin jetzt gerade in dich verknallt. Ich glaube, es gibt eine Lust zwischen uns, die man gar nicht immer genau definieren muss. Es ist eine Lust, sich in diesem Grenzbereich zu bewegen.
NW: Ich habe auch gerade darüber nachgedacht, dass wir uns schon in unserem ersten Gespräch über Körper und Sexualität unterhalten haben – so haben wir uns kennengelernt! Das wurde sehr schnell sehr intim. Und ich würde auch sagen, dass wir die Freude an diesen Grenzbereichen teilen. Wo fängt es an zu knistern? Das ist total schön, wenn man in so eine Erotik kommt und jeder weiß genau, um was es geht, auch wenn es nicht ausgesprochen wird.
Für mich ist dieses Feld der Performance eine Möglichkeit, eine Form von Intimität und non-verbaler Kommunikation auszuleben. Das ist etwas, was ich mit vielen meiner Freundinnen, die nicht aus einem Tanz- oder Performancekontext kommen, leider nicht so teile. Deshalb bin ich im performativen Kontext jedes Mal wieder total dankbar dafür, dass ich mich mal anlehnen kann. Ich gebe Gewicht an einen anderen Körper ab, mit dem ich eben keine sexuelle oder Liebes-Beziehung habe. Diese Freiheit in einem sicheren Raum ist für mich ein Geschenk.
ALW: Ich finde den Begriff des Geschenks ein bisschen ambivalent, weil ich glaube, dass es kein Zufall ist, dass du das so erleben darfst. Es fällt dir nicht zu, du stellst es her. Du bringst eine Offenheit und eine Neugierde mit, genauso wie eine langjährige Übung in körperlicher Ausdrucksweise.
NW: Du hast völlig Recht, aber für mich fühlt es sich an wie ein Geschenk, weil ich gerade eine Phase hatte, wo mir mein Knie schmerzte und ich das Tanzen sehr vermisst habe.
Es ist schon sehr lange her, dass ich mit der Tanzimprovisation angefangen habe. Ich habe gemerkt, dass sich mein Körper in dem spezifisch gesetzten Rahmen und der nonverbalen Kommunikation entspannen kann: Man trifft mit unterschiedlichsten Körpern zusammen, für deren Begegnung es einen klaren Rahmen gibt. Es geht darin eben nicht um Sexualität, sondern um das Verhandeln von Nähe und Distanz im Mikro- und Makrokosmos von Intimität.
KW: Diese Erweiterung des Intimitätsbegriffes ist es, die wir in der Performance zur Verfügung stellen. Er ist nicht mehr klassisch an Liebesbeziehungen geheftet, sondern dehnt und weitet sich aus. Im besten Fall führt er zu mehr und zu vielfältigeren Berührungen!
NW: Es ist interessant, welch unterschiedliches Feedback wir darauf bekommen. Zum Beispiel hatten wir im Januar eine Einladung nach Rotterdam. Da hat uns ein Kunsthistoriker in seinen Projektraum eingeladen. Zwei Frauen, die einem gewissen Schönheitsideal entsprechen, sich begegnen und dabei zärtlich miteinander sind, haben bei ihm ganz viele Fragen provoziert. Was ist das? Wie kann ich das greifen? Sind sie ein Paar?
KB: Ja, er fühlte sich fast peinlich berührt durch unsere Offenheit.
ALW: Ich kann mir das gut vorstellen! Es ist ja auch offensive, was ihr macht.
KB: Er war wirklich hin- und hergerissen. Will ich das so sehen, diese Intimität? Gleichzeitig war er fasziniert davon und ist am Tisch geblieben. Durch die aufgeworfenen Fragen wurde es lebendig. Wir fordern etwas heraus – aber in einem Dialog. Was heißt es eigentlich, sich so nah zu kommen?
NW: Für mich ist dieses Generieren von Fragen das Potenzial von Kunst. Wo bin ich konfrontiert und bleibe da? Auch wenn ich Widerstände habe, lockt mich etwas so sehr oder will ich etwas herausfinden. Es gibt einen Grad von Irritation, der mich aktiviert. Was wir zur Verfügung stellen, öffnet den Diskurs. Was heißt Nähe und was Intimität oder Zärtlichkeit? Was heißt Reibung? Was heißt Kraft geben und nehmen?
KB: Es geht darum, mit unserer Arbeit genau diese Fragen zu stellen. Frauenfreundschaften sind in der visual culture nicht repräsentiert und dadurch wie nicht existent.
ALW: Dass es so wenige Vorbilder für Freundschaften in der Kunstgeschichte, aber auch ganz konkret in der Generation meiner Eltern gibt, macht es herausfordernd, das zu erproben und zu behaupten.
KB: Dabei ist Freundschaft etwas, das mit allen Menschen zu tun hat und für die emotionale Gesundheit extrem wichtig ist. Das wissen wir spätestens, wenn wir einsam sind und krank werden. Nicht umsonst gibt es in England ein Ministerium für Einsamkeit. Es wird in Zukunft immer mehr um emotionale Resilienz gehen, weil wir kollektiv mit Herausforderungen umzugehen haben, für die wir viel Kraft brauchen. Zu wissen, wie es sich anfühlt, gehalten und umarmt zu werden, ist ein Lebenselixier.
ALW: Ich habe erst letztens wieder von einer Freundin gehört, die einen Workshop gegeben hat, bei dem zwei Teilnehmerinnen ihre jeweilige Nachbarin nicht an den Schultern fassen konnten. Ich sage das vor allem, um den gap zu betonen, den viele Menschen in Bezug auf körperliche Nähe spüren, und dem, was ihr da vorführt. Sich auf so eine Art zu begegnen, wie ihr es tut, konfrontiert die Menschen mit ihrem Mangel!
NW: Das ist gut, dass du das noch mal benennst, weil ich das manchmal vergesse. Dinge, die für mich selbstverständlich sind, sind es für andere nicht.
ALW: Ich würde an dieser Stelle gerne noch mal zurückspringen. Ihr habt diesen Moment erwähnt, in dem ihr erstmals in so ein intimes Gespräch eingetaucht seid. Wie ging es dann weiter?
NW: Es war auf eine Art Liebe auf den ersten Blick [lacht]. Wir haben uns dann langsam kennengelernt, haben uns ab und zu getroffen, um Ausstellungen anzuschauen oder unsere Arbeiten zu teilen. Das waren jedes Mal intensive und intime Austausche.
Durch die Pandemie stand das Thema Freundschaft ganz stark im Raum, weil wir beide gemerkt haben, wie wichtig Beziehungen und ganz spezielle Personen sind. Wir haben uns viel über die Relevanz von Freundschaft und ihre politischen Dimensionen für die Gesundheit und des Heilseins unterhalten. Du warst in dieser Zeit, wo jede*r genau wahrnehmen konnte, wer ist für mich wesentlich, ein wichtiges Gegenüber. Wir waren wegen der Einschränkungen herausgefordert, uns zu entscheiden. Später haben wir uns in meinem Studio getroffen und begonnen, zusammen zu arbeiten, wobei noch nicht klar war, welche Form wir finden würden. Es ergab sich für mich die Möglichkeit, bei HAUNT/Frontviews, einem Künstler:innenkollektiv, mitzumachen. Das empfand ich während der Pandemie als eine tolle Möglichkeit, in einem Netzwerk mit anderen Künstler:innen im Austausch zu sein. Ich habe dir davon erzählt und du bist dann auch dazugekommen. Daraus hat sich die Idee entwickelt, dort gemeinsam eine Ausstellung zu realisieren.
KB: Wir haben begonnen, viele Anträge zu schreiben und das Ganze darin versprachlicht. Für die erste Ausstellung haben wir mit der Kuratorin Daniela von Damaros zusammengearbeitet und drei verschiedene Formate für die untere Etage des Haunt/Frontviews entwickelt. Eine neue Videoarbeit von uns wurde in einem der kleineren Räume gezeigt. Im großen Raum zeigten wir an der langen Wand in dialogisch-installativer Hängung unsere Zeichnungen. Zusätzlich haben wir mit der performativen Begegnung ein neues Performance-Format entwickelt. In diesem Gesprächsformat wurde viel Intimität geteilt. Das waren sehr intensive Begegnungen. An diese Erfahrung hat sich der Wunsch angeschlossen, das Format weiter zu verfolgen. Dann haben wir die Prozessförderung vom Fonds Darstellende Künste bekommen. Eigentlich wollten wir daraus eine Performance entwickeln, die Analoges und Digitales verbindet, doch dann kam bei mir eine gesundheitliche Diagnose dazwischen, die uns gezwungen hat, noch mal neu zu denken. In dieser Situation wurde unsere Freundschaft ein extrem wichtiger Faktor im Sinne von ganz konkretem Halten und Sorgen.
Die Idee der Prozessförderung hat uns erlaubt, von dem auszugehen, was es in dieser Situation brauchte. Wir haben uns „Geburtshelfer*innen“ für unsere Performance gesucht, mit denen wir zu Text, Stimme, Bewegung gearbeitet haben. Wir haben sogar eine systemische Therapiesitzung gemacht!
NW: Wir konnten in sehr freien Bausteinen mit verschiedenen Leuten an einzelnen Aspekten arbeiten. Mit Michiel Keuper waren wir zum Beispiel in einem intensiven Austausch über die Frage, welche Materialität Freundschaft generell und unsere im Speziellen hat. Er hat für uns ein Objekt genäht, das zwischen Haut und Gewand changierte, und das in Wolfsburg zum Einsatz kam.
ALW: Haben die Performances eigentlich Titel?
NW: no ONE survives a real conversation war der Titel der Performance in Wolfsburg. Das ist derselbe Titel wie der der Ausstellung, nur dass wir diesen anders geschrieben haben.
KB: In Wolfsburg haben wir das ONE betont, weil es uns um die Nicht-Vereinzelung ging. Das lehnt sich an das Zitat „No self survives a real conversation“ des irischen Autors David Whyte an. Es geht uns tatsächlich um dieses Existentielle. So fühlt es sich ja auch für uns an, wenn man sich so real und in echt begegnet und sich reibt und wärmt und all diese Facetten miteinander lebt [lacht]. Wenn das mal keine Liebeserklärung ist!
ALW: Meine Faszination für eure Zusammenarbeit kommt von den unterschiedlichen emotionalen Zuständen, die ihr in den Performances verkörpert, und dem Grenzraum zwischen Freundschaft und Beziehung, den ihr darin vermesst. Mich interessieren diese fließenden Übergänge, weil ich beobachtet habe, dass ich mich zu Menschen unabhängig von ihrem Geschlecht hingezogen fühle, wenn ich sie als Mensch schön finde. Im besten Fall kommt es zu einem Dreiklang: Ich finde den anderen „schön“, werde „schön“ gefunden und mag das, was zwischen uns entsteht. Es ist etwas Besonderes, wenn in der Begegnung und dem Gemeinsamen etwas Drittes, das über uns hinausgeht, entsteht. Du hast es ähnlich formuliert, als du sagtest, Freundschaft bringt etwas hervor, was sichtbar werden will.
NW: Freundschaft ist ein Finden und ein Entdecken. Zu entdecken, dass man sich wohlfühlt mit einer Person, weil ich mich da gesehen fühle, weil ich da in Kontakt bin. Sie ist wie ein Nährboden dafür, dass ich mich potenziere in meinem Tun. Was ich liebe zu tun, wird noch besser, weil ich das mit der Person teilen kann. Das ist das Herz einer Freundschaft, würde ich sagen.
ALW: Ich glaube tatsächlich, dass Freundschaft ausstrahlt. Für mich hat das viel mit einer Selbstverständlichkeit im Sein oder einer Vertrautheit zu tun, die auch für Außenstehende sichtbar wird. Die Fähigkeit, Beziehungen mit verschiedenen Menschen herzustellen, ist nicht selbstverständlich, das hab ich lange nicht verstanden.
KB: Ich finde es einen schönen Gedanken, dass man mit jeder Person einen eigenen Freundschaftskörper bildet, der zwischen einem ist.
Was wir anbieten oder hervorheben, ist der Mut zur Begegnung – mit der anderen und sich selbst. Das meinte ich damit: Ich möchte dich sehen, um etwas zu verstehen, was nicht nur mich spiegelt oder bestätigt, sondern herausfordert in der Differenz. Das ist die viel interessantere Freundschaft.
ALW: Die Vertrautheit, die ihr teilt, kann auch eifersüchtig machen. Wie geht ihr damit um?
NW: Ich habe bemerkt, dass die, die Grund gehabt hätten, eifersüchtig zu werden, es nicht geworden sind. Ich glaube, es liegt an der Klarheit. Wie klar bezogen sind wir aufeinander? Wenn ich das weiß, gibt es gar keine Frage. Dann kann ich mich auch erfreuen, an der Nähe von zwei anderen.
KB: Ich denke auch, dass Eifersucht an dem Punkt produktiv werden kann, an dem man das dahinterstehende Bedürfnis, zum Beispiel nach Nähe, sehen kann. Wenn offensichtlich ist, dass es nicht um Besitzen oder Dominieren geht, sondern um den Wunsch nach Nähe und Verbundenheit, öffnet sich ein Raum für ein Gespräch.
NW: Da fällt mir ein, wie wir manchmal von außen als best friends [englisch und leicht übertrieben ausgesprochen] gesehen oder sogar bezeichnet werden. Das ist nicht nur humorvoll. Darin liegt ein gewisser Beigeschmack.
KB: Du meinst, dass die, die uns so bezeichnen, uns nicht unbedingt so nah sein wollen, sondern eher die Qualität unserer Begegnung kommentieren?
NW: Ja, ich meinte, das darin zu hören. Dabei halte ich nicht so viel von diesem Begriff best friends, weil für mich Freundschaft etwas sehr Dynamisches ist. Es gibt schon Unterschiede, natürlich, und eine Grenze an Kapazität, mit wem ich wie lange wie nah sein kann. Wobei die Zeit eine Sache ist, und die Aufmerksamkeit eine andere.
KB: Ich verneine diesen Begriff heute, wobei ich ihm sehr hinterhergehechelt bin, als ich Teenager war. Für mich ist das Problematische die Hierarchisierung, die darin mitschwingt und nicht den Menschen sieht. Ich erlebe mich anders, je nachdem mit wem ich zusammen bin. Ich bin in einer monogamen Beziehung und trotzdem finde ich die Hierarchisierungen wie auferlegt. Die Praxis ist, das wieder zu verlebendigen, nicht in Kategorien zu denken, um damit die Menschen atmen zu lassen.
ALW: Wie geht es weiter?
KB: Nach dieser intensiven Erfahrung sind wir an einem Punkt, wo wir schauen, wo es als Nächstes hingeht. Es geht darum, im Strom zu bleiben, nicht festzuhalten.
NW: Constant flow.
no ONE survives a real conversation, Kirstin Burckhardt und Nicole Wendel, Objekt-Kostüm: Michiel Keuper, Foto: Birgit Kaulfuß, 2023
no ONE survives a real conversation, Nicole Wendel und Kirstin Burckhardt, Objekt-Kostüm: Michiel Keuper, Kunstmuseum Wolfsburg, Foto: Marek Kruszewski, 2023